Gut archiviert ist schnell gefunden
Volle Aufmerksamkeit: Das Thema des heurigen Studientags der Archive weckte großes Interesse und sorgte für eine hohe Teilnehmeranzahl. © Johannes Leitner
Wer kennt nicht das Problem? Wenn sich auf einem Schreibtisch eine Unterlage über der anderen türmt, verliert man schnell den Überblick. Etwas in dem ungeordneten Stapel zu suchen, kostet jede Menge Zeit, Nerven und Energie. Ganz genauso verhält es sich auch mit der Suche in einem ungeordneten Archiv – mit dem erschwerenden Unterschied, dass der Suchaufwand mit dem Umfang der Unterlagen noch einmal massiv anwächst.
Das wohlerschlossene Archiv
Damit es nicht so weit kommt, zählt die Erschließung – also die Nutzbarmachung – der verwahrten Unterlagen zu den zentralen Tätigkeiten von Archivarinnen und Archivaren. Erst dadurch werden Archive nützlich für Archivträger und die interessierte Öffentlichkeit. Um die verlässliche Wiederauffindbarkeit von Unterlagen zu gewährleisten, haben sich bewährte Methoden und Standards entwickelt, die immer wieder an die aktuellen Anforderungen angepasst werden müssen. Archivinformationssysteme (AIS), die die Erschließung nach internationalen Standards wie ISAD(G) und bald RiC ermöglichen, sind heute unverzichtbar geworden.
Der Studientag der Archive, zu dem die Fachgruppe der Archive der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften im Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare (VÖA), der Bereich Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz, die ARGE der Diözesanarchive Österreichs und das Archiv der Erzdiözese Salzburg am 29. Jänner 2024 in das Kardinal-Schwarzenberg-Haus in Salzburg eingeladen hatten, lieferte ein detailliertes Update zu diesem umfangreichen Themenkomplex. Im Fokus standen unter anderem ein Erfahrungsaustausch über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Archivinformationssysteme, die auf dem Markt erhältlich sind, aber auch die Fragestellung „Muss man überhaupt alles selbst erschließen?“ Die Vorträge beim Studientag 2024 gaben interessante Einblicke in alle diese Aspekte und lieferten wertvolle Antworten auf viele Fragen.
Garanten des Erfolgs: Das Organisationsteam freut sich mit einigen Vortragenden über eine gelungene Veranstaltung, zu der über 80 Personen gekommen sind. © Karl Kollermann
Möglichkeiten und Grenzen einer standardisierten Verzeichnung
In ihrem Eröffnungsvortrag ging Elisabeth Loinig, Vorstandsmitglied des Verbandes Österreichischer Archivarinnen und Archivare, zunächst auf die Bedeutung der Erschließung von Archivgut ein, die seit jeher zu den Kernaufgaben aller Archivar:innen zählt. Auch wenn diese Aufgabe sehr viel Zeit beanspruche, sei sie doch unumgänglich, damit Bestände überhaupt erst benutzbar gemacht werden können, so die Expertin. Die Qualität der Erschließung und der dabei generierten Informationen, der sogenannten Metadaten, sei ausschlaggebend für den Erfolg von Archivrecherchen, wobei die Erwartungen im Informationszeitalter naturgemäß sehr hoch seien: Eine Suche solle nicht nur relevante Ergebnisse liefern, sondern womöglich auch übergreifend in anderen Archiven in ähnlicher Weise durchführbar sein. Der vor mehr als 20 Jahren verabschiedete internationale Standard ISAD(G) versuchte, diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Elisabeth Loinig gelang es, in ihrem Vortrag den Sinn der standardisierten Verzeichnung auch für kleine Archive zu verdeutlichen. Es wurden die Prinzipien und grundlegenden Merkmale des ISAD(G) vorgestellt und anhand von Beispielen illustriert, aber auch dessen Grenzen aufgezeigt.
Archivrecherche leicht gemacht: Elisabeth Loinig, Vorstandsmitglied des Verbandes Österreichischer Archivarinnen und Archivare, erläuterte die Bedeutung der Erschließung von Archivgut © Johannes Leitner
Next step: Netzwerkbasierte Erschließung
Dem von der ICA-EGAD entwickelten neuen Erschließungsstandard Records in Contexts (RiC) widmete sich anschließend Veronika Führer vom Oberösterreichischen Landesarchiv. Dieser ermögliche eine neue Art und Weise der Erschließung, deren Fokus besonders auf der Darstellung des Kontextes der Unterlagen liege, so Führer. Den Hauptvorteil sieht sie darin, dass komplexe Beziehungen und Strukturen anhand des graphenbasierten Konzeptes auf mehrdimensionale Art und Weise visualisiert werden können. Mit der Veröffentlichung der Version 1.0 im November 2023 besteht RiC nun aus dem überarbeiteten Conceptual Model (RiC-CM) und der Ontology (RiC-O), die einerseits das Modell und andererseits die in RDF umsetzbare Ontologie darstellen. Der neue Standard setzt sich aus Entitäten, Attributen, die diesen zugeordnet werden können, sowie Beziehungen, die die Verknüpfung herstellen, zusammen. Dadurch werde die Möglichkeit der facettenreichen Beschreibung geschaffen, die weit über die bisher durch ISAD(G) bekannten Parameter hinausgeht, betonte die Expertin.
