Bildungstag: Experten-Plädoyer für positiven Umgang mit Ängsten in Schulen
Die hochkarätigen Vortragenden plädierten für einen positiven Umgang mit Ängsten. (v.l.n.r.) Golli Marboe, Petra Ramsauer, David Novakotivs. (c) ÖOK/rm
Mit dabei war unter anderem Bischof Wilhelm Krautwaschl, der in der Österreichischen Bischofskonferenz für Schule und Bildung zuständig ist.
Der Wiener Religionspädagoge David Novakovits wies auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hin, denen Kinder und Jugendliche heute besonders ausgesetzt seien: Beschleunigung, ständige Effizienzsteigerung und Selbstoptimierung. Die Angst bzw. der Druck und Stress, nicht zu genügen bzw. nicht dazuzugehören, sei für die jungen Menschen enorm. Novakovits sprach in diesem Zusammenhang auch von den "Pathologien der Leistungsgesellschaft". Der Religionspädagoge ermutigte weiters die Schulverantwortlichen, genau hinzusehen, wo auch Schulstrukturen Ängste erzeugen.
Religionspädagoge und Theologe David Novakovits fokussierte in seinem Impuls "Schule als Lernort des Scheiterns". (c) ÖOK/rm
Die Lehrerinnen und Lehrer sollten letztlich ein "Gegenmittel" gegen die Ängste der Schüler bereithalten. Guter Unterricht solle den Kindern und Jugendlichen dabei helfen, die für sie unbekannte Welt und deren Relevanz zu erschließen. Freilich hätten auch die Lehrerinnen und Lehrer Ängste, die in einer guten Schulkultur thematisiert werden sollten.
Krieg und Terror zum Thema machen
Viele Aspekte von Angst konnte auch die frühere Kriegsberichterstatterin Petra Ramsauer in den "Schultag" einbringen. Ramsauer war beruflich viel in Syrien, im Irak, Libyen oder Afghanistan unterwegs. Sie recherchierte auch zu jenen jungen Leuten, die sich dem IS anschlossen. Die jungen Frauen aus Österreich hätten die Erfahrung gemacht, nicht zu genügen und nicht dazuzugehören.
Zur Frage, wie man die angstbehafteten Themen Krieg und Terror in den Schulen auffangen kann, verwies die Journalistin auf die "1:5-Faustregel". Für jede grausame Botschaft brauche es fünf positive Informationen, um das Negative auch annehmen bzw. verarbeiten zu können. So gelte es auch, in allen Kriegen und Konflikten stets positive Akzente zu sehen und zu vermitteln. Im Unterricht sollte man stets einen 360-Grad-Blick auf Krisen versuchen. "Auch in Kriegsgebieten gibt es immer Zeiten und Orte, wo es Hoffnung gibt, wo Menschen Lösungen finden, mit der Situation umzugehen." Auch das müsse man darstellen, sonst bleibe bei den Jugendlichen nur das Negative haften.
Petra Ramsauer, Krisen- und Kriegsjournalistin, brachte in ihrem Impuls viele Aspekte von Angst ein. (c) ÖOK/rm
Es könne auch helfen - und wurde etwa im Blick auf den Ukraine-Krieg auch vielfach praktiziert - dass man kleine Hilfsaktionen anstößt, bei denen die Schülerinnen und Schüler selbst wirksam werden und das Gefühl der Hilfslosigkeit überwunden wird.
Als eine zentrale Grundangst bezeichnete Ramsauer, die derzeit eine Ausbildung zur Psychotherapeutin absolviert, die Angst vor dem Sterben. Dass der Mensch ein zerbrechliches und sterbliches Wesen sei, werde in der Gesellschaft zunehmend tabuisiert; nach dem Motto "Wenn ich alles richtig mache, dann kann ich gar nicht sterben". Freilich eine Illusion, wobei sich zeige, dass Menschen, die einen Sinn in ihrem Leben gefunden haben und auch große Herausforderungen bewältigen konnten, weniger Angst vor dem Tod hätten.
Kritik übte Ramsauer, an der "Pathologisierung von Angst". Angst sei bis zu einem gewissen Grad natürlich und auch notwendig. Angst könne dazu bewegen, aus der Wohlfühl-Ecke auszubrechen und neue Lösungen und Wege zu suchen und auch zu finden. Das Gegenmodell zu Angst sei auch nicht Mut, sondern Gelassenheit. "Dass man zulässt, dass nicht alles immer kontrollierbar ist". Es gebe schlicht keine "100-Prozent-Sicherheitskultur". Und das sei auch gut so.
Im Blick auf die Schulen plädierte Ramsauer u.a. für eine "wohlmeinende Fehlerkultur" und ein Hinterfragen des immer stärker werdenden Trends zur Selbstoptimierung.
Golli Marboe stellte das seit rund einem Jahr laufende Projekt "Mental Health Days" vor. "Wir müssen lernen über unsere Gefühl zu reden", plädierte der Journalist und Medienexperte. (c) ÖOK/rm
#
Psychische Gesundheit kein Tabu-Thema
Der Journalist und Medienexperte Golli Marboe stellte das seit rund einem Jahr laufende Projekt "Mental Health Days" vor. Es gehe darum, einen Beitrag zu leisten, "dass man in unserer Gesellschaft über Seele, Psyche und Gefühle offener zu sprechen lernt und falls man einmal eine psychische Krise hat, den Mut findet, eine der zahlreichen Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen", so Marboe, der sich vor allem seit dem Suizid seiner Sohnes Tobias 2018 intensiv dieser Thematik widmet; mit Büchern und weiteren Publikationen, Vorträgen und nun eben auch mit den "Mental Health Days".
Adressiert und gestaltet sind die "Tage der psychischen Gesundheit" für die gesamte Schulgemeinschaft: die Workshops richten sich an Schülerinnen, Lehrlinge, Pädagoginnen und Erziehungsberechtigte.
Bei psychischen Problemen brauche es professionelle Hilfe, so eine Plädoyer Marboes. Dies sei nicht die Aufgabe der Pädagoginnen und Pädagogen, sondern der Psychologen und Psychotherapeuten.
Quelle: kathpress