Fastentuch in der Michaelerkirche: Die Spuren des Feuers
Das Fastentuch für die Michaelerkirche wurde von Jakob Kirchmayr gestaltet. (c) Erzdiözese Wien/Schönlaub
Ernst Hilger (Galerie Ernst Hilger, Wien) hatte Jakob Kirchmayr im vergangenen Sommer gefragt, ob er Lust hätte, ein Fastentuch für die Michaelerkirche in Wien zu erarbeiten. Er war von dieser Idee angetan, wenngleich das nötige Format von etwa sechs mal zwölf Meter seine größten Arbeiten um das Fünffache überschreiten würde. Doch „die Beschäftigung mit einem neuen Format bedeutet auch immer, man muss eine neue Herangehensweise finden“, erklärte Kirchmayr im Interview. „Mir war relativ rasch klar, dass ich in dieser Dimension mit den Mitteln, die ich üblicherweise verwende, mit Farbe und Stiften, nicht das ausdrücken werde können, was ich gerne ausdrücken möchte.“
Erde, Asche, Rauch und Kohle als Farben
Beeinflusst von düsteren Zukunftsvisionen, den Strategien der großen Konzerne, des Klimawandels und der zunehmenden globalen Zerstörung der Natur, die sich in katastrophalen Strategien widerspiegeln, entschied er sich anstelle von Stiften und Farbe schlussendlich für Wasser und Feuer als Alternative. Das Fastentuch besteht aus etwa 20 verbrannten, geräucherten, mit Asche, Erde und Kohle abgeriebenen und dem Regen ausgesetzten Baumwolltüchern - Erde, Asche, Rauch und Kohle als färbende Medien. „Die Spuren des Feuers, apokalyptisch, wie auch wunderschön zugleich“, sagte der Künstler.
140 Quadratmeter Stoff
„Wir haben 140 Quadratmeter Stoff verwertet“, erinnert sich Kirchmayr im Interview. „Das Tuch besteht aus vielen Fragmenten. Diese wurden händisch vernäht und dafür rund 500 Meter Nähgarn benötigt. Auf der Rückseite gibt es eine Konstruktion aus Seilen, die den Stoff trägt, denn das Gewebe wurde durch das Feuer teils stark geschwächt und ist daher recht fragil. Ich glaube, es sind 130 Meter Seil - das sind schon Dimensionen, die für ein normales Kunstwerk ungeheuerlich sind“, betont Jakob Kirchmayr. Die Tücher wurden bewusst gerafft und geknittert - so entstand ein Bildwerk mit beinahe skulpturalem Charakter.
Was bedeutet Fastenzeit?
„Jakob Kirchmayr hat sich überlegt, was heutzutage Fasten und Fastenzeit bedeutet“, erzählt P. Erhard Rauch, Salvatorianer und Pfarrer der Michaelerkirche. „Es ist Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten. Die Menschen müssen auf verbrannter Erde inmitten Trümmern leben. Diese Menschen müssen fasten, und wir wollten das aufzeigen und in unsere Wohlstandsgesellschaft hineinbringen. Das war das Anliegen dieses jungen Künstlers, und ich denke, es ist ihm hervorragend gelungen.“
Michaelerkirche: Ein Platz (auch) für moderne Kunst
Die Michaelerkirche war schon immer ein Platz für junge und moderne Kunst. „Ich glaube, es gibt junge Künstlerinnen und Künstler, die sehr spirituell sind, jetzt vielleicht nicht im streng konservativen kirchlichen Sinn, aber die sich Gedanken machen und das Leben in Beziehung setzen mit dem Vergänglichen“, erklärte P. Erhard Rauch. „Ich glaube, das ist wichtig. Und in der Michaelerkirche haben wir immer wieder junge Künstlerinnen und Künstler, die aufstrebend sind, die am Beginn ihres künstlerischen Schaffens stehen, ermöglicht, ihre Werke größer darstellen zu können.“
Düster, aber dennoch Hoffnung
„Ich habe versucht, mit dem Fastentuch den Zustand der Welt zu beschreiben“, bringt es Jakob Kirchmayr auf den Punkt. "Unsere Welt scheint gerade auseinanderzubrechen, oder an einem Wendepunkt angelangt zu sein und wir müssen achtsam sein, dass unsere Gesellschaft nicht daran zerfällt. Vieles ist düster und macht mich traurig oder wütend, es gibt so unglaublich viel Unrecht und Zerstörung. Verfolge ich die Medien, dann empfinde ich Schmerz. Ein Künstler versucht wohl immer seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen und diese in seine Kunstwerke zu transformieren. In diesem Fastentuch sind somit auch Schmerz und Wut über die globalen Missstände zu finden - vielleicht aber auch Hoffnung, denn die vielen Fragmente, aus denen das Tuch besteht, die das Feuer verbrannte und verkohlte, wurden auch wieder zu einer Einheit zusammengefügt - jedoch erinnern mich die Nähte, wie Narben an Wunden.“
Der Künstler
Jakob Kirchmayr wurde 1975 in eine Künstlerfamilie geboren und entwickelte seinen eigenen Malstil nach ersten Zeichnungsexperimenten. Seine Bilder sind von lyrischen Texten inspiriert und enthalten oft handgeschriebene Zitate, die wie versteckte Botschaften wirken. Seine neuesten Arbeiten sind von konkreten Themen befreit und stellen Landschaften dar, die sowohl persönliche Erfahrungen als auch kollektive Erinnerungen reflektieren und emotionale Reaktionen hervorrufen. Kirchmayrs Arbeitsweise ist durch den Aufbau von Schichten aus Farbe und Textur ohne vorbereitende Skizzen gekennzeichnet, was seine Bilder energetisch und impulsiv macht. Kirchmayrs Kunst wurde bereits in großen Einzel- und Gruppenausstellungen in Österreich und Europa sowie auf Kunstmessen in Europa und den USA gezeigt. Er lebt und arbeitet in Wien.
Auch die Seitenblicke des ORF waren in St. Michael zu Gast und haben über das Fastentuch berichtet. Hier kann der Beitrag nachgeschaut werden (bis 22. Februar 2024).
Quelle: Salvatorianer