Nicht gießen
„Weil wir nicht gießen, entwickelt bei uns die Pflanze Wurzeln bis in zwei Meter Tiefe und eine Gesamtlänge von 800 Metern“, erläutert der Biobauer beim Gang über das 800 Meter lange Paradeiserfeld. Die Pflanzen liegen am Boden. Stroh wird untergebreitet. Sonst wächst sie so, wie es ihrer Art entspricht. Steiniger, trockener, karger Boden ist die beste Voraussetzung. Zahlreiche BesucherInnen sind überrascht, dass hier nichts aufgebunden wird. Staunen kommt auf, als er eine Pflanze hochhebt und die heranwachsenden Früchte darunter freilegt. „Nehmen Sie und kosten Sie“, meint der überzeugte Samensammler und Theologe. „Ich will Ihnen nicht nur erzählen, sondern zeigen. Kosten Sie von den 600 verschiedenen Sorten hier am Feld.“ Erich Stekovics und seine Frau Priska lassen beim vierstündigen Rundgang in der heißen Sonne keinen Zweifel, dass sie „ihre Sache mit der Pflanzenvielfalt lieben“. Und gerade vom trockenen Sommer 2015 ist Stekovics angetan: „Es war für die Tomate ein Jahrhundertsommer. Und nochmals betone ich: nicht gießen. Es schaut trocken aus. Die Pflanze hat gelernt, damit umzugehen. Macht sie stärker.“
Arbeit und Leidenschaft
„Es steckt sehr viel Arbeit und große Leidenschaft drinnen“, deutet der in der Frauenkirchener Lokalpolitik für eine Bürgerinitiative tätige Biolandwirt schmunzelnd an. 30.000 BesucherInnen kommen pro Jahr auf den Schäferhof. 2.000 davon führt er persönlich über die Felder. Tomaten, Chili und Knoblauch sind nicht nur seine Leidenschaft, sondern auch seine wirtschaftliche Basis, die er mit 14 MitarbeiterInnen teilt. „Es gibt wieder mehr Konsumenten, die schauen, wo Lebensmittel herkommen. Weltweit hätten wir 300.000 Sorten von Tomaten. Die Tische der Konsumenten werden derzeit mit fünf Hybridsorten gedeckt. Geschmacklos. Es ist die Vielfalt, der vielfältige Geschmack, die wieder nachgefragt werden. Wer einmal die Vielfalt entdeckt hat, kann im Einheitsbrei der hybriden Konzernfrüchte keinen Geschmack mehr entdecken.“ Stekovics ist ein wenig stolz, dass zusammen mit der Arche Noah die EU-Saatgut-Verordnung zu Fall gebracht wurde. „Die Konzerne mit ihren Lobbyisten wollten sich Erbgut patentieren lassen, um so auf der einen Seite Geschäfte zu machen und andererseits die geschmackliche Vielfalt auszurotten. Oft frage ich mich, wie lange sich die Leute das gefallen lassen werden.“
Dreck oder Erde
Im Verkaufsladen direkt am Schäferhof erzählt die Leitfigur für österreichischen Knoblauch von der Einführung des Produktes bei der Lebensmittelkette Spar. Seine 250 Tonnen Knoblauch werden nach der Ernte nicht gewaschen oder von der Erde gereinigt, sondern nur getrocknet. „Wir putzen unseren Knoblauch nicht zu Tode.“ Die Knoblauch-Zöpfe werden gerade unter dem Nussbaum im Hof von HelferInnen geflochten. Sie halten „luftig aufgehängt“ beim Konsumenten über ein Jahr in der Küche oder Garage. Der natürliche Schutz wird nicht zerstört. Bei der Markt-Einführung kam gleich am ersten Tag ein Beschwerdebrief der Behörde, „dass der Knoblauch mit dem Dreck dran nicht verkauft werden darf“. Stekovics wird leidenschaftlich: „Da ist kein Dreck dran, sondern Erde. Im Dreck von heute würde der Knoblauch nämlich nicht wachsen.“ Nach vielem Hin und Her, dem hilfreichen Posting von Lukas Resetarits auf Facebook, das 250.00 Mal geliked und 12.000 mal geteilt wurde, wird heute der Knoblauch in blickdichten Papiersackerln angeboten. „40 % der Knoblauchproduktion haben wir so von China wieder zurück nach Österreich geholt.“ Und Stekovics bastelt mit Zwiebeln schon an weiteren „Rückholaktionen in die erdige Welt der Vielfalt“ in Österreich.
Raum geben und wachsen lassen
Beim Blick über das Feld bringt Stekovics ein paar Bemerkungen zur allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung punktgenau an: „Schauen Sie. Über 600 Sorten auf diesem Feld und sie wachsen friedlich nebeneinander. Die Tomaten untereinander kommunizieren mit Duftstoffen unglaublich viel. Da gibt es sogar einzelne Pflanzen, die sich aufopfern, um einen Schädling zu vernichten. Und jetzt schauen Sie in die Welt, wie wenig sie mit Vielfalt, mit Verschiedenheit umgehen kann und will. Dabei ist es so einfach: Raum geben und jede Pflanze in ihrer Eigenart wachsen lassen, so sein lassen, wie sie ist, und das einfach aushalten.“ Das strohbedeckte Feld zeigt, dass manche Pflanzen mehr und andere weniger Platz brauchen. Stekovics kommt auf die Erziehung zu sprechen. Die Kulturpflanze ist eine Lehrmeisterin: „Es wird zu viel gegossen und gezupft. Das macht die Pflanze und den Menschen schwach, anfällig, letztlich bequem und abhängig. Die oberflächliche Trockenheit, das Weniger führt zu einer tieferen Wurzel und Verschiedenheit, Vielfalt zu größeren Lebenschancen.“ Der Bauer spricht von „gegossenen Kindern“, die vom Gärtner abhängen und kaum Widerstandsfähigkeit oder „Eigenstand“ entwickeln. Ihr Wurzelwerk ist durch das viele Gießen nicht ausgeprägt.
Geschmack erzählt vom Himmel
Ehrenamtlich ist Stekovics in einem Altenheim tätig. Dort hält er monatlich Gottesdienste. Der Kirche steht der früher als Begleiter für Theologiestudierende in der Diözese Eisenstadt wirkende Theologe skeptisch gegenüber. „Krenn und Groer haben mir damals den Abschied nicht schwer gemacht“, erzählt er so nebenbei vor den Folientunnels. „Ich will kein Geld nehmen von einem Arbeitgeber, zu dem ich nicht stehen kann. Umgekehrt verlange ich das auch von meinen MitarbeiterInnen, dass sie zu unserer Firmenphilosophie stehen.“ Im Altenheim begegnen ihm die entscheidenden Lebensfragen. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Das, was wir haben, können wir jetzt genießen. „Geschmack erzählt in schönster Weise vom Himmel“, steht auf seinem Haus. Als Theologe stellt er sich den Himmel „geschmackvoll“ vor. „Ich träume nicht von goldenen Stühlen, sondern von einer Vielfalt an Geschmack, weil Geschmack das vielfältigste ist, was es gibt. Wenn der Himmel unendlich ist, dann kann es sich dort nur um eine vielfältige Geschmackswelt handeln.“ Einen Satz, den ein Journalist über ihn geschrieben hat, zitiert der Samen-Pionier und Vielfalt-Pfleger gerne: „Erich Stekovics hat die Kirche nicht verlassen, er hat sich nur einen anderen Platz zum Predigen gesucht.“
Fotos: Ferdinand Kaineder
Aus: ON 5/2016. Das ganze Heft lesen Sie hier.
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