Sr. Notburga Maringele im Interview: Abenteuerlust im Ordensgewand
Sr. Notburga Maringele, Missionsprokuratorin der Tertiarschwestern in Hall in Tirol, sprach im Interview mit dem „Katholischen Sonntagsblatt“ der Diözese Bozen-Brixen über den Einsatz ihrer Ordensgemeinschaft in Bolivien. (c) ÖOK/rm
Katholisches Sonntagsblatt: Die Missionsstation in Bolivien wurde von den Franziskanerpatres geleitet. Warum wandten sie sich an die Tertiarschwestern?
Sr. Notburga Maringele: Vermutlich deshalb, weil wir auch Franziskanerinnen sind. In den Aufzeichnungen steht nur, dass Franziskanermissionar P. Damasus Sartori in Kaltern vorgesprochen hat, um Schwestern für Bolivien zu erbitten. Ein Grund dafür wird aber nicht genannt.
Was weiß man über die Pionierinnen, die sich freiwillig meldeten?
Die zwei Schwestern waren Sr. Ehrentrudis Graßmayr und Sr. Kanisia Hafner. Es waren Lehrerinnen. Sr. Ehrentrudis unterrichtete an der Bürgerschule in Bozen. Mehr ist nicht bekannt. In der Chronik steht nur, dass die Schwestern das Missionskreuz und somit die Erlaubnis bekommen haben, nach Bolivien zu gehen.
War es Abenteuerlust, die die Schwestern dazu gebracht hat, ins Ungewisse aufzubrechen?
In den Aufzeichnungen ist dazu nichts vermerkt. Bei manchen spielte sicher auch Abenteuerlust eine Rolle. Allein die Tatsache, dass sie die mehrwöchige beschwerliche Reise auf sich genommen haben, spricht dafür, dass es zähe, starke und auch mutige Frauen waren. Natürlich war auch der Missionsgedanke, Seelen zu retten, in den Ordensfrauen stark präsent.
Bis sie an ihrem Ziel Ascensión in Guarayos ankamen, reisten die Tertiarschwestern nach der Fahrt mit Schiff und Eisenbahn mehrere Wochen lang auf Maultieren durch den Urwald. (c) Tertiarschwestern Hall
Ist in der Chronik vermerkt, wann die Frauen aufgebrochen sind?
Am 19. Oktober 1924 fand die Aussendungsfeier statt, bei der sie das Missionskreuz erhielten. Am 21. Oktober sind sie Richtung Genua aufgebrochen, um dort am 23. Oktober das Schiff zu besteigen.
Wussten die beiden Schwestern, was sie erwarten würde?
Mit Sicherheit nicht. In Bolivien war es heiß und feucht. Allein die Ordenstracht der Schwestern war schlecht geeignet für dieses Klima.
Wie beschwerlich war die Reise?
Nach der Fahrt mit Schiff und Eisenbahn erwartete sie eine mehrwöchige Reise auf Maultieren durch den Urwald. In einer Kuhhaut sitzend, die wie ein Tabaksbeutel oben geschlossen wurde, mussten sie den einen Kilometer breiten Rio Grande überqueren. Ende Februar 1925 erreichten sie ihr Ziel – Ascensión in Guarayos.
Haben die Schwestern die Reise gut überstanden?
Ja, und sie wurden bereits kurze Zeit später als Lehrerinnen eingesetzt. Sr. Ehrentrudis hat sehr schnell Spanisch und Guarayu, die Sprache der Ureinwohner, gelernt. Sie war sehr sprachbegabt und übersetzte bald einfache deutsche Texte ins Spanische oder in die Sprache der Guarayos. So entstanden die ersten Unterrichtsmaterialien. Sr. Kanisia unterrichtete ebenfalls und war wegen ihrer verwegenen Reitkunst sehr bekannt. In der Anfangszeit legten die Schwestern die langen Wege zu den Siedlungen im Urwald auf Pferden, Fahrrädern, in Kanus oder zu Fuß zurück, was nicht gefahrlos war. Es konnte passieren, dass sie im Urwald Begegnungen mit einer Raubkatze oder einer Riesenschlange hatten. Als die Wege später ausgebaut wurden, konnten sie dann auch mit Autos befahren werden.