Erschließung 2.0: Veronika Führer vom Oberösterreichischen Landesarchiv widmete sich ausführlich dem neuen Erschließungsstandard „Records in Contexts“ © Johannes Leitner
Das Für und Wider externer Dienstleister
Vor der Mittagspause widmete sich Christopher Sterzenbach, Archivar des Erzbistums München und Freising, dem Themenkomplex der Erschließung von Archivbeständen durch Dienstleister. Da das Archiv seines Erzbistums bereits seit über sieben Jahren mit verschiedenen Dienstleistern zusammenarbeitet, verfügt er diesbezüglich über einen reichen Erfahrungsschatz. Christopher Sterzenbach sah es als durchaus naheliegend an, dass angesichts wachsender Erschließungsrückstände und gleichzeitig sinkender bzw. stagnierender Personalressourcen Archiv-Dienstleister oft als willkommene Alternative erscheinen. Allerdings bedürfe es zum effektiven Einsatz von Finanz- und Personalressourcen bei der Zusammenarbeit mit Dienstleistern einer eigenen Standardisierung. Darüber hinaus sei eine Vor- und Nachbereitung seitens des Archivs unerlässlich, vor allem müssten die Arbeitsschritte gut definiert werden. „Gleichzeitig bietet sich dadurch aber auch die Möglichkeit, die internen Arbeitsabläufe im Archiv kritisch zu reflektieren“, betonte Christopher Sterzenbach eine der damit verknüpften Chancen.
Erschließung durch Dienstleister: Christopher Sterzenbach, Archivar des Erzbistums München und Freising, wies in seinem Vortrag auf die Notwendigkeit einer Vor- und Nachbereitung seitens des Archivs hin. © Johannes Leitner
Verschiedene Archivinformationssysteme im Praxistest
Im Anschluss an die kurze Mittagspause wurden fünf Archivinformationssysteme (AIS) vorgestellt, die in österreichischen Archiven eingesetzt werden. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei sowohl deren Stärken und Schwächen als auch ihre Praxistauglichkeit. Alle fünf vorgestellten AIS unterstützen ISAD(G), den wichtigsten internationalen Standard für Erschließung, und haben auch sonst viele Ähnlichkeiten. Die Vorträge verdeutlichten allerdings einige Unterschiede und erleichterten damit die Entscheidungsfindung für Archive, die selbst noch kein AIS haben und auf der Suche nach einem passenden System sind.
Die präsentierten Systeme im Überblick:
- Augias (vorgestellt von Leonhard Baumgartl, Diözesanarchiv Linz)
- ActaPro (vorgestellt von Andreas Braunauer, selbstständig im Museumsbereich und Archivwesen)
- Archivdatenbank der Österreichischen Ordenskonferenz (vorgestellt von Iris Fichtinger, Österreichische Ordenskonferenz)
- ArchivisPro (vorgestellt von Martin Kapferer, Diözesanarchiv Innsbruck)
- Access to Memory (vorgestellt von Lukas Winder, CEU Provinzarchiv Sacré Coeur)
Kirchliche Archive auf ISAD(G)-Standard gebracht
Den letzten Praxiseinblick des Tages gewährte Stephan Hubinger vom Oberösterreichischen Landesarchiv den interessierten Teilnehmenden. Der renommierte Experte berichtete im ersten Teil seines Vortrags über die ISAD(G)-konforme Überarbeitung sämtlicher elektronischer und analoger Findmittel des Oberösterreichischen Landesarchivs, die mit einer Neu-Tektonierung und Übertragung ins Archivinformationssystem verknüpft wurde. Er ging zunächst im Detail auf die Grundüberlegungen und die wesentlichen Arbeitsschritte ein, bevor er auf die Möglichkeiten zu sprechen kam, die eine detaillierte und strukturierte Online-Präsentation sowohl von übergeordneten Tektonik- und Bestandseigenschaften als auch von Verzeichnungseinheiten ermöglicht.
Im zweiten Abschnitt wurden am Beispiel der Tektonikgruppe „Kirchliche Archive“ konkretere Aspekte der Erschließung nach modernem Standard erläutert, etwa bezüglich der Vergabe von Signaturen, der Darstellung von Entstehungs- und Ordnungskriterien, der Systematisierung von Beständen und der Rücksichtnahme auf verwaltungsgeschichtliche Besonderheiten. Anhand von Beispielen, vorwiegend aus Archiven von aufgehobenen Klöstern, gelang es Stephan Hubinger, Teilbereiche der AIS-Erschließung und deren Online-Präsentation in verständlicher Form zu verdeutlichen.
Volles Haus: Aus ganz Österreich kamen Interessierte nach Salzburg, um am Studientag der Archive 2024 Neues zu erfahren und sich mit anderen zu vernetzen. © Johannes Leitner
Wissensvertiefung und Austausch
Die Referatsthemen am Studientag repräsentierten das breite Spektrum an vorhandenem Know-how zu Erschließung im kirchlichen Archivwesen und unterstrichen einmal mehr die Notwendigkeit des gemeinsamen Austauschs.