25 Jahre Missionsschwestern vom Heiligsten Erlöser in der Ukraine
Ende Mai 2024 reiste Sr. Anneliese Herzig zusammen mit drei Mitschwestern in die Westukraine, um das 25-jährige Jubiläum der Provinz Ukraine zu feiern. (c) Sr. Antonija Shelepylo
Hoffnung und Freude, Trauer und Angst …
Dieses Anfangswort aus dem Dokument Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils fällt mir ein, wenn ich auf die Reise zu unseren ukrainischen Mitschwestern zurückschaue. Zusammen mit drei Mitschwestern habe ich mich am Fronleichnamstag (30. Mai 2024) auf den Weg gemacht. Ziel war die westukrainische Stadt Lwiw (Lemberg). Wir wollten der Einladung der Provinz Ukraine folgen, 25 Jahre Gründung zu feiern. Dazu ist es gut zu wissen, dass unsere ukrainischen Mitschwestern der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche angehören und unsere kleine Kongregation somit seit 25 Jahren in zwei Riten lebt.
Bereits auf dem Weg kann man die Unterschiede in Europa leibhaft erfahren: Die österreichisch-tschechische und die tschechisch-polnische Grenze haben wir einfach passiert, fast ohne es zu merken. Am Grenzübergang in die Ukraine dann stundenlange Kontrolle (obwohl wir, ehrlich gesagt, ziemliches Glück hatten und relativ rasch durchgekommen sind).
Der Soldatenfriedhof in Lwiw wächst ständig. (c) Sr. Anneliese Herzig
Natürlich haben wir uns gefragt, was uns in der Ukraine erwarten wird, die ja im Prinzip seit 2014 und dann seit 2022 im Krieg steht und ihr Territorium verteidigt. Und klar: wir waren nur im äußersten Westen, nicht in den wirklich gefährlichen Gebieten der Ost- und Südukraine. Unser Wunsch an die Mitschwestern war, dass wir neben der Feier auch mit Menschen in Kontakt kommen, die sich in dieser Situation engagieren oder die uns etwas von ihren Erfahrungen erzählen können. Und so haben wir Maria getroffen, deren Ehemann 2023 gefallen ist und die Trost im Glauben findet und in der Überzeugung, dass er sich wenigstens für eine sinnvolle Sache, die Verteidigung des Landes, eingesetzt hat und für seine Kameraden gesorgt hat. Es hat mich besonders berührt, dass bald nach dem Tod des Mannes die Tochter sich entschieden hat, zum Militär zu gehen. Aber bei dieser Frau ist mir kein Hass entgegen gekommen. Als wir mit ihr am ständig wachsenden Soldatenfriedhof waren, wurden gerade wieder drei Soldaten beerdigt. Die meisten, die dort begraben sind, sind junge Leute. Die Leute knien nieder, wenn der Sarg vorbeigetragen wird. Wir tun es ihnen gleich.
Leben mitten im Sterben
Unsere Schwestern wollten auch unbedingt in ein Café mit uns gehen. Kaffeetrinken halt, dachte ich. Doch da war etwas für mich ganz Besonderes: Ein junger Student trug die Idee für ein Kaffeehaus, einen Begegnungsort für ganz verschiedene Menschen, in sich und hatte schon Einrichtungsgegenstände und Kuchenrezepte gesammelt. Dann kam der russische Angriff, und er meldete sich zum Militär. Von der Front ist er nicht lebend zurückgekehrt. Ist damit wieder ein Traum gestorben? Nein, sein Freundeskreis hat im Gedenken an ihn seinen Traum verwirklicht: Heute gibt es ein nett eingerichtetes Café, mit Kuchen nach den Rezepten der Oma des jungen Mannes, und vielen Gegenständen, die er schon vorbereitet hatte. Leben mitten im Sterben.
Es war die Idee eines jungen Studenten, der seinen Einsatz an der Front nicht überlebte: Ein Kaffeehaus als Begegnungsort. Seine Freunde verwirklichten seinen Traum. (c) Sr. Anneliese Herzig
In der Garnisonkirche ein Plakat mit Kinderfotos. Was sie verbindet: sie haben ihren Vater verloren. Ihre Aussagen reichen von „Ich vermisse dich, Papa, ich sehne mich nach deiner Umarmung“ bis zu „Ich hasse den Krieg“.
