SOLWODI Österreich: Zehn Jahre Kampf gegen Menschenhandel
Ohne die vielen freiwilligen Mitarbeiter:innen wäre die Erfolgsgeschichte von SOLWODI Österreich nicht möglich gewesen. (c) P. Hans Eidenberger
Wie feiert man das zehnjährige Jubiläum eines Vereins, der sich dem Kampf gegen eines der schrecklichsten Verbrechen gegen das menschliche Dasein, dem Menschenhandel, verschrieben hat? Sicherlich nicht mit einer „normalen“ Feier. Und deswegen war es ein sehr intensiver Abend, der eine Fülle an teilweise erschreckenden Informationen bot.
Die Initiator:innen des Vereins SOLWODI (Solidarity with women in distress), der von sechs Frauenorden getragen wird und sich hauptsächlich von Ordensgemeinschaften und von privaten Spenden finanziert, wollten nicht einen bloßen Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre liefern. Es ging ihnen vielmehr darum, die Not und die Verzweiflung der Betroffenen begreifbar zu machen. Es ging ihnen darum, aufzuzeigen, in welchem unglaublichen Ausmaß dieses Verbrechen in unserer Gesellschaft präsent ist und gleichzeitig akzeptiert und/oder ignoriert wird. Und sie wollten ein Stück weit Einblick gewähren in die konkrete Arbeit von SOLWODI. Ein Kampf gegen Windmühlen? Ja, es ist ein mühsamer Kampf, der aber immer mehr Gehör in der Öffentlichkeit findet – und dazu trägt SOLWODI bei.
Sr. Patricia Erber: Einsatz für Opfer sexueller Ausbeutung
Den Reigen der Vorträge eröffnete Sr. Patricia Erber, Obfrau und Gründungsinitiatorin des Vereins SOLWODI Österreich. Sie brachte die Erfolgsgeschichte des Vereins in konkreten Zahlen auf den Punkt: So konnten im Zeitraum von zehn Jahren insgesamt 450 Frauen im Rahmen einer Kontaktaufnahme durch Mitarbeiterinnen von SOLWODI beraten werden. 93 Frauen und 51 Kinder fanden Platz und umfassende Betreuung in einer Schutzwohnung in Wien. Weitere 19 Frauen und elf Kinder in einer für kurze Zeit bestehenden Schutzeinrichtungen in Innsbruck. Nach dem Auszug aus der Schutzwohnung erhielten die Frauen weiterhin in einer eigenen dafür eingerichteten Beratungsstelle nachsorgende Betreuung. Zwei Drittel der in den SOLWODI-Schutzwohnungen betreuten Frauen waren Opfer von sexueller Ausbeutung oder Betroffene von Menschenhandel.
Sr. Patricia Erber: "Zwei Drittel der in den SOLWODI-Schutzwohnungen betreuten Frauen waren Opfer von sexueller Ausbeutung oder Betroffene von Menschenhandel." (c) Martin Eder
Start 2012
„Im Jahr 2001 nahm ich an einem internationalen Treffen unserer Ordensgemeinschaft in Rom teil“, erzählte Sr. Patricia von den Anfängen. „Dabei war eine italienische Ordensfrau namens Sr. Eugenia Bonetti als Referentin eingeladen.“ Die couragierte Ordensfrau berichtete über die Situation von nigerianischen Frauen, die nach Europa verkauft werden, um sie in der Prostitution auszubeuten. Sie schilderte das Vorgehen der Menschenhändler und auf der anderen Seite die große Not der Frauen. Und sie forderte ihre Zuhörerinnen auf, sich als Ordensfrauen für diese Frauen, die keine Stimme haben, einzusetzen. „Zurückgekehrt nach Österreich, begann ich nachzuforschen, ob es auch hier in unserem Land Frauen gibt, die von Menschenhand betroffen sind, die ebenfalls in der Prostitution ausgebeutet werden“, erinnerte sich Sr. Patricia. „Etwas, was ich mir damals so gut wie gar nicht vorstellen konnte.“ Im Austausch mit Streetworker und Beratungsstellen, die direkten Kontakt mit einzelnen Frauen hatten, bekam die Salvatorianerin zunehmend Einblicke in die menschenverachtende und leidvolle Situation der Frauen. Im Juli 2010 kam es zur Gründung der Projektgruppe Kirchlicher Organisationen gegen Menschenhandel. Im Rahmen der Treffen zeigte sich der Bedarf nach Schutzeinrichtungen für Frauen bzw. Mädchen, die von Menschenhandel und in Folge von sexueller Ausbeutung betroffen waren. Bis dahin gab es nur eine einzige Schutzeinrichtung für diese Frauen in ganz Österreich. Parallel zu dieser großen Projektgruppe entstand im April 2011 eine kleinere Projektgruppe, bestehend aus sechs Ordensfrauen aus sechs verschiedenen Ordensgemeinschaften. Dies führte im Jahr 2012 letztendlich zur Gründung von SOLWODI ÖSTERREICH.
