Missionstag: Schöpfungsverantwortung heißt Systemveränderung
Rund 50 Teilnehmer:innen kamen zum diesjährigen Missionstag. (c) ÖOK/tb
Rund 50 Verantwortliche von missionierenden Orden waren ins Kardinal König Haus im 13. Wiener Gemeindebezirk gekommen, um nachzuforschen, was „Weltweit wirksam und gegenwärtig“ bedeutet. Der Missionstag startete mit Begrüßungsworten von Sr. Anneliese Herzig, Leiterin des Bereichs Mission und Soziales. Sie berichtete, dass es mit Jahresbeginn zwei personelle Veränderungen gegeben hat: Seit 1. Jänner 2023 leitet sie als Nachfolgerin von Lisa Huber diesen Bereich, und Luzia Krenn ist neue Koordinatorin der ARGE ausserordentlich, in der internationale Freiwilligendienste der Ordensgemeinschaften vernetzt sind. Der Missionstag selbst ging den Fragen nach: Wie sind Ordensleute, die weltweit oder in Österreich in eigenen Projekten arbeiten, wirksam? Woran wird diese Wirksamkeit sichtbar? Welche Rolle spielt hier ihre Spiritualität? Und wie können Ordensgemeinschaften auch bei abnehmenden personellen Kräften effektiv und wirksam sein?
Daniel Bacher: Nicht nur tun, sondern auch bewirken!
Den ersten Impuls lieferte Daniel Bacher, Bereichsleiter für Anwaltschaft und Bildung sowie stellvertretender Geschäftsführer der Katholischen Jungschar und ihres Hilfswerks, der Dreikönigsaktion. Er ging der Frage nach: „Wie können wir etwas bewirken? Bringt unsere Arbeit etwas? Verändern wir etwas?“
Daniel Bacher ging der Frage nach: "Wie können wir etwas bewirken? Bringt unsere Arbeit etwas? Verändern wir etwas?" (c) ÖOK/tb
Doch warum werden diese Fragen überhaupt gestellt? Warum gibt es die vorherrschende Meinung, die Entwicklungsarbeit fruchtet nicht? Die Antwort lautete: In den letzten drei Jahrzehnten waren viele Sozial- und Entwicklungsprojekte, die der Westen in Afrika oder in Asien gestartet hatte, zwar gut gemeint, aber sie funktionierten nicht. Die Kritik ging in die Richtung, dass diese Hilfe in einer (wirtschaftlichen) Abhängigkeit von den westlichen Staaten mündete. Dazu wurden „Hilfsgelder“ oft weniger aus sozialen als aus politischen Gründen vergeben und versickerten in unbekannten und/oder zwielichtigen Quellen.
Kritik am „White Saviorism“
Kritisiert wurde auch der „White Saviorism“, ein Konzept, das sich auf den Glauben bezieht, dass weiße Menschen in der Lage sind, anderen Menschen, die nicht weiß sind, zu helfen, ohne dabei die eigenen Privilegien zu hinterfragen. Weiße Menschen versuchten, andere Kulturen und Menschen zu „retten“, indem sie ihnen ihre eigenen Ideen und Kulturen aufzwangen. Die Kritik am White Saviorism beinhaltet auch die Betonung, dass Hilfe nicht nur aus Wohltätigkeit bestehen sollte, sondern auch die Ursachen der Ungerechtigkeiten angehen muss.
Heute geht es darum, Systeme zu verändern und gerechtere Strukturen zu fördern, anstatt nur symptomatische Hilfe zu leisten. Langfristige Veränderungen erfordern das Hinterfragen von Machtverhältnissen, das Teilen von Ressourcen und das Einbinden der Gemeinschaften, die Unterstützung erhalten, in Entscheidungsprozesse. Nur so kann eine Hilfe entwickelt werden, die nachhaltig und respektvoll ist und nicht unterbewusst koloniale Muster wiederholt. Die Forderung „Lasst uns uns selbst entwickeln“ steht im Vordergrund. Viele Staaten riefen auch eine „Wirksamkeits-Revolution“ aus, die die Rechte der Menschen vor Ort in den Mittelpunkt stellten und sich auf ihre Bedürfnisse fokussierten.