Tarnnetze knüpfen, um nicht ins Grübeln zu kommen
Besucht haben wir auch eine Gruppe Freiwilliger, die Tarnnetze knüpft und sich auch für schwer verwundete Soldaten einsetzt, die niemanden haben. Dazu muss man wissen, dass es üblich ist, dass Verwandte sich um verschiedene medizinische Hilfsmittel und Medikamente oder Zusatznahrung sorgen müssen. Manche engagieren sich auch, um selbst nicht zu sehr ins Grübeln zu kommen oder nicht alleine zu bleiben. Ein anderer Schauplatz ist eine Einrichtung der Caritas mit einem Mix aus geflüchteten Menschen, Suchtabhängigen, die dort in Rehabilitation sind, und der Möglichkeit, dass sich Soldaten, die von der Front zurückkommen, für einige Tage mit ihrer Familie dort in schöner Umgebung zurückziehen können, um etwas aufatmen zu können.
Eine Gruppe Freiwilliger knüpft Tarnnetze und setzt sich für schwer verwundete Soldaten ein, die niemanden haben. (c) privat
Sich das Leben nicht nehmen lassen
Und nun Szenenwechsel. Samstagabend: die Innenstadt von Lwiw ist voll von Leuten, die in Cafés sitzen, es gibt Musik, Menschen tanzen auf dem zentralen Platz, Kinder spielen am Brunnen. Leben pur. In der Nacht wird wieder Alarm sein, aber die Menschen wollen sich das Leben nicht nehmen lassen. Das hat uns auch eine Schwester einer anderen Gemeinschaft bezeugt, die eigentlich in Charkiw lebt, also ganz im Osten, wo es derzeit viele Angriffe gibt. Menschen hören nicht auf, ihre Gärten zu pflegen und neue Blumen zu setzen. Sie wollen möglichst „normal“ leben.
Mit dem Patriarchen der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche feierten die Schwestern ihr 25-jähriges Jubiläum. (c) Alexander Savransky
Am Sonntag konnten wir dann mit unseren Schwestern in einer kleinen Stadt, in der alles begonnen hat, 25 Jahre Gründung unserer Gemeinschaft in der Ukraine feiern. Die (große) Kirche war gesteckt voll, der Patriarch der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche angereist. Da ich fast von Anfang an die Gründung begleiten konnte, war das für mich ein besonderer Augenblick, und viele Erinnerungen sind gekommen. 1999 haben die ersten ukrainischen jungen Frauen mit dem Gemeinschaftsleben in Lwiw begonnen. Die Redemptoristen der Ukraine haben sie begleitet und unsere Gemeinschaft hat durch verschiedene Besuche an der Erstformation mitgewirkt. 2001 konnte die Kongregation dann zwei Schwestern, Sr. Margret Obereder und Sr. Hildegard Dankl senden, und das erste Noviziat begann. Später kam eine dritte Schwester, Sr. Paula Straub, hinzu. Aus diesem Anfang ist eine lebendige Provinz gewachsen, und ich bin sehr dankbar, dass ich Teil des Weges sein durfte. Unsere Schwestern sind gerade jetzt in der Situation des Krieges für viele Menschen wichtig geworden, sei es in der Pastoral, in der psychologischen Begleitung oder einfach in der Präsenz.
27 Schwestern, Novizinnen und Postulantinnen wirken in der Ukraine
Derzeit sind es 27 Schwestern, Novizinnen und Postulantinnen, die in Lwiw, Kamjanetz-Podilskij (Mittelukraine) und Tschernihiw (im Nordosten von Kiew) wirken. Immer wieder machen sie sich auch auf den Weg zu den Auslandsgemeinden, die durch Geflüchtete noch größer geworden sind. Und eine Schwester verstärkt im Moment unsere Hausgemeinschaft in Wien und arbeitet als Bibeltheologin beim Katholischen Bibelwerk.
27 Schwestern, Novizinnen und Postulantinnen wirken derzeit in der Ukraine. (c) privat
Patriarch Swjatoslaw Shewchuk machte in seiner Predigt zum Evangelium der Samariterin am Jakobsbrunnen auf den Kern des Ganzen aufmerksam: Unser Leben nährt sich von Momenten, in denen wir Jesus begegnen und uns von ihm senden lassen. Ich kann mich nur unserer Provinzoberin anschließen, die auf unserer Website schreibt: „Ein roter Faden hat sich durch die Tage hindurch gezogen. Ich bin mutigen Menschen begegnet. Der Anfang unserer Gemeinschaft hat viel Mut erfordert – und die Zerreißprobe des ukrainischen Volkes erfordert unendlich viel Mut und Kraft von allen.“ Und ich habe gelernt, dass es das Fest, die Freude und die Schönheit braucht, um in schwierigen Situationen, auch in der Situation des Krieges, bestehen zu können und die Hoffnung nicht zu verlieren.