„Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben.“
Kathrin Schroeder: "Wir brauchen einen neuen Strukturwandel, um als Menschheit in den planetarischen Grenzen überhaupt leben zu können." (c) Manu Nitsch
Der Samstagvormittag startete mit einer Andacht in der Kapelle von St. Virgil, in deren Mittelpunkt Schöpfungsspiritualität stand. Das dritte Referat der tagung.weltkirche 2023 hielt Kathrin Schroeder. Sie beschäftigte sich bereits während ihres Geografiestudiums an der Ruhr Universität Bochum mit nachhaltiger Entwicklung, Klimapolitik und Umweltgerechtigkeit. Seit neun Jahren ist sie für Misereor tätig und leitet derzeit die Abteilung "Politik und globale Zukunftsfragen".
Misereor: Förderung von Nachhaltigkeit, Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit
Misereor ist eine katholische Hilfsorganisation, die 1951 in Aachen gegründet wurde. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen in Not zu helfen und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Misereor arbeitet auf internationaler Ebene und unterstützt Projekte in mehr als 80 Ländern. Sie konzentriert sich auf die Förderung von Nachhaltigkeit, Menschenrechten, Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit.
Ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit von Misereor liegt auf der Förderung von nachhaltiger Entwicklung. Die Organisation unterstützt Projekte, die sich für Umweltschutz, den Erhalt der Biodiversität und den klimafreundlichen Einsatz von Ressourcen einsetzen. Misereor fördert auch die Ausbildung von Menschen vor Ort, um nachhaltige Lösungen für die Probleme ihrer Gemeinden zu finden. Die Organisation legt großen Wert auf Transparenz und Rechenschaftspflicht und stellt sicher, dass die Mittel effizient und sorgfältig eingesetzt werden.
Planetare Grenzen: Widerstandskraft der Erde nimmt kontinuierlich ab
"Die Widerstandskraft unseres Planeten nimmt tatsächlich kontinuierlich ab", betonte Schroeder und präsentierte eine Studie, die die sogenannten "Planetaren Grenzen" der Erde zeigen. "Planetare Grenzen zeigen, was kann ein Planet eigentlich aushalten? Und die Studie beweist, dass im Bereich Klimawandel, Biosphäre, Landnutzung, Wasser, Ozeanversauerung und Luftverschmutzung - Sechs von neun – die planetarischen Grenzen definitiv überschritten sind."
Zum einen trägt die globale Erwärmung zu einer Veränderung des Klimas bei, was zu einer Verringerung der Widerstandskraft führt. Zum anderen führt die zunehmende Verschmutzung des Planeten durch den Menschen zur Zerstörung der natürlichen Ressourcen des Planeten und in der Folge zur Abnahme der Widerstandskraft. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Widerstandskraft des Planeten sind deshalb nicht zu unterschätzen. Um die Widerstandskraft des Planeten zu erhalten und zu stärken, sind dringende Maßnahmen erforderlich.
Eine Möglichkeit, die Widerstandskraft des Planeten zu erhalten, ist die Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Dies kann durch den Umstieg auf erneuerbare Energien wie Solarenergie und Windkraft erreicht werden. Individuelle Handlungen wie das Fahrrad fahren oder das Auto teilen können ebenfalls dazu beitragen, den CO2-Fußabdruck zu verringern. Darüber hinaus ist es wichtig, die Verschmutzung der natürlichen Ressourcen zu reduzieren. Dies kann durch eine verbesserte Abfallwirtschaft und die Förderung des Recyclings erreicht werden. Auch die Unterstützung nachhaltiger Landwirtschaftspraktiken und der Schutz der natürlichen Lebensräume sind von großer Bedeutung.
Um die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren, müssen wir uns auch auf Anpassungsmaßnahmen konzentrieren. Die Förderung von klimaresistenten Pflanzenarten und die Wiederherstellung von Ökosystemen können dazu beitragen, die Widerstandskraft des Planeten gegenüber den Veränderungen des Klimas zu stärken.