Agilität anstatt starrer Pläne
Gegenwärtig leben wir in einer BANI-Welt; eine Welt, die Menschen auf der ganzen Welt in einem Online-Netzwerk miteinander verbindet, um ihre Ideen und Projekte zu teilen und zu verwirklichen. Das BANI-Prinzip (Business Activity Networking Integration) ist ein Ansatz, der es Unternehmen ermöglicht, ihre Geschäftsaktivitäten effizienter zu gestalten. Dieses Prinzip beruht auf Resilienz, Achtsamkeit, Anpassungsfähigkeit und Transparenz. Doch was bedeutet wirksam sein in einer Welt, die aktuell brüchig und unberechenbar wie seit Jahrzehnten nicht geworden ist? Wirksamkeit erfordert mehr als Professionalität. Agilität, Resilienz, Mut und Offenheit als Zutaten wirksamen Handelns. Wirksames Handeln in turbulenten Zeiten erfordert Agilität anstatt starrer Pläne. Heute ist jedoch auch die Stärkung der persönlichen Resilienz entscheidend. Agiles Handeln führt zu besseren Ergebnissen in einer unsicheren und komplexen Welt. Agilität ist jedoch nicht mit schnellerem Handeln zu verwechseln. Der Weg zum Ziel gewinnt an Bedeutung. „Wichtig ist, Mut zu haben und sich nicht von Angst leiten zu lassen“, so das Fazit von Daniel Bacher.
Die Rolle von Spiritualität in der Wirksamkeit
Mit der Frage „Welche Rolle spielt die Spiritualität, wenn wir von Wirksamkeit reden?“ beschäftigten sich Sr. Hemma Jaschke, die Provinzoberin der Steyler Missionsschwestern und Sr. Christa Petra Ahrer, die Missionsprokuratorin der Steyler Missionsschwestern, im zweiten Impuls des Tages. Sie berichteten aus ihrem Alltag und teilten ihre Erfahrungen mit den Anwesenden. Zu den beiden Begriffen „Wirksamkeit“ und „Spiritualität“ meinte Sr. Christa Petra Ahrer: „Ich kann das eine vom anderen eigentlich nicht trennen. Alles, was wir tun, tun wir, weil wir Missionsschwestern sind, aus unserer Berufung heraus.“ Wichtig sei es, in dem was man tut, authentisch und ehrlich zu sein. „Alles, was wir an Projekten tun, soll Ausdruck davon sein, dass uns eine Botschaft geschenkt ist, die andere ermutigen und zu mehr Leben führen soll.“
Sr. Hemma Jaschke und Sr. Christa Petra Ahrer von den Steyler Missionsschwestern berichteten von ihrem Alltag. (c) ÖOK/tb
Die Präsenz der Ordensleute, die weltweit tätig sind, habe in Österreich zwar stark abgenommen, die Möglichkeit zu Begegnung und Gespräch bestehe aber auf der ganzen Welt. Der missionarische Auftrag bedeute auch immer, auf die Leitlinien des letzten Generalkapitels zu achten. Auch Faktoren wie die Bedingungen vor Ort, die Kontinuität eines Projekts oder die Zusammenarbeit mit anderen Ordensgemeinschaften und Partnern müssen geklärt werden. Ein wichtiger Punkt seien auch die Spender:innen: „Wir versuchen, etwas zu bewegen und Bewusstseinsbildung zu machen, um miteinander diesen missionarischen Auftrag gut zu erfüllen.“
Sr. Hemma Jaschke betonte die Wichtigkeit der Beziehungspflege und der Sensibilität und Kommunikation im Umgang mit finanziellen Mitteln. Sie wies außerdem auf den Freiwilligendienst der Ordensgemeinschaft „MaZ – Missionarin auf Zeit“ hin: „Die Besonderheit ist, dass es nicht nur Sozial- oder Entwicklungshilfe ist, sondern, dass wir gezielt junge Menschen einladen, an unserem Ordenscharisma teilzuhaben.“ Essenziell in Bezug auf den missionarischen Auftrag sei auch das Zusammenwirken von Professionalität und Ordenscharisma, das jungen Steyler Missionsschwestern bereits in der Ordensausbildung mitgegeben werde. Zum Abschluss gab Sr. Hemma Jaschke den Zuhörer:innen einen Leitsatz mit, der sie seit ihrem Einsatz in Mexiko begleitet: „Die Menschen werden sich nicht daran erinnern, was du alles getan hast, sondern wie du mit ihnen gelebt hast und da gewesen bist.“
Amina Behmen: Der Mensch trägt Verantwortung für die Schöpfung
Der Nachmittag stand ganz im Zeichen des Themas „Schöpfungsverantwortung“. Amina Behmen und P. Franz Helm sprachen darüber, „warum gläubige Menschen in der Klimabewegung präsent und wirksam sein müssen“.
