ReThinking Europe: Präsidentin Mayrhofer sieht im Gespräch und Brückenbauen den Beitrag Österreichs in Europa
Papst Franziskus sprach in seiner Rede vor allem über den „christlichen Beitrag zur Zukunft des Kontinents“ und über die „Aufgabe der Christen heute“. Seine Ausführungen folgten den Themen „Person und Gemeinschaft“, „ein Ort des Dialogs“, „ein inklusiver Raum“, „ein Raum der Solidarität“, „eine Quelle der Entwicklung“ und „eine Friedensverheißung“. Den etwa 350 DialogteilnehmerInnen legt der vor allem das „Seele für Europa sein“ ans Herz. Als größten Beitrag der Christen sieht der Papst, „zu erinnern, dass Europa nicht eine Ansammlung von Zahlen oder Institutionen ist, sondern aus Menschen besteht. Leider ist festzustellen, wie sich jegliche Debatte oft leicht auf eine Diskussion auf Zahlen reduziert.“ Als zweiten Beitrag der Christen sieht Papst Franziskus die „Wiederentdeckung des Sinns für die Zugehörigkeit zu seiner Gemeinschaft“. Die Familie sieht er als „erste Gemeinschaft. In ihr wird die Verschiedenheit hochgehalten und zugleich in Einheit wieder zusammengefasst“. Der Papst schaut auch mit Besorgnis auf die Länder, wo extremistische und populistische Bewegungen „fruchtbaren Boden finden“, wo der Protest das Herzstück der politischen Botschaft ist, „ohne jedoch die Alternative eines konstruktiven politischen Projektes anzubieten“. Am Ende seiner Ansprache betonte der Papst: „Heute sind wir aufgerufen, Europa wieder eine Seele zu geben, sein Gewissen wieder wachzurufen, nicht um Räume zu besetzen, sondern um Prozesse in Gang zu bringen, die neue Dynamiken in der Gesellschaft erzeugen.“ Der Papst verwies auf den Ordensgründer Benedikt: „Er, der Bote des Friedens, Friedensstifter, Lehrmeister der Kultur war, möge auch uns Christen von heute zeigen, wie aus dem Glauben immer eine frohe Hoffnung entspringt, die fähig ist, die Welt besser zu machen.“
Für seine Ansprache erhielt Papst Franziskus Standing Ovations von den 350 Dialog-TeilnehmerInnen
Bist du in Not, dann sind wir da
Sr. Beatrix Mayrhofer zieht nach zwei Tagen Dialog und der Ansprache des Papstes ein Zwischenresümee in Rom: „Dieses Treffen war in vielfacher Hinsicht ein besonderes Ereignis. Ich war in die österreichische Delegation als Ordensfrau eingeladen. Es war eine bunte Mischung von Menschen, die in den Kirchen für Europa arbeiten.“ Mayrhofer mit Blick auf den aktuellen Fall Katalonien in Spanien und das Bekenntnis zu Europa beim Dialog: „In den Wortmeldungen war das Bekenntnis zu Europa ein sehr kräftiges und zuversichtliches. Schon auch immer wieder verbunden mit berechtigter Kritik, ob Europa immer auch dort ist, wo die Menschen sind. Es war aber ein ganz hohes Reflexionsniveau.“ Mayrhofer hat in ihrer Dialoggruppe vor allem eingebracht, was der Dienst der Ordensfrauen ist: „Wir Ordensfrauen haben an den Rändern unsere Mitte und unser Platz ist bei den Schwachen, den Vergessenen, den Zurückgelassenen, von denen immer wieder gesprochen wurde, aber niemand gesagt hat, was man da konkret tun, wo man sich einsetzen kann. Viele Ordensfrauen arbeiten mit Menschen in Not, vor allem auch den Frauen wie Opfern von Menschhandel, Migranten, Flüchtlingen oder die Pflegebedürftigen. Und wenn wir uns einsetzen, fragen wir nicht, bist du Christ oder Muslim oder sonst eine Religion, sondern wir fragen: Bist du in Not, dann sind wir da. Und das nicht nur in Europa, sondern weltweit. Ordensfrauen sind weltweit im Engagement für Benachteiligte.“ Mayrhofer im Blick auf Kontroversthemen beim Dialog: „Es gibt deutliche Kontroversen, wenn es um die Frage der Interpretation des Glaubens geht. Was ist katholisch? Wer interpretiert den katholischen Standpunkt? Das braucht Respekt, Toleranz und ein gemeinsames Suchen. Sehr aktuell auch politische Schwierigkeiten wie Spanien und Katalonien. Auch andere nationale Spannungen haben Auswirkungen auf die Kirchen in diesen Ländern. Diese Konflikte finden dort Widerhall und Kirchen müssen sich damit auseinandersetzen. Wie gehen wir als Kirche mit unserer Nationalität um?“ Zur Rolle Österreichs hat die Frauenorden-Präsidentin den Ausspruch des Papstes von der “Seele Europas“ betont: „Es geht um dieses Atmen mit zwei Lungenflügel, das Miteinander von Ost und West. Die Wahrnehmung der Christen im Osten hat Österreich schon immer als Brückenbauer hereingenommen. Die gute Kultur des Dialogs, dieses Hinhören aufeinander über Jahre, dieses Mulitkulti im Respekt miteinander zu leben ist unser Auftrag, dieses ohne Angst aufeinander zugehen und zuhören. Der Beitrag Österreichs ist das Gespräch. Europa ist da mit einem Auftrag, hinzuschauen, wo die Menschen sind, aber nicht nur hier in Europa. Wir sind weltweit voneinander abhängig und dieses globale Denken ist mir ein ganz besonderes Anliegen.“
