Mexikanischer Bischof und Dominikaner hielt wirtschaftskritisches Referat in Wien
Rigoros setze die USA ihr neoliberales Wirtschaftsmodell weltweit um, wobei die dadurch möglichen Schäden an Mexiko schon drastisch sichtbar geworden seien: Längst arbeite die Regierung nicht mehr im Auftrag der mexikanischen Bevölkerung, sondern allein für die multinationalen Unternehmen, die großen Banken und Finanzakteure, betonte der 71-jährige Bischof von Saltillo. Schritt für Schritt würden Mexikos Ressourcen und Wirtschaft verkauft, "an den Weltwährungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation", so Vera Lopez, der zu einem Treffen des Dominikanerordens ins Wiener Don Bosco-Haus gekommen war.
Politisch umgesetzt werde der Ausverkauf Mexikos durch Terror gegen die eigene Bevölkerung, sei doch die Regierung "der derzeit größte Terrorist, den wir in Mexiko haben", kritisierte der Ordensgeistliche. Armee und Polizei würden im von den USA unterstützten "Krieg gegen die Drogen" nicht Kriminelle, Korrupte und Geldwäscher bekämpfen, sondern Journalisten, Lehrer, Jugendliche, Arbeiter, Frauen, Homosexuelle und Migranten. "Die Bilanz: Über 100.000 Todesopfer unter Präsident Calderon, bereits 70.000 unter seinem Nachfolger Enrique Peña Nieto. Zudem werden weite Landstriche von den Narcos (Anmk.: Drogenmafia) kontrolliert, gebilligt von der Regierung, da viele der öffentlichen Ausgaben aus ihrer Geldwäsche stammen", so der Bischof.
Als ein Beispiel für die Missstände nannte der Bischof die als "La Bestia" bezeichnete Zuglinie, die Mexiko aus Mittelamerika kommend in Richtung USA durchquert. Die Bahn in Privatbesitz sei allein für den Gütertransport konzipiert und werde von privaten Sicherheitsdiensten bewacht. Die vielen Migranten, die sie mitbenutzen, seien den Angriffen durch das organisierte Verbrechen völlig schutzlos ausgeliefert. Erschwerend komme laut Vera Lopez auch die Straflosigkeit im Land hinzu: Nur drei Prozent aller Verbrechen würden heute angezeigt, nachgegangen würde davon wiederum nur zwei Prozent.
Migranten werden verstümmelt
Hinsichtlich der anstehenden US-Präsidentschaftswahlen gab sich der intensiv für Migranten engagierte Bischof nüchtern. Wesentliche Unterschiede zwischen Donald Trump und Hillary Clinton sehe er in dieser Hinsicht nicht, ohnehin folge die Politik den geschlossenen Pakten. Auch Mexikos Rolle sei längst definiert: Einerseits werde dem Land die Hauptschuld für die illegale Einwanderung in die USA zugeschoben - "zu Unrecht, da Menschen aus allen Seiten in die USA kommen", wie Vera Lopez betonte. Andererseits sei die Regierung Handlanger des nördlichen Nachbarns beim Aufhalten der Migration aus dem Süden - "auf immoralische, untragbare Weise, da dabei Menschen getötet und verstümmelt werden", so der Bischof.
Migration könne durch Mauern nicht gestoppt werden, sondern werde unter heutigen Vorzeichen nur zunehmen, zeigte sich Vera Lopez überzeugt. Ursache dafür sei das Wirtschaftsmodell, das immer mehr Menschen ausschließe und zu Armen mache; etwa in Mexiko würden viele deshalb in die USA drängen, um so ihr Überleben und das ihrer zurückbleibenden Familie zu sichern. Das erst seit kurzem von einer großen Flüchtlingsbewegung erfasste Europa, das doch noch herzlich wenig von Migration verstehe, müsse die Perspektive der Flüchtlinge einnehmen. Denn bisher sei der reichen Welt das Verschwinden der Armen völlig egal; Menschen würden "weggeworfen", zitierte der Bischof Papst Franziskus.
Schlüsselmoment für Mexiko
Die Gegenwart bezeichnete der Bischof als Schlüsselmoment für die Zukunft Mexikos: Vergleichbar mit den Zapatistenaufständen der 1990er-Jahre, finde ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung statt, der sich etwa in Großprotesten oder im "Ständigen Tribunal der Völker" (TTP), der seit 2011 Menschenrechtsverletzungen anklagt, zeigt. Viel hänge nun von der internationalen Aufmerksamkeit ab, herrsche doch in Mexikos Medien mit Ausnahme der Sozialen Netzwerke überall Selbstzensur und Kollaboration mit der Regierung, so Vera Lopez. Entscheidend sei aber vor allem, "ob wir uns zusammentun und zu einer gemeinsamen sozialen Bewegung werden."
Auch die Kirche müsse sich hier beteiligen durch eine neue Pastoral, mit der sie den Vorgaben des Papstes Folge leiste. Franziskus habe bei seiner Mexiko-Visite im Februar auf einen entscheidenden Ansatz zur Überwindung der Krisen hingewiesen, indem er in Chiapas die Indigenen ins Zentrum gerückt habe. "Die Lösung liegt nicht bei Trump oder Clinton, sondern bei den Ärmsten. Die Indigenen, die auch den Wald und ihre Lebenswelt schützen, haben die Weisheit. Der Papst setzt auf sie." Franziskus habe auch deutlich gemacht, dass Mexiko "wieder den Mexikanern gehören" solle.
Auch in seinen Äußerungen zu Homosexuellen habe Papst Franziskus einen neuen Ton in der Kirche angeschlagen, so die Einschätzung von Vera Lopez, der in Mexiko zu den pointiertesten Verfechtern der Rechte für Homosexuelle zählt. Die Kirche habe ein Problem, da sie glaube, Homosexuelle seien "krank oder pervers"; ihre Auffassung von Sexualität müsse sich ändern. Wichtig wäre, Homosexuelle als normal anzuerkennen und ihnen einen Platz in der Kirche zuzugestehen. Vera Lopez: "Wir müssen ihnen nahe sein und sie als Menschen sehen. Darum geht es".
Bild: kathpress
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