Abt Martin Werlen: Das Heute ungeschminkt in den Blick nehmen
Seine Forderung, „PC einschalten“ sorgt zu Beginn des Ordenstags bei den rund 500 Ordensoberinnen, Ordensoberen und leitenden Verantwortlichen bei den Orden, die am Ordenstag am 24. November 2015 ins Kardinal-König-Haus gekommen waren, für ein wenig Erstaunen. Doch für Überraschung ist Abt Martin Werlen, Benediktiner, Psychologe, Philosoph, Theologe, Buchautor, „Twitter-Abt“ und unbeirrbarer Vordenker innerhalb und außerhalb der Schweizer katholischen Kirche, ohnehin bekannt. Ohne PC sei ein Ordensleben heute nicht mehr möglich, sagt Abt Werlen, und löst das Rätsel auf: Gemeint sei nicht der Computer, sondern das Dekret Perfectae caritatis, die Schrift über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens, das vom Zweiten Vatikanischen Konzil veröffentlicht wurde.
PC fordert einen lebendigen Glauben
Das Dekret fordere von den Ordensleuten, sich den Erneuerungsbestrebungen der Kirche zu eigen zu machen und sie nach Kräften zu fördern. „Doch das bedeutet nicht, den Glauben über Bord zu werfen“, betont der Benediktiner, „im Gegenteil, das bedeutet, wir müssen unseren Glauben leben. Der Glaube ist nicht etwas Statistisches, sondern etwas Lebendiges.“ Dabei seien die Ordensleute selbst in erster Linie angesprochen, und Papst Franziskus gäbe unendlich viele Impulse und Ermutigungen, um Berufung zu entdecken und zu leben. Der Bischof von Rom fordere die Ordensgemeinschaften immer wieder auf, seine Reformbemühungen zu unterstützen. Doch bisher sei es hier "schrecklich ruhig".
Kirchenbild von der Vergangenheit geprägt
Die Frage ist, warum fällt es Ordensgemeinschaften schwer, sich neuen Situationen, Erneuerungen zu stellen? Weil ihre Vorstellung von Kirche von der Vergangenheit geprägt ist, so lautet Werlens Antwort. Viele Systeme seien von der Kirche übernommen worden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das vorherrschende Bild über die Kirchenhierarchie entspreche das einer Pyramide – die Spitze mit dem Papst an erster Stelle wandere über die Bischöfe hinunter zur breiten Basis der Gläubigen. Das war das Model des römischen Staates, das von der Kirche übernommen wurde; die „Kirchenfürsten“ entstanden.
In einem Model sei alles klar, doch das entspreche nicht der Realität. „Eine Kirche, in der alles klar ist, ist nicht katholisch“, betont Abt Werlen. Jesus fordere: Bei euch sei es nicht so. Die Pyramide müsse umgedreht werden; der Papst bezeichne sich als der Servus servorum Dei, der Diener der Diener Gottes, und das müsse nicht nur propagiert, sondern auch gelebt werden – so wie es Franziskus tut. "Er verzichtet auf viel Zeremoniell, hält sich nicht an traditionelle Kleidervorschrift und wohnt im einfachen Gästehaus", zollt Abt Werlen dem Papst Respekt.
Orden haben Zukunft
Dass Veränderungen Angst machen, ist dem Schweizer Ordensmann völlig bewusst; viele Gemeinschaften flüchten deshalb in Traditionen. Abt Werlen: „Doch viele verwechseln Traditionen mit Tradition. Wir haben viele Traditionen, die durch den Zeitgeist aufgenommen und zur Tradition geworden sind. Das sind Nebensächlichkeiten, die wichtig geworden sind. Doch diese Traditionen blockieren uns!“
Sein Credo: Die Ordensgemeinschaften haben Zukunft - wenn sie sich auf ihre Tradition rückbesinnen. Wobei hier ihre ureigentlichsten Bedeutung gemeint sei: die Treue zu Jesus Christus durch den wechselhaften Lauf der Geschichte und die Treue zum jeweiligen Ordens-Charisma. "Wenn durch den Zeitgeist entstandene Traditionen der Tradition der Weitergabe unseres Glaubens im Wege stehen, dann müssen wir sie loslassen", betont Werlen. Der Zeitgeist an sich sei nichts Negatives; wer ihn nicht kennt, könne auch nicht das Evangelium verkünden, aber man müsse das Heute ungeschminkt in den Blick nehmen. [#otag2015]
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[rs]