Für die muslimische Klimaaktivistin Amina Behmen leitet sich ihr Engagement aus ihrem Glauben ab. Der Koran betont, dass Menschen als Verwalter der Schöpfung Gottes auf der Erde ernannt wurden und verantwortlich sind, sie zu schützen und zu erhalten. Diese Verantwortung umfasst nicht nur die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, sondern auch die Verpflichtung, die Umwelt zu schützen und zu bewahren. „Die Erde ist ohnehin im Gleichgewicht“, sagte Amina Behmen, „der Mensch trägt Verantwortung, dass er für dieses Gleichgewicht zu sorgen hat. Er ist quasi der Vertreter, dem diese Aufgabe zukommt.“ Die muslimische Klimaaktivistin betonte, dass der Schutz der Umwelt ein integraler Bestandteil des muslimischen Glaubens ist und dass die ökologische Krise, mit der die Welt konfrontiert ist, auch eine spirituelle Dimension hat. Sie ruft dazu auf, die ökologischen Prinzipien des Islams in die Praxis umzusetzen, um nicht nur für die heutige Gesellschaft, sondern auch für zukünftige Generationen eine nachhaltige und gerechte Welt zu schaffen. „Wir müssen endlich etwas an unserer ungerechten Lebensweise ändern“, forderte Behmen. „Wir können nicht ständig so weitermachen.“
Die muslimische Klimaaktivistin Amina Behmen gab am Missionstag einen Impuls zum Thema Schöpfungsverantwortung. (c) ÖOK/tb
Die Umweltaktivistin berichtete von zahlreichen Umweltinitiativen mit muslimischem Hintergrund, die zum Teil auch weltweit vernetzt seien. In manchen Ländern wie etwa Pakistan hätten es solche Gruppen sehr schwer und könnten nur dank internationaler Solidarität aktiv sein. Wie P. Helm hob auch Behmen hervor, dass das Gleichgewicht auf Erden stets auch an Gerechtigkeit gebunden sei.
P. Franz Helm: Schöpfungsverantwortung heißt Systemveränderung
Für Ordensleute führt an der Klimabewegung kein Weg vorbei, das betonte P. Franz Helm, freilich ohne das Engagement für Schöpfungsverantwortung auf die Orden einschränken zu wollen. Helm geht es darum, dass nicht nur jeder einzelne Mensch Verantwortung übernehmen muss, sondern „dass es bei der Schöpfungsverantwortung wirklich um eine Systemveränderung gehen muss. Es gilt für unser kapitalistisches System, das weltweit zerstörerisch wirkt.“ Helm ist u.a. in der Bewegung Religions for Future aktiv. Lange Zeit betrachtete der Steyler Missionar Umwelt-NGOs als unliebsame Konkurrenz, die Spendengelder wegnehmen für einen Bereich, den er als nicht so wichtig erachtet hätte, nämlich die Natur. Das hat sich grundlegend gewandelt – „auch aus dem Grundgedanken heraus, wo ist Gott gegenwärtig? Da, wo Menschen nach Leben und Zukunft suchen.“ Die Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus mit dem Kernsatz „Alles ist miteinander verbunden“ betrachtete Helm als Geschenk: „Es gilt, in dieser Verbundenheit zu leben und Verantwortung zu übernehmen für dieses Lebensnetz, von dem wir ein Teil sind. Diese Grundeinsicht begleitet mich.“
P. Franz Helm betonte am Missionstag, dass für Ordensleute kein Weg an der Klimabewegung vorbeiführt. (c) ÖOK/tb
Der Ordensmann wies auch auf die kirchliche Schöpfungszeit vom 1. September bis 4. Oktober hin. Diese müsse innerhalb der Kirche noch viele mehr Gewicht bekommen und auch liturgisch intensiver ausgestaltet werden, ähnlich Advent/Weihnachten oder auch der Fastenzeit und Ostern.
