Der Schrei nach Liebe
„Wir Zombies, unterwegs in die narzisstische Kernschmelze“, schreibt der Spiegel zum Buch und lobt das treffend Gesagte über unsere Gegenwart, über den „Terror des Gleichen“. Wir sind erblindet, abgestumpft, umgeben von Kommunikationslärm, der uns betäubt. Mehr noch: Wir werden blutleer. Was uns förmlich das Leben aussaugt, das sind die neuen Medien. Fristet der spätmoderne Mensch ein Zombiedasein?
Seite 13: „Das Netz verwandelt sich heute in einen besonderen Resonanzraum, in eine Echokammer, aus der jede Andersheit, jede Fremdheit eliminiert ist. Die wirkliche Resonanz setzt die Nähe des Anderen voraus. Heute weicht die Nähe des Anderen der Abstandslosigkeit des Gleichen. Die globale Kommunikation lässt nur gleiche Andere oder andere Gleiche zu. Der Nähe ist als ihr dialektischer Gegenpart die Ferne eingeschrieben. Die Abschaffung der Ferne erzeugt nicht mehr an Nähe, sondern zerstört sie. Statt Nähe entsteht die totale Abstandslosigkeit. Nähe und Ferne sind ineinander gewoben. Eine dialektische Spannung hält sie zusammen. Sie besteht darin, dass die Dinge gerade von ihrem Gegenteil, vom Anderen ihrer selbst belegt werden. Einer bloßen Positivität wie Abstandslosigkeit fehlt diese belebende Kraft. Nähe und die Ferne vermitteln sich dialektisch wie das Selbe und das Andere. So ist weder Abstandslosigkeit noch das Gleiche lebendig. Diese digitale Abstandslosigkeit beseitigt alle Spielformen von Nähe und Ferne. Das Wuchern des Gleichen ist eine Fülle, in der nur noch die Leere durchscheint. Die Austreibung des Anderen bringt die adipöse Leere der Fülle hervor.“
Verliert sich der Mensch gerade selber in dieser Fülle?
Seite 33: „Die narzisstische Vereinzelung des Menschen, die Instrumentalisierung des Anderen und die totale Konkurrenz zerstören das Gratifikationsklima. Es verschwindet der bestätigende, anerkennende Blick. Für ein stabiles Selbstwertgefühl bin ich auf die Vorstellung angewiesen, dass ich für Andere wichtig bin, dass ich durch Andere geliebt werde. Sie mag diffus sein, aber sie ist unerlässlich für das Gefühl, wichtig zu sein. Gerade das fehlende Seinsgefühl ist verantwortlich für die Selbstverletzung. Ritzen zum Beispiel ist nicht nur ein Ritual der Selbstbestrafung für die eigene Unzulänglichkeit, die typisch ist für die heutige Leistungs- und Optimierungsgesellschaft, sondern auch ein Schrei nach Liebe.“
Die Austreibung alles Negativen erscheint heute als oberstes Ziel. Positiv denken ist in aller Munde. Was macht das mit dem Menschen?
Seite 42: „Heute hat sich die Produktion zur einzigen Lebensform totalisiert. Selbst der Tod bedeutet einfach die Ent-Produktion, das Ende der Produktion. Die Hysterie der Gesundheit ist letzten Endes die Hysterie der Produktion. Sie zerstört die wirkliche Lebendigkeit. Das Wuchernde des Gesunden ist obszön wie das Wuchernde der Fettleibigkeit. Es ist eine Krankheit. Gerade die Negativität ist belebend. Sie nährt das Leben des Geistes. Der Geist findet seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Allein die Negativität des Risses und des Schmerzes erhält den Geist lebendig. Heute fliehen wir krampfhaft das Negative, statt in ihm zu verweilen. Das Festhalten am Positiven reproduziert aber nur das Gleiche. Es gibt nicht nur die Hölle der Negativität, sondern auch die Hölle der Positivität. Der Terror geht nicht nur vom Negativen, sondern auch vom Positiven aus.“
Auch die Schwelle spielt eine große Rolle im Leben. Angst erwacht an der Schwelle. Wie stellt sich das für den heutigen Menschen dar?
Seite 47: „Der schwellenreiche Übergang weicht heute dem schwellenlosen Durchgang. Im Internet sind wir mehr denn je Touristen. Wir sind kein homo doloris mehr, der Schwellen bewohnt. Touristen machen keine Erfahrung, die eine Verwandlung, einen Schmerz impliziert. So bleiben sie gleich. Sie bereisen die Hölle des immer Gleichen.“
Und das Internet?
„Der Transparenzzwang beseitigt jede Seh- und Informationslücke und liefert alles totaler Sichtbarkeit aus. Es bringt alle Rückzugs- und Schutzräume zum Verschwinden. Wir sind selbst nur noch Durchgänge mitten in der globalen Vernetzung. Transparenz und Hyperkommunikation berauben uns jeder schützenden Innerlichkeit. Ja, wir geben sie freiwillig auf und setzen uns digitalen Netzen aus, die uns durchdringen, durchleuchten und durchlöchern. Die digitale Überbelichtung und Ausgesetztheit bringt eine latente Angst hervor, die nicht auf die Negativität des Anderen, sondern auf das Übermaß an Positivität zurückgeht. Die transparente Hölle des Gleichen ist nicht frei von Angst. Beängstigend ist eben das sich immer verstärkende Rauschen des Gleichen.“
Kommen wir zur heutigen Wirtschaftsgrundlage. Die Eigendynamik eines ungebändigten Neoliberalismus, der jetzt auch dem politischen Handeln in Österreich zugrunde gelegt wird, liegt darin, alles und jeden zu verschlingen, um den bestmöglichen Ertrag zu erzielen. Dazu erklärt er den Einzelnen zu seiner Ich-AG. Ist Selbstausbeutung damit zur effizientesten Strategie für Profit und Wachstum in großen Unternehmen geworden?
Seite 21: „Der Neoliberalismus erzeugt eine massive Ungerechtigkeit auf der globalen Ebene. Ausbeutung und Ausschließung sind konstitutiv für ihn. Er errichtet ein „Bannoptikum“, das die systemfeindlichen oder systemuntauglichen Personen als unerwünscht identifiziert und ausschließt. Das Panoptikum dient der Disziplinierung, während das Bannoptikum für die Sicherheit sorgt. Selbst innerhalb der westlichen Wohlstandszone verschärft der Neoliberalismus die soziale Ungleichheit. Er schafft letzten Endes die soziale Marktwirtschaft ab.“
Worin liegt die Veränderung des Selbstverständnisses von Arbeit?
Seite 55/56: „Im neoliberalen Regime findet die Ausbeutung nicht mehr als Entfremdung und Selbst-Entwirklichung, sondern als Freiheit, als Selbst-Verwirklichung und Selbst-Optimierung statt. Hier gibt es nicht den Anderen als Ausbeuter, der mich zur Arbeit zwingt und mich entfremdet. Vielmehr beute ich mich selbst freiwillig in dem Glauben aus, dass ich mich verwirkliche. Das ist die perfide Logik des Neoliberalismus. Heute handelt es sich nicht mehr um die Entfremdung von der Welt oder von der Arbeit, sondern um eine destruktive Selbstentfremdung, nämlich Entfremdung von sich selbst.“
[fkaineder]