Eine bleibende Aufgabe
„Wir werden zu keinem Ende in dieser Aufgabe kommen. Das Thema Kinderschutz wird uns immer begleiten“, brachte es P. Hans Zollner in seinem Vortrag schnell auf den Punkt. Und er beschönigte auch die Realität nicht: „Trotz aller Prävention: Es gibt keine Sicherheit, dass Missbrauch nicht stattfindet.“
Der Jesuit gilt als einer der führenden kirchlichen Fachleute auf dem Gebiet des Kinderschutzes bzw. der Prävention von sexuellem Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche. Der Theologe, Psychologe und Psychotherapeut ist Universitätsprofessor am Institut für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Seit 2014 ist der Ordensmann Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und seit 2012 Leiter des Centre for Child Protection (CCP) der Gregoriana in Rom.
Es sei von Anfang an klar gewesen, dass in der päpstlichen Kommission auch Betroffene vertreten sein und zu Wort kommen müssen; ihre Stimmen waren wichtig und mussten laut hörbar sein, denn sonst würde das Fundament für die Präventionsarbeit fehlen.
P. Hans Zollner: "Die Stimmen von Betroffene müssen laut hörbar sein". (c) Ordensgemeinschaften Österreich/rs
Wie eine liebende Mutter
Das Thema liegt auch Papst Franziskus sehr am Herzen, betonte Zollner. Bei einem Treffen mit Betroffenen sagte einer von ihnen dem Papst, er hätte das Gefühl, die „Mutter Kirche“ habe ihn im Stich gelassen. Franziskus reagierte sichtlich bewegt; die Worte hinterließen bei ihm einen tiefen Eindruck und gingen ihm seither nicht mehr aus dem Sinn. Und vielleicht ist es auch kein Zufall, dass ein im September 2015 veröffentlichtes Motu proprio mit dem Titel „Wie eine liebende Mutter“ versehen war. In diesen Rechtsbestimmungen werden die Möglichkeiten des Papstes erläutert, Bischöfe und Ordensobere, die im Kampf gegen sexuellen Missbrauch zu nachlässig waren, zu bestrafen.
Spirituelles Trauma
Zollner wies in seinem Vortrag darauf hin, dass in der Diskussion rund um das Thema Kindesmissbrauch bisher ein wesentlicher Aspekt vernachlässigt wurde: die spirituelle Dimension. Denn gerade im kirchlichen Bereich kam zum physischen und psychischen Missbrauch auch ein spirituelles Trauma hinzu. Ein Geistlicher wird mit der Kirche identifiziert, und die Kirche mit ihm; wenn durch einen Geistlichen, der Gott repräsentiert, Missbrauch geschieht, dann kann diese spirituelle Verwundung das Vertrauen und die Glaubensfähigkeit zerstören – und das ist vielen in der Kirche nicht klar. Denn: „Es gibt bisher keine theologische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Missbrauchs in der Kirche.“
„Wir haben hier eine besondere Verantwortung“, machte der Ordensmann deutlich. „Wir repräsentieren als einzelne Personen, aber auch als Institution, die Kirche.“ Das dürfe man gerade in einem Zeitalter der Authentizität und der Glaubwürdigkeit nicht vergessen. Und weiter: „Es würde der Kirche gut anstehen, wenn Betroffene auch in Pfarren, Diözesen und Ordensinstitutionen eine Stimme hätten.“
Sexuelle Gewalt verhindert bevor sie geschieht
Das Ziel der Präventionsarbeit sei, Risikofaktoren zu vermindern und Schutzfaktoren zu erhöhen, um sexuelle Gewalt von vorne herein zu unterbinden. Für eine erfolgreiche Präventionsarbeit brauche es neben einer soliden Basisinformation auch den Einsatz unterschiedlicher Präventions-Methoden und eine klare und kompetente Einführung in ein Präventions-Programm oder eine entsprechende Maßnahme. Hand und Hand gehe damit auch die Einbeziehung von Eltern, Familienangehörigen, Lehrern, Gleichaltrigen oder anderen Kontaktpersonen. Wichtig sei eine konsequente Implementierung in den jeweiligen Kontext. Das Internet birgt bei allen guten Seiten auch große Risiken, wie z.B. in den Social Media das „Sexting“ das Versenden von Nacktfotos) oder das Cyber-Grooming (die Kontaktaufnahme mit Minderjährigen mit dem Ziel, sie zu missbrauchen). „Hier kommen viele Herausforderungen auf uns zu, die wir noch nicht einmal abschätzen können“, so der Experte.
