Zechmeister: Orden müssen "rebellischen Ursprung" wiederentdecken
Sr. Martha Zechmeister rief die österreichischen Ordensangehörigen dazu auf, ihren "rebellischen Ursprung" wiederzuentdecken. (c) ÖOK/Manu Nitsch
"Jesus war ein provokanter Mensch, einer, der Konflikte auslöste. Und zwar deshalb, weil er sich bedingungslos mit den Underdogs und Outcasts seiner Gesellschaft solidarisierte", sagte Zechmeister bei ihrem Vortrag im Rahmen des "Ordenstages" am Dienstag in Wien-Lainz. Dies sei letztlich der Ausgangspunkt aller Nachfolge: "So zu handeln, wie Jesus gehandelt hat und deshalb das Jesusschicksal zu teilen. So hat das Christentum begonnen."
Martha Zechmeister gehört der "Congregatio Jesu" (früher: Englische Fräulein") an. Sie lebt seit Langem in El Salvador und leitet den Studiengang Teología Latinoamericana an der Katholischen Universität San Salvador. Ihr Vortrag stand unter dem Motto "Wirksames Ordensleben". Ordensleute seien der Kirche gewiss nicht schuldig "brave Töchter und Söhne" zu sein, "sondern vielmehr prophetisch an den jesuanischen Ursprung und den rebellischen Anfang des Ordenslebens zu erinnern", so Zechmeister.
Was mit Jesus begann und sich in der Kirche der Märtyrer der ersten Jahrhunderte fortsetzte, habe sich mit der Konstantinischen Wende Anfang des vierten Jahrhunderts dramatisch gewandelt. Und genau hier liegen laut Zechmeister die Ursprünge des Ordenslebens: "im anarchischen Protest gegen eine Kirche, die gemeinsame Sache mit dem Imperium machte". Die ersten Ordenschristen seien Männer und Frauen gewesen, die sich in die Wüste absetzten, "um dort mit ihrer bloßen Existenz, evangelische Radikalität gegen die Verweltlichung der Kirche einzuklagen". Sie hätten versucht, den jesuanischen Ursprung des Christentums wachzuhalten.
Zechmeister: "Immer dort, wo Kirche in Gefahr war, sich zu verlieren, zu verweltlichen und nicht mehr den jesuanischen Protest sichtbar zu machen, dort ploppten plötzlich neue Ordensgründungen auf." Die Ordensfrau rief die heimischen Ordensleute zur Reflexion auf: "Sind wir heute als Ordensgemeinschaften nicht weithin selbst 'vergreist'? Und ich rede jetzt nicht nur von unserem Altersdurchschnitt und den wenigen jungen Mitgliedern." Das System, die "Großkirche" habe viele Anstrengungen unternommen, um die Orden gründlich zu domestizieren, so Zechmeister: "Wir haben nur mehr sehr wenig von der 'Schocktherapie des Heiligen Geistes' an uns, als die Johann Baptist Metz in den 1970-er Jahren die Orden definierte."
Gegen die "Strategie der verbrannten Erde"
Zechmeister kam auf den Kontext von El Salvador zu sprechen. "Strategie der verbrannten Erde" hätten die salvadorianischen Militärs ihre Taktik der Kriegsführung gegen die Guerilla in der grausamsten Zeit des Bürgerkriegs in El Salvador genannt. Das Leben in den verwüsteten Zonen sollte unmöglich werden.
Es scheine, "der gegenwärtige Kapitalismus verfolgt heute blindwütig diese 'Strategie der verbrannten Erde' gegen die kommenden Generationen der Menschheit. Nicht nur einzelne Zonen werden nach und nach verwüstet, sondern der ganze Planet. Die Goldminen ziehen weiter, wo nichts mehr zu holen ist, das Ökosystem zerstört und das Trinkwasser mit Quecksilber und Zyanid verseucht ist. Sie ziehen weiter, um die nächsten indigenen Gemeinden brutal zu vertreiben."
Die Brandrodung im Amazonas gehe weiter, um Platz für die Viehhaltung und den Sojaanbau zu schaffen und so den unersättlichen Fleischhunger des Nordens zu bedienen oder "Biosprit" zu produzieren. Beispiele in dieser Logik ließen sich endlos fortsetzen, so die Ordensfrau.
Auf die "Letzte Generation" hören
"Letzte Generation" sei deshalb nur folgerichtig die Selbstbezeichnung der jungen Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten. "Und wir mögen von ihnen noch so genervt sein, oder einzelne ihrer Aussagen, politischen Haltungen oder Handlungen verurteilen; es würde uns dennoch uns gut anstehen, endlich und wirklich auf sie zu hören", so Zechmeister. Zumindest Papst Franziskus habe sie in die Vatikanischen Gärten zur Präsentation von Laudate Deum eingeladen. "Wir geben in diesem Kontext doch häufig 'liebe' Absichtserklärungen ab, versprechen unseren Müll sauber zu trennen, brav unser 'Ökoaudit' durchzuführen und fallen doch immer wieder hoffnungslos auf das Greenwashing der Produktwerbung herein; sind weit davon entfernt, wirklich substanziell etwas zu ändern."