CHORiosum sorgte für die feierliche Stimmung der Veranstaltung. (c) Martin Eder
Sr. Anna Mayrhofer: Armut macht ausbeutbar
Die Gründe, warum Frauen Opfer von Menschenhandel werden, sind vielfältig und lassen sich mit dem Satz ‚Armut macht ausbeutbar‘ zusammenfassen, bringt es Sr. Anna Mayrhofer, langjährige Leiterin einer SOLWODI-Schutzwohnung, auf den Punkt. Die Frauen wollen der Armut in ihren Heimatländern oder einer dysfunktionalen Familie entfliehen; doch statt des versprochenen Jobs als Kellnerin oder Zimmermädchen erwarteten sie hier skrupellose Menschenhändler, die sie gewaltsam in Bordelle verschleppten. Für viele ist es auch die Verantwortung für den Lebensunterhalt der Familien und der Kinder, die oft bei Verwandten im Heimatland zurückgelassen werden. Flucht ist, ohne Papiere und ohne Geld, in den meisten Fällen unmöglich. Die Täter kommen oft aus der eigenen Familie, sind Nachbarn oder Freunde, die sie mit falschen Versprechungen oder mit Drohungen gefügig machen.
Sr. Anna Mayrhofer: "Flucht ist, ohne Papiere und ohne Geld, in den meisten Fällen unmöglich." (c) Martin Eder
Die Folgen sind verheerend: „Die Frauen leiden unter psychischen Folgen, zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen, haben Angst, Schlaf- und depressive Störungen“, berichtete Sr. Anna. „Wir haben momentan in der Schutzzone neun Frauen, die jeden Tag Medikamente einnehmen, weil sie unter Panikattacken und Schlafstörungen leiden, also wirklich ganz schwere psychische und psychiatrische Folgen aufgrund ihrer bisherigen Lebensgeschichte.“ Dazu seien psychosomatische Erkrankungen in jeglicher Form oder Krankheiten der Geschlechtsorgane, Infektionen, Verletzungen innere Organe keine Seltenheit. Viele Frauen konsumieren auch Drogen, Alkohol oder eine Mischung davon oder sind abhängig von diesen Substanzen, denn sie haben eine lange Zeit in ihrem Leben geholfen, das auszuhalten, was sie zu tun hatten.
In den Schutzwohnung sollen die Frauen „so kurz wie möglich, aber so lange wie notwendig“ bleiben, so Sr. Anna. Sozialarbeiterinnen und freiwillige Mitarbeiterinnen betreuen die Frauen und helfen ihnen bei allen organisatorischen Dingen – vom Arztbesuch über den Deutschkurs bis zum Finden einer eigenen Wohnung, die sie sich auch leisten können. Der Weg zurück in ein halbwegs selbstbestimmtes Leben ist schwierig, aber er gelingt.
