Sporschill: Aus Schützlingen wurden einfühlsame Sozialarbeiter
Ruth Zenkert und Pater Georg Sporschill gründeten 2012 den Verein ELIJAH. © ELIJAH Soziale Werke
33 Jahre lebt Pater Sporschill mittlerweile in Rumänien. Seit fast zwölf Jahren erfolgt sein Engagement im Rahmen des von der deutschen Sozialarbeiterin und Theologin Ruth Zenkert in Siebenbürgen gegründeten Vereins Elijah. Der Jesuitenpater hat die insgesamt positive Entwicklung des früheren Ostblock- und heutigen EU-Landes zu Stabilität und Marktwirtschaft vor Ort verfolgen können. Er hat aber auch immer das Problem der extremen Ungleichheit im Auge gehabt. Zurückblicken kann er auf drei Jahrzehnte Arbeit am Bahnhof in Bukarest, in den Häusern für Straßenkinder, den Roma-Dörfern sowie Begleitung von Begabten, die aus Elend und Verwahrlosung herausgekommen sind. Letztere können heute im neuen Elijah-Schülerheim in der Kreishauptstadt Sibiu wohnen und an der Uni oder Fachschule ihren Weg gehen, als künftige Akademiker:innen und Fachschulabsolvent:innen.
Pater Sporschill ist mittlerweile zum „Moschu“ (Opa) geworden, wie er in seinem Weihnachtsbrief schreibt: „Moschu heißt Opa, und so bin ich unverhofft zum Großvater geworden. Wenn mir ehemalige Schützlinge über den Weg laufen, freue ich mich immer. Sie haben jetzt selber Kinder und kümmern sich oft im Beruf um andere.“ Einige junge Leute, die selber Straßenkinder waren, arbeiten jetzt bei Elijah „als einfühlsame Sozialarbeiter:innen“, und „ihnen öffnen sich die Tore und Herzen der ärmsten Roma-Familien“.
Sporschill berichtet anhand von Beispielen, wie diese Mitarbeiter:innen des Vereins Elijah auch die von ihm bereits als verloren angesehenen Ausreißer nicht aufgegeben hätten - mit Erfolg: „Sie sind junge Roma, die mein Herz weiten und helfen, wo wir am Ende sind.“
So sei ein „kleiner Messerstecher“ namens Bogdan vom Elijah-Team aus dem Gefängnis geholt worden. Er arbeitete in der Tischlerei, gab aber wieder auf, weil er „lieber zu den Schafen gehen“ wollte. Er wurde aber weiter betreut. Ein anderer, Elvis, habe bei Elijah eingebrochen. Die jungen Helfer hätten ihn mit in die Kapelle gebracht; „ich müsse ihm verzeihen, baten sie“.
Seit drei Jahrzehnten engagiert sich P. Georg Sporschill in Rumänien. (c) ELIJAH Soziale Werke
Georg Sporschill sieht es als Glück an, Moschu, Opa, zu sein „und zu sehen, wie die Jungen das Werk weiterführen und schwierige Herzen leichter erreichen, als wir Älteren es können“. Es seien „ihre Ideen, ihre Nerven und Unbefangenheit“, die er bewundere; das vertreibe ihm Ängstlichkeit und zu viel Vorsicht.
Der „König“ ist Schützling seit 30 Jahren
Sporschill berichtet, dass es auch einen Hausbewohner gebe, den er schon 30 Jahre lang begleitet habe. Heute würden die Jungen, die Volontärinnen und Gäste abends am liebsten ausgerechnet mit diesem Mann - Moise - zusammensitzen. Moise habe 30 Jahre lang in Extremsituationen überlebt, die meiste Zeit am Bahnhof.
„Engel haben ihn im Gefängnis, in Gewalt, Drogenkonsum und Krankheit beschützt“, heißt es im Weihnachtsbrief: „Stolz nennt er sich den ‚König der Wegelagerer‘. Ihn kennen alle am Bahnhof, die Polizisten grüßen ihn, mit den Wächtern macht er Geschäfte, oft setzt er sich für Kleinere und verletzte Seelen ein. So lange wie jetzt hat er es noch nie in einem Haus ausgehalten. Er hat seinen Platz in der Kunstwerkstatt gefunden. Er erklärt seine Bilder, er spielt Theater und bringt die Bedrückten zum Lachen. Nur er darf rauchen, und er verdient sich gern ein Bier. Wie kein anderer ist Moise ‚Diener der Freude‘. 30 Jahre lang haben wir miteinander gerungen. Jetzt trägt er mich mit seiner besonderen Begabung und Dankbarkeit.“
Es sei schön, auf mehrere Generationen sehen zu können: „Die Kinder auf die Eltern, die Eltern auf die Kinder. Das Kind in der Mitte des Weihnachtsfestes trägt unseren Blick ins Weite. Es lässt uns zurückschauen und dankbar sein. Die Kinder geben uns Mut für die Zukunft. Sie bleiben unsere Aufgabe, sie sind unsere Freude - so wie sie sind und uns fordern. Lasst sie wild sein!“, schreibt der Romahilfe-Pionier abschließend.
