Ordensschulen als gesicherten und angstfreien Raum für religiöse Verschiedenheit entwickeln
Der Wiener Religionspädagoge Martin Jäggle gleich zu Beginn: „Somit stellt sich die Frage: Mit welchem Selbstverständnis und in welcher Form können katholische Schulen in der religiös pluralen Situation ihren schulpastoralen Dienst anbieten?“ Martin Jäggle definiert so den Ausgangspunkt für Schulpastoral heute: „Das Ziel ist eine Religionen-sensible Schulpastoral als Beitrag zu einer humanen Schulkultur.“
Selbstvergewisserung in den persönlichen Erfahrungen
„An erster Stelle will ich alle, die an katholischen Schulen verantwortlich agieren, zur biographischen Selbstreflexion angesichts religiöser und kultureller Diversität anregen“, lädt Jäggle die Verantwortlichen ein: „In einer pluralen und diversen Gesellschaft aufzuwachsen, ist für jüngere Menschen heute ganz normal und für an Lebensjahren ältere wahrscheinlich eine spezielle lebensgeschichtliche Herausforderung.“ Das braucht diese Selbstvergewisserung in den eigenen persönlichen Erfahrungen. Mit Verweis auf Papst Franziskus stellt der Pädagoge die heutige Herausforderung klar vor Augen: „Ein besonderer Blick gehört jenen, die als sozial, kulturell, religiös ‚Andere‘ am Rand der Gesellschaft, der Schule, der Klasse leben, an den Rand gedrängt sind oder randständig gehalten werden.“ Die verlockende Falle des Paternalismus verleitet dazu, sich für diese individuell einzusetzen. Jäggle sieht eine breiter angelegte Herangehensweise: „Entscheidender wäre aber, diesen Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zu eröffnen, die Exklusionsdynamiken zu reduzieren und Partizipation zu ermöglichen. So können arme Kinder gestärkt aufwachsen, wenn sie dazugehören, partizipieren können, beansprucht und unterstützt werden.“
Treffen von Ordensschul-Verantwortlichen
Kriterien einer humanen Schulkultur
Jäggle benennt Kriterien für eine humane Schulkultur, „die immer abhängig ist vom jeweiligen Menschenbild“. Aus christlicher Sicht ist der Mensch als Geschöpf gleich und verschieden, ausgerichtet auf Schaffen und Muße. Gerade an Ordensschulen und katholischen Privatschulen stellen sich folgende Fragen: „Wer kann als welt-, zukunfts- und transzendenzoffen und gleichzeitig als fragmentiert, leid-, trauer- und schuldfähig in der Schule einen Platz finden? Wie geht die Schule mit Diversität und Differenz um? Und: Wie gewinnen junge Menschen Selbstwert vor jeder Bewertung und Beurteilung?“ Jäggle sieht in den Schulen die Chance, „einen safe space für verletzliche Differenz zu gestalten“. Die Humanität eines Menschen zeigt sich in seiner Fähigkeit, die eigenen Schwächen und die anderer zu akzeptieren. Das kann in „gesicherten Räumen“ dafür passieren. Gerade in der Pflege der Vielfalt und Differenz sieht Jäggle eine große Chance: „Aber in Schulen fehlt in der Regel ein Konzept, das ihnen ermöglicht, religiöse Differenz zu würdigen und die Situation religiöser Vielfalt differenziert wahrzunehmen“. Als tiefen theologischen Grund für religiöse Pluralität sieht Jäggle die „Unermesslichkeit Gottes, der Liebe ist.“ Jesus ist konstitutiv für das Heil aller und bringt die Heilsgeschichte zu ihrem Höhepunkt „nicht durch Ersetzen oder Verdrängen, sondern durch Bestätigung und Vollendung.“ Jäggle lotet am Schultag den größeren Rahmen für Ordensschulen und katholische Privatschulen aus: „Religion, Privatsache und öffentlich relevant, ist ein prekäres Thema in Schule und Gesellschaft, auch angesichts der Vielfalt, der Tendenz zur Individualisierung und Intimisierung. Das benötigt die Fähigkeit der religiösen Selbstreflexion und Selbstrelativierung. So kann religiöse Differenz zu einem nicht normativen Thema werden. Gerade konfessionell geprägte Schulen können sich als „gesicherten Raum“ etablieren, in dem es möglich ist, ohne Angst verschieden zu sein.“
[fk]