Sr. Maria Schlackl: Menschenhandel ist nach wie vor ein Tabu-Thema
Sr. Maria Schlackl leitet die Initiative „Aktiv gegen Menschenhandel – Aktiv für Menschenwürde in OÖ“. Sie hat sich vor allem das Ziel gesetzt, die Problematik „Menschenhandel“ im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. „Wichtig ist die Bewusstseinsbildung, und zwar die präventive Bewusstseinsbildung“, zeigte sich die Salvatorianerin überzeugt. „Denn wir müssen alles daransetzen, dass das, was wir soeben gehört haben, möglichst wenigen Frauen und Mädchen widerfährt.“
Sr. Maria Schlackl: "Es geht um verletzte Würde, um zerstörten Selbstwert, um verletzte Menschen." (c) Martin Eder
Menschenhandel ist der am finanzkräftigsten und am schnellsten wachsende Zweig des organisierten Verbrechens überhaupt, so die Information des Bundeskriminalamtes in Wien, das für den Kampf gegen Menschenhandel zuständig ist. „Frauenhandel, das ist einfach eine Marktfrage und eine Nachfrage“, sagte Sr. Maria in ihrem Vortrag. Die Frauen arbeiten nicht freiwillig in den Bordellen und Clubs, sondern weil es Männer gibt, die Frauen bestellen, und zwar oft auf sehr brutale Weise. Die Ware Frau wird von Menschenhändlern und Zuhältern für die Sexkäufer gekauft, missbraucht, traumatisiert, ignoriert und diskriminiert. Die Nachfrage nach der Ware Frau sei kaum zu bewältigen.
Menschenhandel sei nach wie vor ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft - in der Politik ebenso wie in der Kirche. Der Kauf von Sex wird mehr oder weniger gesellschaftlich akzeptiert; die Problematik dahinter wird ignoriert. Und genau hier müsse man ansetzen und alle Kräfte in der Gesellschaft, die Gestaltungsmöglichkeiten haben, dafür aufwecken und sensibilisieren. Aus diesem Grund habe sie auch 2014 ihre Initiative in Oberösterreich gegründet. „Wichtig ist es, immer auf die Auswirkungen hinzuweisen“, so Sr. Maria. „Es geht um verletzte Würde, um zerstörten Selbstwert, um verletzte Menschen. Da darf doch niemand mehr wegschauen. Also lernen wir Sprachfähigkeit und werden wir handlungsaktiv.“
Liselotte Höfler und Nadine Schimetta zeigten tänzerisch, wie es ist, seine Würde zu verlieren. (c) Martin Eder
P. Hans Eidenberger: Die Männer in die Verantwortung nehmen
„Prostitution ist ein Frauenthema, oder? Damit haben Männern nichts zu tun, oder?“, fragte P. Hans Eidenberger zu Beginn seines Vortrages ironisch die Runde der Zuhörer:innen. Die Antwort lautet natürlich: Ganz im Gegenteil. Gerade die Männer müssen in Verantwortung genommen werden. Das Bewusstsein dafür fehle völlig in der Gesellschaft. „Nicht ‚Hure‘ sollte das Schimpfwort sein, sondern ‚Freier‘“, so der Marianist, der ebenfalls in der Initiative „Aktiv gegen Menschenhandel – Aktiv für Menschenwürde in OÖ“ engagiert ist.
P. Hans Eidenberger: "Es braucht Männer, die als Vorbilder wirken und öffentlich sagen: Echte Männer kaufen keine Frauen." (c) Martin Eder
Wenn er wie neulich bei einem Spaziergang einen Aufkleber auf einem Moped sieht, auf dem steht: ‚My other ride is your daughter‘, dann zeige es die Mentalität von vielen Männern, die glauben, Frauen könne man reiten wie ein Moped. „Und dagegen müssen wir vorgehen“, plädierte der Ordensmann. Das fängt schon bei den Medien an. „Lesen Sie das einmal bewusst durch, wenn ein Artikel über einem Zwischenfall in einem Bordell berichtet. Es ist fast nur von der Frau die Rede. Der Täter, der Mann, kommt kaum vor; der bleibt immer im Dunklen.“
„Wir müssen eine Bewusstseinsänderung anstreben.“, sagt der Ordensmann. Deshalb halten die Mitglieder der Initiative auch Vorträge in Schulen, in Pfarren, bei Veranstaltungen. Letztendlich brauche es keine Männer, die Frauen beschützen; es brauche Männer, die andere Männer nicht beschützen. Und es brauche Männer, die als Vorbilder wirken und öffentlich sagen: Echte Männer kaufen keine Frauen. Als effizienten Lösungsansatz plädierte P. Hans Eidenberger für eine europaweite Gesetzgebung, die dem Delikt „Menschenhandel“ entschiedener entgegentrete, nämlich das „nordische Gesetzesmodell“. Es stellt nicht die Prostituierte unter Strafe, sondern den Sexkäufer. „So lange Prostitution legal ist, so lange wird es auch Nachfrage und damit Nachschub geben“, so der Ordensmann.