Schülerwohnheim und Startwohnungen
Im Projektbericht erinnert Elijah-Leiterin Ruth Zenkert, dass der Verein Elijah vor mehr als zehn Jahren mit Musikunterricht in einer öffentlichen Dorfschule begonnen habe. „Inzwischen unterrichten wir 300 Kinder in zwei Musikschulen. Gemeinsam mit den Familien haben wir winterfeste Häuser errichtet. Vier Sozialzentren öffnen ihre Türen für arme Kinder und ihre Mütter. Viele Jugendliche haben die Schule abgeschlossen, einige haben es bis zum Studium in die Hauptstadt Sibiu geschafft. Unsere Startwohnungen (seit 2022) helfen bei den ersten Schritten in ein eigenständiges Leben.“
Das Schülerwohnheim Casa Francisc bietet 36 jungen Frauen und Männern einen sicheren und zentral gelegenen Wohnraum. (c) ELIJAH Soziale Werke
Acht Studentinnen sind in diese Wohnungen eingezogen, manche sammeln bereits erste Berufserfahrungen. Sie freuen sich über die Unabhängigkeit und übernehmen Dienste in der Casa Francisc, dem Schülerwohnheim in Sibiu. Die ersten Abgänger:innen arbeiten inzwischen bei Elijah mit.
Das erwähnte Schülerwohnheim Casa Francisc bietet einen sicheren und zentral gelegenen Wohnraum für 36 junge Frauen und Männer. Sie besuchen eine höhere Schule, machen eine Ausbildung oder studieren an der Universität. Zum Alltag in der Wohngemeinschaft gehört ein betreutes wöchentliches Gespräch, bei dem Themen wie finanzielle Bildung und Konfliktlösungen besprochen werden.
Neben den Lerneinheiten stehen Sauberkeit und Ordnung sowie gemeinsames Kochen auf dem Tagesprogramm. Die jungen Roma lernen Verantwortung zu übernehmen, für sich, ihre Mitbewohner und ihren Wohnraum. Sie sind dem Elend entkommen und können einmal für sich selbst sorgen.
Unter den Bauvorhaben in den Dörfern kann das Cartier Caroline (seit 2021) in Nou als Modellprojekt gelten, weil die Familien einen Teil der Erhaltung übernehmen. Elf Häuser bieten ausreichend Platz für bedürftige Familien. Es gibt eine Wohnküche, zwei Zimmer und ein Bad mit Dusche und Toilette - würdige Lebensbedingungen für die Familien. Die Kinder gehen in die Schule, ein Elternteil arbeitet, so können die Familien zu den laufenden Kosten beitragen.
In der Musikschule bekommen über 300 Schüler:innen Unterricht und musizieren gemeinsam im Orchester und Chor. (c) ÖOK/msb
Nou ist auch einer der beiden Standorte der Musikschule von Elijah. Die Schüler:innen aus elf Dörfern werden zum Unterricht gebracht. Die Musikschulen bilden die Herzstücke ihres Dorfes. An fünf Werktagen bekommen über 300 Schüler:innen Unterricht und musizieren gemeinsam im Orchester und Chor. Angeboten wird Unterricht für Saxophon, Akkordeon, Klarinette, Flöte, Gitarre, Trompete und Klavier, sowie für die Streichinstrumente Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass. Gesang und Stimmbildung, traditioneller rumänischer und moderner Tanz wird ebenfalls unterrichtet. Ein Schwerpunkt ist die Roma-Tradition. Hier kommen Roma und Rumänen zusammen. Es entstehen Freundschaften, das Miteinanderleben wird zu Normalität, das Selbstvertrauen der Kinder wächst.
Kinder lebten ohne Wasser und Strom
Ruth Zenkert beschreibt auch das Elend, das sie vor zwölf Jahren vorgefunden habe: „Als Taglöhner und Schafhirten verdienten manche Väter ein Taschengeld, das nicht die Ernährung der Kinder abdecken konnte. In einem einzigen Raum, meist aus Holz und Lehm aufgestellt, mit Wellblech oder Planen abgedeckt, lebten Familien mit zehn Kindern, ohne Wasser und Strom. Mit der Armut war die Verwahrlosung gewachsen. Zerbrochene Beziehungen, alleinstehende viel zu junge Mütter, Gewalt, Alkoholkonsum, Schmutz und jeder Mangel an Erziehung und Kultur waren Alltag, der die Menschen lähmte und überforderte. Zum Betteln und Stehlen gezwungen, versuchten sie zu überleben. Ausgestoßen von der Bevölkerung siedelten sie sich am Dorfrand an, der Zugang zu Schule und Arbeit wurde immer schwieriger.“
Sie habe sich damals gefragt - so Ruth Zenkert - wie „man hier einen ersten Schritt setzen“ solle: „Wie das Vertrauen beider Seiten - der Roma und der Nicht-Roma - gewinnen? Wie die Roma-Kinder zum Aufbruch bewegen? Durch tägliches Zuhören, Mitgehen und Hilfe sind wir zusammengewachsen. Kinder kamen zum Trommelunterricht. Lehrer nahmen die Schüler in den Unterricht auf und schickten sie nicht mehr nach Hause. Junge Frauen arbeiteten mit bei der Dorfreinigung. Häuser wurden winterfest gemacht. Für alle besorgten wir in mühsamem bürokratischen Hindernislauf Geburtsurkunden und Personalausweise, so dass sie im rumänischen Staat endlich existierten und in die Gesellschaft eingegliedert werden konnten. Schule, Arbeitsplatz, Sozialhilfe ... standen ihnen jetzt offen.“
Quelle: kathpress