Agenda 2030: Ziele nicht erreicht
Doch die Realität sieht anders aus: Vor kurzem, im September 2023, fand in New York der "Agenda 2030"-Gipfel statt. 2015 hatte man in dem internationalen Abkommen das Prinzip der Nachhaltigkeit mit der Armutsbekämpfung und der ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung verknüpft. Die Agenda sollte helfen, allen Menschen weltweit ein Leben in Würde zu ermöglichen. Jetzt zog man Halbzeitbilanz von den Nachhaltigkeitszielen – und das Ergebnis war ziemlich erschütternd. Es sind mehr Menschen in Armut gekommen als noch vor einigen Jahren; auch bei Hunger, Schulbildung und Gesundheit hat sich die Lage verschlechtert.
Auch die Klimakrise hat sich verstärkt. "Es ist auf jeden Fall deutlich sichtbar, wir sind weit entfernt vom richtigen Weg", betonte Kathrin Schroeder. "Im Prinzip sollte bis 2030 ein Ende der fossilen Energieförderung stattgefunden haben. Es sollten für den globalen Süden 200 bis 400 Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden für das ganze Paket Anpassung, Klimaschutz und natürlich auch die Bekämpfung von Verlusten und Schäden. Und es sollte dreimal mehr Ausbau erneuerbarer Energien passieren und eine Verdopplung der Energieeffizienz muss es geben. Sonst wird das alles nichts."
Kathrin Schröder bot mehrmals die Möglichkeit, in kleinen Gruppen das Gehörte zu diskutieren und auch Fragen zu formulieren. (c) Manu Nitsch
Donut-Ökonomie
Die Donut-Ökonomie ist ein Konzept, das von dem britischen Ökonomen Kate Raworth entwickelt wurde. Es ist ein neues Modell für eine nachhaltige Wirtschaft, das darauf abzielt, die Menschen und die Umwelt gleichermaßen zu schützen. Es basiert auf dem Konzept, dass eine nachhaltige Wirtschaft ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen des Planeten und den Bedürfnissen der Menschen herstellen muss.
Das Modell besteht aus zwei Teilen: einem inneren Ring, der die sozialen Grenzen darstellt, und einem äußeren Ring, der die ökologischen Grenzen darstellt. Der innere Ring stellt die Mindeststandards dar, die erfüllt werden müssen, um die sozialen Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, wie z.B. ein gesichertes Einkommen, gesunde Ernährung, Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit. Haben die Menschen ausreichend Essen? Haben sie Zugang zu Energie, zu bestimmten Wohnbedingungen? Wie sieht es mit der Geschlechtergerechtigkeit, mit sozialer Gerechtigkeit aus? Gibt es Frieden? Haben die Menschen genug Einkommen?
Der äußere Ring stellt die ökologischen Grenzen dar, die erfüllt werden müssen, um die Umwelt zu schützen und eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen sicherzustellen. Dazu gehören Maßnahmen wie die Begrenzung des CO2-Ausstoßes, der Schutz der Artenvielfalt, die Erhaltung der natürlichen Ressourcen und die Reduzierung von Abfall und Umweltverschmutzung.
Die Donut-Ökonomie betont auch die Bedeutung von Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der Wirtschaft. Sie legt Wert darauf, dass alle Menschen Zugang zu den Grundbedürfnissen haben sollten und dass niemand in Armut oder Ausgrenzung leben sollte. Dies erfordert eine Umverteilung von Ressourcen und Einkommen, um sicherzustellen, dass jeder ein menschenwürdiges Leben führen kann.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Donut-Ökonomie ist die Förderung lokaler Wirtschaftssysteme und Gemeinschaften. Statt auf globale Konzerne und den freien Markt zu setzen, werden lokale Unternehmen und Genossenschaften unterstützt. Dies stärkt nicht nur die lokale Wirtschaft, sondern fördert auch die soziale Interaktion und den Zusammenhalt in der Gemeinschaft.
