Franziskanerinnen nehmen Familie aus der Ukraine auf
Familie Netrylov: Drei Generationen leben zurzeit bei den Franziskanerinnen in Simmering. (c) OÖK/emw
Seitdem die Nachricht draußen ist, dass die Franziskanerinnen in Simmering eine Familie aus der Ukraine beherbergen, überschlagen sich die zahlreichen Hilfsangebote von Freunden, Bekannten und Menschen, die einfach helfen wollen. „Es ist toll, wie viel Hilfe wir erhalten. Die Eltern aus dem Kindergarten bringen etwa Kleidung, von unseren Mitschwestern aus Bruck erhielten wir Decken“, erzählt Sr. Elisabeth Knapp, die Leiterin des Hauses.
Am Samstag kam Familie Netrylov bei den Schwestern in Simmering an, Maksym, seine Frau und ihre drei Töchter – neun, sieben und vier Jahre alt, deren Namen hier nicht genannt werden sollen. Tags darauf kamen noch die Schwiegereltern als auch die Schwägerin mit den beiden Kindern dazu. „Jetzt sind sie zu zehnt, fünf Erwachsene und fünf Kinder.“
Aufnahme von Bila Zerkwa. (c) Wikipedia
Bomben in Bila Zerkwa
Maksym erzählt uns - er spricht als Einziger der Familie Englisch - dass er mit seiner Familie davor schon tagelang unterwegs war. Insgesamt hatte die Familie bis zu ihrer Ankunft in Wien fast 1.500 Kilometer zurückgelegt -mit dem Auto, zu Fuß, mit dem Zug und die letzten Kilometer mit der U-Bahn.
Sie wohnten in einer Wohnung in Bila Zerkwa, eine Kleinstadt 80 Kilometer südlich von Kyjiw. „Wir hatten ein gutes Leben dort. Drei gesunde Kinder, die zur Schule, bzw. in den Kindergarten gingen. Meine Frau, die sich daheim um unsere Familie kümmerte, einmal im Jahr gab es Urlaub“, erinnert sich Maksym. Er arbeitete in Kyjiw in einem Unternehmen, das Jagd- und Fischerausrüstung verkaufte und pendelte täglich. Seine Tage begannen um fünf und endeten oft spät, trotzdem: „Wir waren glücklich.“ Und, Nachsatz: „Wir hatten Frieden.“
Auch am 24. Februar begann sein Tag um fünf Uhr. Nachdem er sich wie immer für die Arbeit fertig gemacht hatte, hörte er plötzlich drei laute Knalle. „Ich habe mir trotzdem nicht viel dabei gedacht.“ Wer denkt denn im 21. Jahrhundert an Krieg, fragt er. Natürlich, jeder wusste um die Schwierigkeiten mit Russland, aber er selbst habe nie erlebt, dass es in der Ukraine eine Rolle spielte, ob man russisch, ukrainisch oder sonst eine Sprache redete – alle wurden akzeptiert.
Deswegen machte er sich auch an diesem Morgen auf zur Arbeit, fuhr mit dem Lift acht Stockwerke zum Auto runter. Dann plötzlich erneut – ein lauter Knall folgte dem nächsten, Druckwellen ließen die Fenster erzittern, die Autoalarme sprangen an. Irgendwas stimmte nicht. Dann die Nachricht: Der Angriff Russlands hat begonnen.
Familienvater Maksym mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Er spricht als einziger Englisch. (c) OÖK/emw
Erste Reaktion: Wut und Panik
„Die erste Reaktion war Panik, was sollten wir tun?“, so Maksym. Sie beschlossen, vorerst daheim in der Wohnung zu bleiben. Die Tage danach waren geprägt vom Fliegeralarm: „Tagsüber war es noch erträglich, aber nicht in der Nacht. Die Kinder hatten Angst und waren müde.“
Nach etwa einer Woche sammelten sie alles Benzin, das sie kriegen konnten, und brachen Richtung Westen in das 400 Kilometer entfernte Kamjanez-Podilskyj auf. Sie erhofften mit Abstand zu den Kampfhandlungen der unmittelbaren Bedrohung zu entgehen. Aber auch dort zeugten ständige Fliegeralarme unerbittlich von der russischen Invasion. Nach ein paar Tagen fuhren sie weiter, verzweifelt.
Was vorher nur eine Idee war, wurde immer mehr zu Gewissheit: Sie wollten die Ukraine verlassen. Maksym war als Familienvater mit drei Kindern von der Wehrpflicht ausgenommen, aber am Anfang war es nicht so klar, ob er mit seiner Familie ausreist. „Ich war so zornig, als ich vom Angriff erfahren habe.“ Natürlich wäre er in den Krieg gezogen, um sein Land und seine Familie zu verteidigen.
