9. November 2017: Christen und Juden gedenken gemeinsam der Pogromnacht
Die Pogromnacht kam nicht aus heiterem Himmel. Es ging ihr ein jahrzehntelanger Prozess voraus, in dem mit pseudowissenschaftlichen Argumenten dramatische Unterschiede der Menschen konstruiert wurden. Es waren diese absurden Konstruktionen, die im Denken allzu vieler damaliger Zeitgenossen dazu führten, Rechte und Würde ganzer Menschengruppen zu verneinen. In der Gewissenserforschung nach der Katastrophe der Shoah wurde deutlich, dass der Widerstand der Christen gegen dieses Denken viel zu schwach war – und dies, obwohl ihr Glaube die Botschaft von der gleichen Würde aller Menschen auf Grund ihrer Gottebenbildlichkeit enthält.
Doch in den letzten Jahren leben wieder überwunden geglaubte falsche Denkmuster auf. Mit Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Fremdenhass flackern wieder Brandherde von Haltungen auf, die erledigt schienen. Doch „jeder Mensch ist ein geliebtes Geschöpf Gottes und kein Fremder“ – so formulierte es Frauenorden-Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer anlässlich einer Pressekonferenz am 6. Juli 2017 zum Thema #FremdesBereichert. „Das ist die Grunderfahrung des Christen, weil der fremde Gott selber uns in Jesus Christus nahegekommen ist, so ganz nahe, bis er in jedem Menschen zu erkennen und uns nahe ist.“
Gemeinsames Gedenken am Mahnmal auf dem Judenplatz
Am diesjährigen 9. November gedenken viele Christen an unterschiedlichen Orten in Österreich der düsteren Ereignisse jener Nacht und jenes Tages des Jahres 1938. In der Wiener Ruprechtskirche wird am 9. November – wie alljährlich – der Opfer der Pogromnacht gedacht, auch im anschließenden Schweigegang zum Mahnmal auf dem Judenplatz, der zugleich Ziel der Aktion jüdischer Jugendlicher „Light of Hope“ ist.
Und danach werden sich viele Christen aus unterschiedlichen Konfessionen im Wiener Stephansdom versammeln, um in einem ökumenischen Gebet für ein friedliches Miteinander in einem Europa einzutreten, in dem die Menschenrechte respektiert und ernst genommen werden. In diesem Gottesdienst mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch aus den Nachbarländern geht es um Versöhnung, um Solidarität, Frieden und Toleranz in Europa. Im Gedenken an die Opfer der Pogromnacht kann dieses Gebet ein deutliches Bekenntnis der unbedingten Treue zum Grundsatz „Nie wieder“ werden.
Das kommende Jahr ist ein Jahr vielfachen Gedenkens. Es ist wünschenswert, dass insbesondere der 9. November – an dem des schmachvollen Tages gedacht wird, an dem jüdische Österreicherinnen und Österreicher ihrer Würde und ihrer Rechte beraubt wurden – und der 10. Dezember – der Jahrestag der Proklamierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – zusammengesehen und entsprechend begangen werden. So kann vor allem die Jugend verstehen, warum Menschen niemals ausgegrenzt werden dürfen – und das sollte auch für jene gelten, die Politik gestalten.
[rs]