Zechmeister erinnerte weiters an den Jesuiten Ignacio Ellacuría, der 1989 an der Universität in San Salvador ermordet wurde. Für ihn habe es keine Reform innerhalb des kapitalistischen Systems gegeben, sondern nur radikale Umkehr. Er habe der "Zivilisation des Reichtums" die "Zivilisation der Armut" dialektisch entgegengestellt: Die "Zivilisation der Armut" lehne die Akkumulation des Kapitals als Motor der Geschichte und den Besitz-Genuss von Reichtum als Prinzip der Humanisierung ab und mache die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller zum Prinzip der Entwicklung sowie die Steigerung der gemeinsamen Solidarität zum Fundament der Humanisierung. Zechmeister: "Wer, wenn nicht wir als Ordenschristen, sind neu und kreativ gerufen, diese 'Zivilisation der Armut' zu leben, wir haben sogar ein feierliches Gelübde abgelegt, es zu tun."
Sr. Martha Zechmeister spricht sich für Proteste von unten aus: "Die Weltklimakonferenzen geben inzwischen das Bild der Bordkapelle auf der Titanic ab." (c) ÖOK/Manu Nitsch
Wilde Verbundenheit
Die neuen Protestformen seien nicht von oben angeordnet oder organisiert, auch nicht heroischer Akt einsamer Pioniere, sondern so etwas "wie üppiges Myzel, das sich unkontrollierbar zwischen allen, die den Aufstand wagen, entwickelt". Myzel seien die vielen feinen Fäden, durch die Pilze unter dem Waldboden verbunden sind. Selbst dort, wo man keine Fruchtkörper sieht, lebe der Pilz unter der Oberfläche. Zechmeister: "Gegen die Logik des effektiven Handelns, in dem der Einzelne gilt, so viel er leistet, Profit erwirtschaftet und entsorgt wird, sobald ihm dies nicht mehr möglich ist, erinnert die Metapher vom Myzel zunächst daran, dass wir unser Überleben anderen schulden und es nur im Austausch miteinander möglich ist."
Pilze seien so wild und dicht verbunden wie ein neuronales Netzwerk, "sie trachten einander nicht nach Leib und Leben, sondern teilen es". Die Pilze seien nicht nur untereinander verbunden, sondern ihre Vernetzungen seien darüber hinaus lebendige Kommunikationsstrukturen im funktionierenden Ökosystem "Wald".
Zechmeister: "Wir Menschen sind keine Pilze, wir sind nicht einfach durch ein evolutionäres Programm bestimmt und auch nicht zum alternativlosen Raubtierkapitalismus verdammt. Wir sind frei, ob wir weiter parasitär leben wollen, oder ob wir radikal umkehren wollen, zu wahrhafter 'Katholizität', die alle und alles einschließt, in lebendigem Nährstofffluss mit allen Menschen und allem Lebendigem."
"Dem Rad in die Speichen fallen"
Zechmeister verwies in ihrem Vortrag weiters auf den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der angesichts der Tötungsmaschinerie der Nazi den provokanten Satz formuliert habe: Es genügt "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden", sondern wir sind gefordert, dem Rad selbst in die Speichen zu fallen." Und solches "unmittelbar politisches Handeln der Kirche" sei immer dann "gefordert, wenn die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht."
Zechmeister dazu: "Sind wir heute als Kirche und Ordenschristen nicht wieder in dieser Situation; und zwar nicht nur im nationalen, sondern im globalen Kontext? Die globalen Institutionen, mit Milliardenbudgets ausgestattet, scheinen hilf- und zahnlos, sowohl angesichts der brutalen kriegerischen Auseinandersetzungen, wie auch angesichts der rücksichtslosen und irrationalen Priorisierung wirtschaftlicher Interessen. Die Weltklimakonferenzen geben inzwischen das Bild der Bordkapelle auf der Titanic ab."
Neue Protestformen von unten
Hoffnungsstiftende Versuche, die die Ordenschristen inspirieren könnten, sah Zechmeister in den "neuen Protestformen". Sie entstünden meist von unten, "dort, wo Menschen sich zusammenfinden, weil sie gemeinsam gegen zerstörtes Leben aufschreien". Als Beispiele nannte Zechmeister etwa die Dakota-Indianer im Protest gegen Öl-Pipelines, die mit ihren Lecks ihr Grundwasser verseuchen und damit ihr Land unbewohnbar machen; weiter die Black-Lives-Matter-Bewegung, gegen weiße Polizeigewalt, oder die feministische Kollektive "Ni-una-menos" in Argentinien gegen den Machismo. Und schließlich auch die "Letzte Generation", "die dem Berufspendler mit ihrer Autobahnblockade verständlicherweise tierisch auf die Nerven geht, doch es ist der verzweifelte Schrei nach einem 'Halt' entgegen jedem 'Weiter so'".
Und die Ordensfrau stellte die provokante Frage: "Sind wir bereit gemeinsame Sache mit diesen neuen Protestformen zu machen? Nicht nur mit unserem Wort, sondern wirklich mit unseren Körpern dem Rad in die Speichen zu fallen?"
Abgeschlossen wurde der "Ordenstag" mit einem Gottesdienst in der Lainzer Konzilsgedächtniskirche. Am Mittwoch tagen im Rahmen der Ordenstagungen die Verantwortlichen für die Ordensschulen, die Kulturgüter und die Missionsorden.
Quelle: kathpress