Die Aufgabe der Schwestern war somit die Unterrichtstätigkeit?
Ja, die Patres haben dort Schulen aufgebaut. Drei Jahre nach Ankunft der beiden Schwestern folgten weitere drei: Sr. Ignatia Bozzetta, Sr. Rosalia Fledersbacher und Sr. Carmela Sam. Diese sind am 1. September 1927 in Kaltern aufgebrochen, dann nach München und Hamburg, wo sie am 7. September 1927 mit dem Dampfer abgelegt haben.
Die Missionsstation wurde von den Franziskanerpatres geleitet. Welche Stellung hatten die Ordensschwestern?
Am Anfang herrschte eine ziemliche Hierarchie, so aßen zum Beispiel die Patres nie mit den Schwestern, sondern ließen sich von einer eigenen Haushälterin versorgen und bedienen. Auch in den Berichten, welche die Missionare schrieben, wurden die Schwestern fast nie mit Namen genannt, sie wurden als praktische Hilfskräfte gesehen. Ich glaube aber dennoch, dass die Arbeit der Schwestern geschätzt wurde. Mittlerweile gibt es viel partnerschaftlichen Austausch und eine gute Zusammenarbeit.
Franziskanerpatres leiteten die Missionsstation in Bolivien. (c) Tertiarschwestern Hall
Was denken Sie persönlich, wenn Sie auf die Leistung der Schwestern blicken?
Wenn ich einen Hut aufhätte, würde ich ihn ziehen. Ich bewundere den Mut dieser Frauen. Aber auch heute noch legen die Schwestern dort einen selbstverständlichen Einsatz in vielen Bereichen an den Tag. Das hat dazu beigetragen, dass alles so wachsen konnte.
Wie entwickelte sich die Missionsarbeit im Laufe der Zeit?
Immer mehr Schwestern gingen nach Bolivien, sie unterrichteten in den primitiven Schulen, bereiteten Kinder und Erwachsene auf die Sakramente vor und versorgten die Kranken in den entlegenen Dörfern im Urwald. Durch ihren Einsatz konnten die Kindersterblichkeit und die Zahl der Tuberkulosekranken drastisch gesenkt werden. Während des Zweiten Weltkrieges waren die Schwestern von der Heimat abgeschnitten, danach kamen wieder junge Schwestern nach und die Mission blühte auf.
Sind die Pionierinnen jemals wieder in ihre Heimat zurückgekehrt?
Sr. Ehrentrudis und Sr. Canisia sind nach neun bzw. elf Jahren nach Europa zurückgekehrt, sie waren aber gesundheitlich sehr angeschlagen. Sr. Ignatia Bozzetta ist in Ascensión gestorben.
Wie stellt sich die Situation in Bolivien heute dar?
Mithilfe von Spenden aus der Heimat konnten in Ascención ein Hospital und weitere kleine Gesundheitszentren in San Miguel, Urubichá und Yaguarú gebaut werden. Ganz wichtig war und ist die Bildungsarbeit, nur über sie können die Menschen die Armut überwinden. Es entstanden mehrere Schulen, in Ascensión gibt es mittlerweile auch ein großes Schulzentrum. Insgesamt ermöglichen diese Schulen rund 5000 Kindern und Jugendlichen eine solide Ausbildung. In Ascensión entstand zudem das Centro Tau, in dem beeinträchtigte Kinder gefördert werden, und ein Ernährungszentrum. Ungeachtet der vielen Arbeit engagieren sich die Schwestern auch in der Pastoralarbeit, bereiten auf die Sakramente vor und begleiten die Jugendlichen auf ihrem Glaubensweg. Derzeit wirken 21 Tertiarschwestern in Bolivien und führen die Arbeit der mutigen Pionierinnen fort. Von diesen stammen nur noch vier aus Österreich. Sie sind alle schon über 80 Jahre alt und haben die Leitung der Schulen und der Projekte an ihre jüngeren bolivianischen Mitschwestern abgegeben.
Quelle: Katholisches Sonntagsblatt – Kirchenzeitung der Diözese Bozen-Brixen/Martina Rainer