Es braucht eine Veränderung der Art und Weise, wie gewirtschaftet wird, wie wir leben, wie wir konsumieren, betonte Helm. Das alles hängt zusammen mit diesem System, in dem wir drinnen sind, wo es gewisse Gesetze gibt, die ein Gesetzgeber beschließt, wo es Rahmenbedingungen gibt, und diese Rahmenbedingungen müssen verändert werden. Die Jugend schreit auf nach Klimagerechtigkeit und ist auf der Straße. „Da mitzugehen und mit ihnen zusammen diese Veränderung der Rahmenbedingungen einzufordern, ist mir immer wichtiger geworden“, zeigte sich Helm kämpferisch.
Er mahnte Gerechtigkeit in mehrfacher Hinsicht ein: Es brauche Gerechtigkeit für die Menschen im Globalen Süden, die am wenigsten für die Klimaveränderung können, aber am meisten darunter leiden. Es brauche Gerechtigkeit für die kommenden Generationen, die ein Recht auf eine lebenswerte Umwelt hätten. Zudem sei der Einsatz für die Umwelt auch Konsequenz des christlichen Glaubens an einen Schöpfer, "der diese Welt so wunderbar geschaffen und geordnet hat". Letztlich sei der Einsatz für die Schöpfung auch eine Frage der eigenen Würde, so Helm, "damit man sich einmal nicht schämen muss, nichts getan zu haben."
Podiumsdiskussion zum Abschluss
In der abschließenden Podiumsdiskussion zeigte sich u.a. Sr. Anneliese Herzig überzeugt, dass das Thema Schöpfungsverantwortung auch innerhalb der Österreichischen Ordenskonferenz noch stärkeres Gewicht bekommen sollte. Herzig ist Bereichsleiterin für Mission und Soziales in der Ordenskonferenz. Sie berichtete zudem von ihren Aktivitäten im Team des "Kirchlichen Umweltpreises", bei der auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Evangelischen Kirche sehr bereichernd sei.
Daniel Bacher von der Dreikönigsaktion wies u.a. auf die fast zehnjährige Lobbyarbeit für ein strenges EU-Lieferkettengesetz hin. Er zeigte sich zuversichtlich, dass im Juni 2024 endlich ein entsprechendes und nur wenig verwässertes Gesetz beschlossen werden wird. Das Beispiel zeigte die Notwendigkeit eines langen Atems und wie lange es auch brauche, breite Schichten der Bevölkerung überhaupt zu erreichen.
Anja Appel, Daniel Bacher, Sr. Anneliese Herzig, Luzia Krenn und Christopher Paul Campbell schlossen den Missionstag mit einer Podiumsdiskussion ab. (c) ÖOK/tb
Christopher Campbell, Leiter des Ordenszentrums Quo Vadis, sprach von der Notwendigkeit, positive Formen des Umgangs mit Katastrophen und Krisen zu finden. Nur so könne man die Mehrheit der Bevölkerung motivieren, sich für ein brennendes Thema zu engagieren.
In die gleiche Kerbe schlug auch Luzia Krenn vom Volontariats-Programm "ausserordentlich.at".Es gelte, das Positive in den Vordergrund zu stellen, um nachhaltig wirksam zu werden. Sie berichtete von den vielen jungen, motivierten Leuten, die sich im Rahmen eines Auslandsaufenthalts für eine bessere Welt engagieren. Das mache Hoffnung.
"Wer gibt meinen Kindern Hoffnung", fragte schließlich Anja Appel, Geschäftsführerin der "Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission" (KOO). Es reiche nicht, wenn sich einige Aktivistinnen und Aktivisten für den Schutz der Umwelt einsetzen, die Klimabewegung müsse zu einer noch viel breiteren Bewegung werden.
Appel sprach zudem vor noch bevorstehenden globalen Konflikten und Verteilungskämpfen um die essenziellen Ressourcen auf der Welt. Hier seien die Religionen, die Kirchen und auch die Orden im Speziellen gefragt, um ihren Erfahrungsschatz an gelingender Kommunikation und Konfliktlösung einzubringen, so Appel.
Quelle: ÖOK, kathpress