Um die Donut-Ökonomie umzusetzen, müssen Regierungen, Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes zusammenarbeiten. Es erfordert politische Maßnahmen wie eine faire Besteuerung, die Förderung erneuerbarer Energien und nachhaltiger Landwirtschaft, sowie Investitionen in Bildung und Gesundheitswesen. Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle überdenken und nachhaltige Praktiken implementieren. Jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten, indem er bewusste Kaufentscheidungen trifft und seinen ökologischen Fußabdruck reduziert.
Sozial-ökologische Transformation
"Ich finde, das ist eine gute Überleitung zu diesem Thema sozial-ökologische Transformation", kam Kathrin Schroeder auf das Hauptthema zu sprechen. "Wir brauchen einen neuen Strukturwandel, um als Menschheit in den planetarischen Grenzen überhaupt leben zu können. Wir müssen viel verändern, deswegen eine große Transformation, die aber gut gesteuert und gestaltet werden soll." Zum ersten Mal wurde das Konzept durch das Buch "The Great Transformation" des Wirtschaftssoziologen Kurt Polanyi aus dem Jahr 1944 bekannt. Er setzte sich im Prinzip kritisch mit den großen Umwälzungen in den USA von der Agrar- zur Industriegesellschaft auseinander. Sozial-ökologische Transformation ist ein Prozess, der die Veränderung des Verhaltens und der Strukturen der Menschen und ihrer Beziehungen zur Natur und zur Umwelt umfasst. Es ist ein umfassender Ansatz, der soziale, ökonomische, politische, kulturelle und ökologische Aspekte berücksichtigt. Es geht darum, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, indem man die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt untersucht und die notwendigen Veränderungen vornimmt.
Sozial-ökologische Transformation beinhaltet den Aufbau eines neuen Systems, das die Bedürfnisse der Menschen und die Ressourcen der Umwelt berücksichtigt. Dazu gehört die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe, die Entwicklung von ökologischen Wirtschaftssystemen, die Förderung nachhaltiger Lebensstile, die Entwicklung von Wissen und Kompetenzen, die Förderung von Innovationen und die Stärkung des ökologischen Bewusstseins.
Sozial-ökologische Transformation ist eindynamischer Prozess, der verschiedene Akteure und Ebenen umfasst. Eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Transformation ist die aktive Beteiligung der Menschen in allen Phasen des Wandels. Dies erfordert eine offene und inklusive Dialogkultur, in der unterschiedliche Perspektiven und Interessen berücksichtigt werden. Ein zentraler Schwerpunkt der sozial-ökologischen Transformation liegt in der Entwicklung und Umsetzung von ökologischen Wirtschaftssystemen. Dabei geht es nicht nur um die Förderung von umweltfreundlichen Technologien, sondern auch um die Schaffung von gerechten Arbeitsbedingungen und die Sicherstellung eines fairen Zugangs zu Ressourcen und Wohlstand. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Förderung nachhaltiger Lebensstile. Dies beinhaltet die Sensibilisierung der Menschen für die Auswirkungen ihres Konsumverhaltens und die Unterstützung bei der Umstellung auf ressourcen- und klimaschonende Alternativen. Hierbei spielen Bildung und Bewusstseinsbildung eine zentrale Rolle, um ein Umdenken und Handeln in der Bevölkerung zu erreichen.
Darüber hinaus ist die Entwicklung von Wissen und Kompetenzen von großer Bedeutung. Dies beinhaltet sowohl die Förderung von Forschung und Innovation auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit als auch die Stärkung der Bildungssysteme, um zukünftige Generationen auf die Herausforderungen des ökologischen Wandels vorzubereiten.
Die sozial-ökologische Transformation erfordert auch die Stärkung der politischen Rahmenbedingungen und die Förderung von institutionellen Veränderungen. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, das nachhaltiges Handeln unterstützt und Anreize für ökologische Innovationen bietet. Insgesamt stellt die sozial-ökologische Transformation eine große Herausforderung dar, die eine gemeinsame Anstrengung erfordert. Es ist wichtig, dass Regierungen, Unternehmen, Zivilgesellschaft und Bürgerinnen und Bürger zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Nur durch einen ganzheitlichen Ansatz und eine breite gesellschaftliche Unterstützung können wir die dringend notwendigen Veränderungen erreichen und eine lebenswerte und ökologisch intakte Welt für kommende Generationen ermöglichen.