Sicherheit der Familie zählt
Aber im Endeffekt zählte nur die Sicherheit seiner Familie: Maksym beantragt in der nächsten Station, die Stadt Mukatschewe in der Karpatenukraine, eine Ausreiseerlaubnis und bekommt sie. Dann ein kleiner Lichtblick: Eine Kollegin seines Schwiegervaters lebt in Deutschland und arbeitet in Salzburg, sie kennt Sr. Gudrun Schellner von den Franziskanerinnen in Simmering, diese hat eventuell eine Unterkunft für sie.
Ein Türschild mit "Herzlich willkommen" auf Ukrainisch begrüßte die Familie in Simmering. (c) OÖK/emw
Die Familie kommt nach Wien
„Es ging dann recht schnell“, erzählte Sr. Elisabeth Knapp. „Wir haben grad überlegt, wo wir uns anmelden sollen, dass wir eine Unterkunft für Flüchtlinge vergeben, als Sr. Gudrun von Familie Netrylov erzählte.“
„Wir haben vorher schon in der Gemeinschaft gesprochen, dass sich die Zimmer perfekt für eine Familie eignen würden - wir haben einen hauseigenen Kindergarten, einen großen Spielplatz und eine Schule in der Nähe. Deswegen haben wir dann auch gleich Maksym mit seiner Familie eingeladen“, so Sr. Elisabeth.
Die Schuhe beim Eingang des Ordenshauses haben sich "verzehnfacht". (c) ÖOK/emw
Maksym erfährt die guten Neuigkeiten in Mukatschewe. Es gilt jetzt „nur“ noch die Fahrt nach Wien zu organisieren. Das hat dank der Hilfe von Freunden und freiwilliger Helfer toll funktioniert: Zu Fuß ging es über die Grenze, zu der sie vorher ein Freund brachte. Ein weiterer Freund fuhr sie zum Bahnhof in Budapest. Maksym ist heute noch überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Ungarn dort: „So viele Menschen, die uns helfen wollten, uns Essen, Unterkunft angeboten haben.“
Am Samstag ging es dann weiter nach Wien zu den Ordensfrauen in Simmering - die wochenlange Reise und Ungewissheit hat vorerst ein Ende. Tags darauf kamen noch die Schwiegereltern und die Schwägerin mit den beiden Kindern nach, so dass jetzt drei Generationen unter einem Dach leben.
Dem Krieg sind sie zwar entkommen, aber die Sorge um Freunde ist groß. Der Bruder seiner Frau habe nicht ausreisen dürfen, sie haben „nur“ zwei Kinder, und kämpfe im Krieg, erzählt Maksym. Auch seine Mutter ist bei ihrem gehbehinderten Mann in Bila Zerkwa geblieben. Sie stehen alle untereinander in engem Kontakt.
Der Zorn und das Unverständnis, dass Putin diesen Krieg begonnen hat, ist groß. „Vielleicht waren am Anfang militärische Einrichtungen das Ziel, aber mittlerweile treffen Bomben und die Schüsse auf Menschen“, erzählt Maksym. Er ist froh, seine Familie in Sicherheit gebracht zu haben und ist überzeugt: „Wir werden diesen Krieg gewinnen, auch wenn es noch Jahre dauert.“
Sr. Elisabeth Knapp: "Wir haben Platz und es war klar, dass wir die Familie aufnehmen." (c) OÖK/emw
Weiterer Wohnraum dringend gesucht
Zurzeit lebt sich die Familie mal ein, es gibt viel Organisatorisches zu tun. Maksym fährt jeden Tag zum Austria Center und versucht, den blauen Pass zu bekommen. Der Andrang dort ist groß, es kann bis zu zwei Wochen dauern. Die Ordensfrauen helfen derweil bei der Anmeldung der Kinder zur Schule und zum Kindergarten. „Den Kindern hilft es sicher, wieder einen geregelten Tagesablauf zu haben“, so Sr. Elisabeth Knapp.
Sie ist froh und erleichtert, den Schritt getan zu haben, ihr Haus für Flüchtlinge zu öffnen. Viele weitere suchen Unterkünfte, Wohnungen - heute gab es einen Aufruf der Österreichischen Ordenskonferenz. Sr. Elisabeth hofft, dass ihre Geschichte Beispiel für andere Ordensgemeinschaften sein kann, ebenfalls jemanden aufzunehmen.