Die Frauen in der Österreichdelegation: Evelyn Regner (EU-Parlament), Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer, Irmfried Schwimann von der EU:Kommission (vlnr). Foto in Druckqualität
Neuer Humanismus
Der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin betonte zur Eröffnung, das eigentliche Merkmal Europas sei dessen Sicht des Menschen und seiner Würde. „Gewisse abstrakte Modelle werden derzeit aber von oben aufgedrückt. Das Ganze ist auch nicht einfach die Summe aller Teile. Es braucht eine Förderung eines neuen Humanismus, der sich auf christliche Interpretation, auf Dialog und Kreativität gründet. Jugend und Ökologie sind uns ein besonderes Anliegen.“ Und Parolin fragt: „Welche Kultur gibt Europa vor? Wir bauen Frieden und als Christinnen und Christen wollen wir unseren Beitrag leisten. Die Jungend will für neue Ideale eintreten und sich zugehörig fühlen.“
Mit Schweizer Gardisten: Schwimann, Regner, Sr. Mayrhofer Foto in Druckqualität
Mitpilger für den Frieden
ComECE-Präsident Kardinal Reinhard Marx aus München erinnerte an die Feier des 60. Jahrestags der Römischen Verträge. Zu diesem Anlass hatten im vergangenen März 2017 europäische Politiker Papst Franziskus besucht. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in der Sixtinischen Kapelle unter Michelangelos "Jüngstem Gericht" habe eine "große Symbolik" gehabt, so Marx. Angesichts der vielen Krisen, von denen der Kontinent geprägt sei, könne dieses Bild Hoffnung machen und ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. „Im Rückblick auf dieses Treffen soll es heißen: Es war gut, neuen Mut zu fassen.“ Marx sieht die Christinnen und Christen als „Mitpilger“ im Feld von Politik, gesellschaftlicher Organisationen und Kirche. „Wir wollen unseren Dienst für die ganze Gesellschaft tun.“ Marx nimmt Bezug auf das Bild der alten Großmutter Europa, „die ihre Schätze und Werte an die Jungen weitergeben wird“. Überalterung, große gesellschaftliche Gräben und Divergenzen liegen nach Marx in der „Black-Box der Europas“. Diese Themen gilt es anzugehen mit den Instrumenten der Subsidiarität und Solidarität. Marx erinnert auch: „Die Mehrheit ist nicht die ganze Bevölkerung.“
Die Österreichdelegation nach der Papstaudienz: Schipka, Mandl, Mayrhofer, Regner, Schwimann, Renoldner, Kuhn (vlnr) Foto in Druckqualität
Breiten Dialog wird die Zukunft brauchen
Die TeilnehmerInnen der Dialogveranstaltung beraten größtenteils in nichtöffentlichen Panels und Workshops in der Synodenaula im Vatikan. Der Frage „Welche Art der Wirtschaft für Europa in einer sich verändernden Welt?“ ist beispielsweise ein Panel gewidmet. Ein anderes berät über die Lage der Demokratie in Europa oder „Integration – Brückenbauen zwischen und innerhalb der Mitgliedsstaaten“. "(Re)thinking Europe" will eine offene Debatte zwischen den Beteiligten mit deren unterschiedlichen geografischen, kulturellen, religiösen und sprachlichen Hintergründen ermöglichen. Am Dialog nehmen Delegationen aus allen 28 EU-Mitgliedsstaaten teil. Aus Österreich nahmen neben der Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden, Sr. Beatrix Mayrhofer, der "Europabischof" Ägidius Zsifkovics, der Kärntner Bischof Alois Schwarz, der Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka und der Sozialexperte Severin Renoldner teil . Von politischer Seite sind die Europaparlamentarier Evelyn Regner (SP) und Abgeordneter Lukas Mandl (VP) in Rom. Dr. Irmfried Schwimann von der Europäischen Kommission ist wie Botschafter Alfons M. Kloss Teil der Österreichdelegation. Michael Kuhn als ComECE-Vize-Generalsekretär wirkt federführend an der inhaltlichen Gestaltung des Dialoges und der weiteren Auswertung und Umsetzung mit.
Ansprache von Papst Franziskus im Wortlaut
[fk]