"Diese Transformation ist eine sehr komplexe Geschichte“, betonte Kathrin Schroeder. "Das wird natürlich nicht von selber gehen, das wird Erschütterung hervorrufen, und vor allem Akteure, die vom alten System profitieren, werden Widerstand leisten. Aber irgendwann, da kommt der Umkehrpunkt, der Tipping-Point, und dann bricht das System zusammen und kann sozusagen stillgelegt werden."
Zwei „Lebensphilosophien“: „Buen vivir“ und „Ecoswaraj“
Ein zentraler Satz bei Misereor lautet: Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. "Deshalb wollen wir als Entwicklungsorganisation stark lernen von Beispielen aus dem globalen Süden, weil offensichtlich haben die europäischen Ideen uns ja nicht in die richtige Richtung geführt", brachte es Schroeder auf den Punkt. Und nennt zwei "Lebensphilosophien" als Beispiel:
- Buen vivir:
2009 haben Ecuador und Bolivien unter dem Stichwort "Buen Vivir" Nachhaltigkeit in ihrer Verfassung. Das ist eine Lebensphilosophie, die ursprünglich von den indigenen Völkern Südamerikas stammt. Es basiert auf der Idee, dass Menschen in Harmonie mit der Natur leben und dass die Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Es geht darum, ein gutes Leben zu führen, das sich auf die soziale, ökologische und kulturelle Umwelt auswirkt. Es ist ein Konzept, das die Menschen dazu ermutigt, eine bessere Lebensqualität zu erreichen, indem sie ihre Ressourcen schonen und die Natur schützen. Es geht darum, die natürlichen Ressourcen in nachhaltiger Weise zu nutzen und gleichzeitig die Umwelt zu schützen. Dies beinhaltet die Förderung erneuerbarer Energien, den Schutz von Ökosystemen und die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Darüber hinaus steht bei Buen Vivir auch die soziale Gerechtigkeit im Vordergrund. Buen Vivir ist somit mehr als nur ein Konzept, es ist eine Vision für eine bessere Zukunft. - Ecoswaraj
ist ein Konzept, das das Ziel verfolgt, eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder Mensch die gleichen Rechte und Möglichkeiten hat. Es wird oft als ein Konzept der "Gerechtigkeit" bezeichnet, da es sich darum bemüht, eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen gleich behandelt werden. Eine der zentralen Ideen von Ecoswaraj ist die Dezentralisierung von Macht. Es wird angestrebt, Entscheidungen auf lokaler Ebene zu treffen und die Beteiligung der Gemeinschaft zu fördern. Dies bedeutet, dass die Menschen direkt in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden und somit die Möglichkeit haben, ihre eigenen Belange und Bedürfnisse zu äußern. Um diese Ziele zu erreichen, erfordert Ecoswaraj eine aktive Beteiligung der Menschen. Es geht darum, die Gemeinschaft zu mobilisieren und sich solidarisch für das Gemeinwohl einzusetzen. Individuen werden ermutigt, ihre Fähigkeiten und Ressourcen einzubringen, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Der Samstagnachmittag endete mit einer spannenden Fishbowl-Diskussion. (c) Manu Nitsch
Mut machen
Immer mehr Menschen würden so etwas wie eine "Klimadepression" empfinden, ein Gefühl von Ohnmacht. "Ich glaube, eine ganz wichtige Rolle kirchlicher Akteurinnen und Akteure muss sein, diese schwierigen Fragen anzusprechen, die mit der Transformation in Verbindung stehen", betonte Kathrin Schroeder. "Also Mut machen, immer wieder Mut machen, engagierten Menschen auch Kraft geben, diese Transformation mit zu unterstützen. Weil das ist ein ziemlich schwieriger Kampf. Das ist aus meiner Sicht etwas, was ein spezifischer Beitrag von kirchlichen Akteuren sein kann."
Veranstalter der tagung.weltkirche sind die KOO (Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz) und die Ordensgemeinschaften Österreich (#weltkirche23).