P. Bürgler: „Den Ursprüngen der Gesellschaft Jesu wieder näher“
P. Bernhard Bürgler blickt im Interview auf seine Zeit als Provinzial der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten zurück. (c) SJ-Bild
Pater Bürgler, wo steht die Provinz gut drei Jahre nach ihrer Gründung?
Es ist schon viel geschehen und trotzdem sehe ich die Provinz noch im Prozess der Neugründung. In verschiedenen Bereichen haben wir gute Strukturen und Abläufe etabliert, beispielsweise im wirtschaftlichen Bereich und im apostolischen Bereich. Diese Strukturen helfen uns, unsere Arbeit und unsere Mission zu erfüllen. Gleichzeitig gab es viel Begegnung und Austausch untereinander. Mein Eindruck ist, dass trotz der noch offenen Punkte alle Ordensmitglieder mit dieser Provinz zufrieden sind und niemand sie grundsätzlich in Frage stellt.
Als Provinzial waren Sie vor allem gefordert, wenn etwas gerade nicht so gut läuft oder Probleme bereitet. Was hat Ihnen am meisten Freude bereitet in der Leitung der Provinz?
Das Kennenlernen der Mitbrüder, die Begegnungen und Gespräche mit ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Regionen haben mir am meisten Freude gemacht. Zu sehen, was sie bewegt, wofür sie brennen, was sie tun und wie viel Gutes für die Menschen vor Ort geleistet wird. Diese Vielfalt und dieser Reichtum in unserer Provinz und ihren Regionen haben mich immer wieder beeindruckt. Es hat mich auch gefreut, wenn es uns gelungen ist, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die Zukunft zu gestalten und Voraussetzungen zu schaffen, dass die Botschaft Jesu zu den Menschen kommen kann.
Diese Aufgabe wird nicht unbedingt leichter.
Wir befinden uns mit der ganzen Gesellschaft und der Kirche in großen Veränderungsprozessen, die viel Unsicherheit, Sorgen und Ängste mit sich bringen. In diesem Kontext müssen wir immer wieder neu klären, wer wir sind, was wir wollen und was wir können. Nur aus dieser Selbstvergewisserung heraus können wir unser Apostolat und unsere Gemeinschaft gestalten. Dieser Prozess der Konzentration, Reduktion und Transformation hat eine schwierige, aber auch eine sehr spannende Seite, weil Neues entstehen kann.
Wo sehen Sie die Herausforderungen der Zukunft?
Eine zentrale Herausforderung ist die Weitergabe des Glaubens an junge Menschen und die nächste Generation. Wie können wir den Reichtum der Botschaft Jesu in einer Sprache vermitteln, die Menschen heute verstehen und aufnehmen können? Dazu den Kontakt zur heutigen Welt und Gesellschaft zu suchen und zu finden, ist unsere Aufgabe. Mit Blick nach innen erfordert dies die Anpassung der Provinzstrukturen an die konkreten Orte, Menschen und Tätigkeiten, auch an unsere Ressourcen. Da stellen sich Fragen wie „Wo wollen wir sein?“, „Was wollen wir tun?“, und „Wie helfen wir jungen Mitbrüdern und Mitarbeitern, dass sie gut miteinander arbeiten können im Einsatz für das Reich Gottes, da wo sie sind?“.
P. Bernhard Bürgler (Mitte) übergibt das Amt des Provinzials am 31. Juli 2024 an P. Thomas Hollweck (rechts). (c) SJ-Bild
Welche Perspektiven sehen Sie für die Provinz?
Für mich sind die vier Universalen Apostolischen Präferenzen des Jesuitenordens wichtig: den Weg zu Gott aufzeigen, an der Seite der Benachteiligten stehen, junge Menschen begleiten und sich um die Erde als unser gemeinsames Haus sorgen. Von diesen Präferenzen können wir uns inspirieren lassen, sie in die Zeit und an die Orte bringen. Das eröffnet Perspektiven für unser Handeln und Wirken als Jesuiten.
Eine Perspektive ist auch, diesen Prozess des Suchens und Findens noch mehr gemeinsam zu gestalten, mit Nicht-Jesuiten, mit Partnern und Mitarbeitern.
Zudem können wir Orte pflegen, an denen Menschen aus der Botschaft Jesu Nahrung für ihr Leben finden können. In Zukunft kann eine flächendeckende Seelsorge nicht mehr überall gewährleistet werden, deswegen sind kirchliche Orte und geistliche Zentren gefragt. Wir haben solche Orte und können weitere schaffen, beispielsweise Kirchen, Exerzitienhäuser, Bildungszentren, Schulen und vieles mehr.
Worin besteht die Herausforderung, eine grenzüberschreitende Provinz zu leiten?
In der Zentraleuropäischen Provinz kommen viele verschiedene Aspekte und unterschiedliche Faktoren und Einflüsse zusammen, die alle beachtet werden wollen, um dem Ganzen gerecht zu werden. Die besondere Herausforderung ist neben der Verschiedenheit der gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen und kulturellen Situation in den zugehörigen Regionen, ein unterschiedliches Jesuit-Sein und Mitarbeiter-Sein, und damit verbunden unterschiedliche Sichtweisen auf das Ganze.
Die grenzüberschreitende Provinz bringt uns gleichzeitig den Ursprüngen der Gesellschaft Jesu wieder ein Stück näher, denn auch die ersten Jesuiten im 16. Jahrhundert kamen aus verschiedenen Königreichen und Ländern Europas. Diese grenzüberschreitende, internationale Gemeinschaft war dem Ordensgründer, dem heiligen Ignatius von Loyola, wichtig. Das leben wir in unserer Zentraleuropäischen Provinz wieder und ist auch ein Zeichen in unserer Zeit, in der das nationalistische Denken zunimmt.
