Wahrheit ist kein fertiges Packerl
Wer sind Sie? Was zeichnet Sie aus, als Pfarrerin und als Mensch?
Moser: Dazu zwei Zitate. Eine Dame aus der Seniorenrunde meiner Gemeinde, über 80 Jahre alt, hat mich einmal angelacht und gesagt: „Du bist ja wie ich, du magst die Menschen auch so gerne.“ Und bei meiner Ordination meinte der Bischof: „Die Maria ist ein Mensch, der Menschen zum Gehen bringt.“ Also diese beiden Dinge: Andere zum Gehen bringen und Menschen mögen.
Was war ausschlaggebend für den Wechsel von der katholischen zur evangelischen Kirche?
Für die Konversion waren verschiedene Dinge ausschlaggebend. Ich habe gemerkt, dass ich mich von der katholischen Kirche immer mehr entferne. Das hatte zunächst etwas mit feministischer Theologie zu tun und mit der Frauenfrage – wobei ich dazu sagen muss, dass ich nie Priesterin in der katholischen Kirche werden wollte. Dazu hab ich mich nie berufen gefühlt. Ich habe auch irgendwann einmal herausgefunden, warum das so ist und warum evangelische Pfarrerin zu sein so etwas anderes ist, dazu kann ich ein Schlüsselerlebnis erzählen. 1995 hörte ich Elisabeth Schüssler Fiorenza, eine bekannte feministische Theologin, die sagte, Frauenordination sei schon wichtig, aber nicht in dieses Amt. Nicht in das Amt, wie es der katholischen Kirche verfasst ist. Das Amtsverständnis ist in der katholischen und der evangelischen Kirche sehr unterschiedlich. Eine wesensmäßige Differenz zwischen dem Priestertum aller Gläubigen und dem ordinierten Amt aufgrund des Weihesakraments gibt es in der evangelischen Vorstellung nicht. Luther meinte, was aus der Taufe gekrochen sei, sei schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht. Das macht evangelische PfarrerInnen in gewisser Weise nahbarer. Pfarrerin sein ist etwas recht Normales, salopp gesagt: Ich bin kein anderer Mensch als vorher.
Was ist religiöse Mehrsprachigkeit? Sie sprechen quasi zwei Sprachen, ist das wichtig für Ökumene und die Zukunft von Religion und Kirche?
Was ich sicher nicht als Rolle einer konvertierten evangelischen Pfarrerin sehen würde, ist die andere Kirche zu kritisieren. Ich merke auch im Gespräch mit katholischen Kollegen, dass ich sehr genau weiß, wovon sie reden. Das ist schon hilfreich im Sinne einer Zweisprachigkeit, einfach zu wissen, warum der andere wie tickt oder welche Hintergrundüberlegungen ablaufen. Aber generell glaube ich, dass die Evangelischen in Österreich recht gut informiert sind über die katholische Tradition. Die Minderheit informiert sich immer gut über die Mehrheit. Ob ich oder die anderen konvertierten PfarrerInnen einen Mehrwert ins ökumenische Gespräch einbringen, müssen andere beurteilen. Was mir in der Ökumene jedenfalls ein großes Anliegen ist, ist das gemeinsame Abendmahl. Ganz persönlich. Schließlich habe ich Jahrzehnte die katholische Eucharistie mitgefeiert und bin zur Kommunion gegangen. Das wäre für mich der Knackpunkt der Ökumene: Gelingt es uns, gemeinsam Abendmahl zu feiern, oder müssen wir das Amtsverständnis der jeweiligen Kirchen – das Verständnis von Eucharistie bzw. Abendmahl selbst ist ja nicht mehr trennend – so sehr in den Vordergrund stellen, dass wir uns nicht gemeinsam von Jesus Christus eingeladen fühlen können? Das halte ich für die zentrale ökumenische Frage, und ich glaube, das bewegt auch die Menschen. Viele verstehen nicht, warum wir nicht gemeinsam feiern können. Aber da nehme ich Bewegung in der katholischen Kirche wahr, auch von Rom aus.
Was ist Wahrheit? Gibt es die eine Wahrheit? Haben Sie zuerst die eine gelebt und dann eine bessere gefunden im Leben?
Es gibt sie nicht, die EINE Wahrheit. Ich glaube, das haben wir in der pluralen Moderne gelernt. Wahrheit ist immer relativ, eine Frage der Perspektive und von daher könnte ich nicht sagen, zuerst eine Wahrheit gekannt zu haben und dann eine andere gefunden zu haben. Aber die Perspektive ändert sich hoffentlich für jede Person im Laufe ihres Lebens. Und ich denke, es ist eine permanente Aufgabe, in die Wahrheit, die Christus ist, hineinzuwachsen. Die Wahrheit ist nichts, das wie ein fertiges Packerl vor uns liegt.
Sind sie Feministin?
Ja. Feministin zu sein bedeutet für mich, nicht als gegeben hinzunehmen, was es bedeutet, als Frau oder als Mann oder überhaupt in geschlechtlicher Zuordnung in dieser Welt zu leben. Sondern das als etwas zu sehen, das mit Rahmenbedingungen zu tun hat und mit dem Wunsch, sein Leben jenseits von Rollenzuschreibungen gestalten zu können. Zentral ist, wie Menschen möglichst frei in Beziehungen zu anderen leben können. Frei ohne Vorurteile, frei ohne enge Rollenvorschriften, ohne Erwartungen, wer wie genau zu sein hat. Frei von Diskriminierung.
Sind Ordensfrauen starke Frauen?
Ordensfrauen, die für andere da sind, ohne in die völlige Selbstaufgabe zu verfallen, sind für mich starke Frauen. Sie verfallen nicht dem heute weit verbreiteten Umkehrtrugschluss: Selbstaufgabe ist schlecht, ich muss als Frau auf mich selber schauen. Es geht darum, die Balance zu finden. Wie Ordensfrauen feministische Vorbilder sein können bzw. sind, habe ich besonders auf den Philippinen erlebt. Ich habe tolle Ordensfrauen kennengelernt, die eine unglaublich faszinierende Präsenz haben und ein wunderbares „in sich selbst Ruhen“, das sie fähig gemacht hat, auf andere zuzugehen. Ist
Ihnen der Katholizismus fremd geworden?
Manchmal ja. Ich merke es vor allem im Gottesdienst. Ich persönlich erlebe katholische Gottesdienste manchmal ritualistisch. Das ist mir fremd geworden.
Was bedeutet fremd für Sie in Bezug auf Religion?
Fremd können Rituale sein, weil Rituale mit dem Vertrauten arbeiten und auf Vertrautes aufbauen. Aber auch Gottesbilder, die dem eigenen nicht entsprechen. Aber ich glaube, dass die Religionen in sich sehr differenziert sind, was ihre Gottesbilder angeht. Und weil es in allen Religionen letztlich um die Gottesbeziehung geht, finde ich, sind sie sich gar nicht so fremd.
[msc]
Buchtipp: Meine persönliche Reformation. Warum ich konvertiert bin. Evangelische Pfarrer und Pfarrerinnen erzählen. Styria-Verlag 2017.