Die Besucher des Symposions wurden von Rudolf Luftensteiner, Leiter des Bildungsreferates der Ordensgemeinschaften Österreich, und Sabine Ondrasch von der KPH Wien/Krems, Institut Fortbildung, begrüßt. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/rs
Weitere Referenten:
Mag.a Martina Greiner-Lebenbauer von der Stabsstelle für Missbrauchs- und Gewaltprävention der Erzdiözese Wien, referierte über die Präventionsarbeit der Erzdiözese. Neben einer Ombudsstelle und Gemeindeberatung liegt der Fokus auf der Stabsstelle Gewaltprävention. Deren Aufgaben bestehen in Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit, in der Implementierung der Präventionsarbeit in kirchliche Ausbildungs- und Anstellungssysteme, Erstellen Präventionskonzepten für Einrichtungen, in Beratertätigkeit und Lobbying.
Mag.a Martina Greiner-Lebenbauer: Wichtig ist der Dialog mit Kindern, Eltern und Fachkräften. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/rs
Mag.a Elisabeth Halmer ist Verantwortliche für Missbrauchs- und Gewaltprävention an den Privatschulen der Erzdiözese Wien. Sie ist Ansprechpartnerin für MitarbeiterInnen des Schulamtes und der Schulstiftung bzw. DirektorInnen, LehrerInnen und ErzieherInnen der Schulen der Schulstiftung. Ihr Anliegen ist der Schutz Kinder und Jugendlicher und aller Erwachsenen vor verbalen, körperlichen und psychischen Übergriffen und sexueller Gewalt.
Mag.a Elisabeth Halmer: Präventionsbeauftragte sind Vertrauenspersonen, die betroffene Person begleiten, um Hilfe bei Beratungseinrichtungen oder kompetenten Fachleuten zu holen. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/rs
Josef Prikoszovits von der Vereinigung von Ordensschulen Österreichs (VOSÖ) berichtete, dass an deren Schulen das Thema Prävention im vergangenen Schuljahr ins Zentrum der Fortbildung für Pädagoginnen und Pädagogen gerückt war. Die VOSÖ organisierte an allen Schulstandorten Fortbildungsveranstaltungen. Prikoszovits Fazit: „Die Mühe während der Motivationsphase lohnt, denn nach den Fortbildungsveranstaltungen sind die Pädagoginnen und Pädagogen sehr dankbar, dass sie sich in dieses Thema vertiefen und mit erfahrenen Referentinnen und Referenten einen qualifizierten Austausch pflegen konnten.“
Mag. Josef Prikoszovits (links im Bild): Unsere SchulleiterInnen sollen durch Präventionsarbeit gestärkt und befähigt werden, sich bei Verdacht von sexuellen Übergriffen professionell zu verhalten. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/rs
Rechtsanwalt Dr. Johannes Öhlböck, Vertreter der Opfer von Missbrauch und Gewalt, wies darauf hin, dass die bestehenden Verjährungsfristen sind nicht zeitgemäß seien; schwerer sexueller Missbrauch von Minderjährigen verjährt schon nach 10 Jahren. Doch Täter sollen sich künftig nach Ablauf der Verjährungsfristen nicht in Sicherheit wiegen dürfen. Daher forderte Öhlböck in seinem Statement die Abschaffung der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verjährungsfristen bei schwerem sexuellem Missbrauch von Minderjährigen.
Dr. Johannes Öhlböck: Die bestehenden Verjährungsfristen sind nicht zeitgemäß. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/rs
Mag.a Annelies Strolz stellte die Arbeit der Organisation „die möwe“ vor. Seit mehr als 25 Jahren ist der unabhängige Verein im Bereich Kinderschutz tätig. In fünf Kinderschutzzentren in Wien und Niederösterreich bieten sie kostenlose Unterstützung von Kindern, Jugendlichen, Bezugspersonen bei Gewalterfahrungen und ihren Folgen. Mit den „Trau-Dich Workshops“ in Schulen leistet „die möwe“ auch Präventionsarbeit vor Ort. Strolz: „Das Miteinander professionell informierter PädagogInnen, sensibilisierter Eltern und aufgeklärter, achtsam vorbereiteter Kinder ist der wirksamste Schutz vor sexueller Gewalt.“
Mag.a Annelies Strolz: Der Verein "die möwe" leistet mit "Trau-Dich Workshops" auch Präventionsarbeit in Schulen. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/rs
[rs]