Was hat Ihnen am meisten geholfen, mit der Komplexität in der Provinz umzugehen?
Das war die persönliche Begegnung. Wenn sich die Leute getroffen und einander kennengelernt haben, sich erzählt und zugehört haben, war das hilfreich für das gegenseitige Verständnis. Und das geschah im tatsächlichen Hingehen und Hinfahren an Orte, in Einrichtungen, zu Menschen. Wir alle mussten lernen, vom eigenen Ort oder Land hinaus auf die neue große Provinz zu schauen. Da habe ich in den letzten Jahren sowohl bei Jesuiten als auch bei Nicht-Jesuiten eine Weitung der Sicht miterlebt. Wir sind aufgefordert, nicht mehr nur an Österreich, Deutschland oder die Schweiz zu denken, sondern auch an die anderen Regionen in unserer Provinz. Das gilt beispielsweise für die apostolischen Bereiche, in denen wir tätig sind, und ihre Einrichtungen wie Schulen, Hochschulen und vieles mehr. Dieser Prozess des Zusammenwachsens in der Provinz ist in vollem Gange.
Gibt es Beispiele?
Ein gutes Beispiel ist Litauen, das sowohl sprachlich wie geografisch, kulturell und geschichtlich sehr verschieden von den deutschsprachigen Regionen ist. Durch das Kennenlernen der Orte, der Menschen, auch der Mitbrüder, die unter dem Sowjetregime verfolgt wurden, wurde unser Blick unglaublich geweitet. Ein anderes Beispiel ist Schweden, wo der Besuch wirklich geholfen hat zu spüren, dass die katholische Kirche und das katholische Leben eine ganz andere Dynamik und Lebendigkeit als bei uns haben, eine Dynamik, die von Wachstum und Freude geprägt ist. Ein drittes Beispiel ist das Zusammenspiel von apostolischer und ökonomischer Sichtweise. In der neuen Provinz sind die einzelnen apostolischen Felder über alle Regionen hinweg durch eine Delegatin bzw. einen Delegaten vernetzt, während die Verwaltung und die wirtschaftlichen Belange, bedingt durch die unterschiedliche rechtliche Situation, regional verankert sind. Das Zusammenbringen der Menschen beider Bereiche war wichtig, um sich zu begegnen, die je andere Sichtweise kennenzulernen und voneinander zu lernen.
Können Sie eine konkrete Erfahrung nennen, die Sie positiv überrascht hat?
In Litauen arbeiten die Mitbrüder mehr als in anderen Regionen der Provinz in ganz verschiedenen Bereichen gleichzeitig mit: zum Beispiel in der Schule, in der Kirche und in der Exerzitienarbeit. Jeder hat seine Schwerpunkte, hilft aber auch den anderen. Die Aufgaben werden stärker als gemeinsame Arbeit gesehen. Die Organisation der Kommunitäten, in denen die Jesuiten leben, ist in Litauen weniger strukturiert als in Deutschland oder Österreich. Das Zusammenleben funktioniert eher informell, spontan, auf Basis von Beziehungen und Freundschaften. Es gibt weniger Struktur aber nicht weniger Gemeinschaft.
Jetzt könnte man sagen, die Rücksichtnahme auf komplexe Situationen und Strukturen ist hinderlich für die Effizienz. Was sagen Sie dazu?
Unsere Sendung ist es, den Menschen die Botschaft Jesu zu verkünden. Das bedeutet, dass wir auf die Menschen und ihre Situationen eingehen müssen. Sie stehen im Mittelpunkt. Daher sehe ich Komplexität auch als Ermöglichung und Chance. Es ist eine gegenseitige Bereicherung, ein gegenseitiges Lernen und Inspiration, die ich für meine eigene Situation nutzbar machen kann. Was dabei hilft, ist der gemeinsame Grund in der ignatianischen Spiritualität, die wir durch Aus- und Weiterbildung der Jesuiten und Nicht-Jesuiten vertiefen und erweitern. Sie betont die Bedeutung des Innehaltens, der Reflexion, und, bei aller Treue zu den Grundsätzen, die Flexibilität für die konkrete Situation vor Ort.
Welchen Rat legen Sie Ihrem Nachfolger ans Herz?
Vom heiligen Ignatius ist der Spruch überliefert: „Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg deiner Arbeit einzig von Gott abhinge und nicht von dir. Wende aber allen Fleiß so an, als ob von Gott nichts und alles von dir abhinge.“ Dieses Ineinander von eigener Anstrengung und Vertrauen auf Gott in der Balance zu halten und sich daran zu orientieren, das wäre mein Rat. Ein zweiter: Den Humor nicht verlieren!
Diese herausfordernde und manchmal auch schwierige Aufgabe bietet die Chance, noch mehr in den Orden hineinzuwachsen und ihn von einer anderen Seite kennenzulernen. Ich habe den Eindruck, dass ich in meiner Zeit als Provinzial noch mehr Jesuit geworden bin, weil ein solches Amt Möglichkeiten eröffnet, die nicht jedes Ordensmitglied hat – sowohl in der Provinz als auch in der weltweiten Gesellschaft Jesu.
Wie geht es für Sie weiter?
Ich trete ein Sabbatjahr an, habe etwas freie Zeit, um mich neu zu orientieren, manches zu vertiefen und dann zu spüren, was als nächstes kommt. Die Zeit ohne die bisherige Verantwortung und ohne Termindruck werde ich sicher genießen und empfinde diese Möglichkeit als großes Entgegenkommen des Ordens. Ich freue mich darauf.
Quelle: Jesuiten – Klaus Voßmeyer, Mathias Werfeli SJ