Gesprächsinsel: Wiens moderne Klosterpforte an der Freyung
Seit Jahresbeginn wird die Gesprächsinsel in Wien von der Österreichischen Ordenskonferenz in alleiniger Trägerschaft geführt. Leiterin Verena Osanna stand Kathpress nun Rede und Antwort. (c) ÖOK/emw
Diese Verbindung sei stimmig, befindet „Gesprächsinsel“-Leiterin Verena Osanna, „denn wir sind wie eine moderne Klosterpforte, bei der jeder willkommen ist und ein offenes Ohr für Sorgen, Fragen und Zweifel findet, und es wird geschaut, wie man weiterhelfen kann“, sagt die diplomierte Ehe-, Familien- und Lebensberaterin im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress.
„Wir sind erfahren, belastbar und nehmen uns Zeit für Sie“, heißt es auf der Website des Beratungsangebotes (www.gespraechsinsel.at), das sich als niederschwellige Erstkontaktstelle für Menschen unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, religiöser Zugehörigkeit und Weltanschauung präsentiert. Besonders für „Menschen, die Entlastung suchen und hoffen, dass ein Gespräch Dinge lösen kann“ wolle man da sein, erklärt Osanna. Es gehe nicht um die Behandlung schwerer Krankheitsbilder, „sondern um das Schaffen eines Raumes für das, was im persönlichen Umfeld sonst schwer anzusprechen ist.“ Das Gespräch kann dabei helfen, sich der eigenen Situation bewusst zu werden, mehr innere Ordnung und vielleicht auch Klarheit über den ersten nächsten Schritt zu bekommen.
Offen für Personen und Themen
Die Arbeit der Gesprächsinsel unterscheidet sich dabei deutlich von klassischen Beratungs- oder Seelsorgeangeboten. „Unsere Haltung ist absichtslos und abwartend – wir sind offen für die Personen und für die Themen, die kommen.“ Menschen mit ganz unterschiedlichen Anliegen werden davon angezogen: Von kleinen und großen Fragen zur Trauer, zum Glauben, zur Migration oder zum persönlichen Lebensweg etwa. „Wir haben keine Fachberatung“, sagt Osanna, „und gerade das macht uns zu einem Ort, wo wirklich jedes Thema Platz finden kann.“ Die Gesprächsinsel fungiert auch als Drehscheibe, um bei Bedarf auf andere spezialisierte Einrichtungen hinzuweisen, wozu die gute Vernetzung eine große Hilfe ist.
In seiner jetzigen Form wird das Wiener Citypastoral-Angebot seit Jahresbeginn von der Österreichischen Ordenskonferenz alleine getragen. Osanna, die schon seit elf Jahren vor Ort tätig ist, freut sich über die Unterstützung: „Die Ordensgemeinschaften waren von Anfang an involviert und haben uns jetzt vollständig übernommen. Damit ist die Zukunft der Gesprächsinsel gesichert.“ Inhaltlich hat sich dadurch wenig verändert, doch die neue Trägerschaft ermöglicht zusätzliche spirituelle Angebote, darunter etwa „Guided Prayer Weeks“, bei denen Teilnehmer geistlich begleitet ihren Alltag gestalten können, oder die Einrichtung eines „Trauerraums“, „Segensraums“ oder kürzlich erstmals auch eines „Schöpfungsraums“ in der gleich benachbarten romanischen Kapelle.
Lage als Vorteil
Die Nähe zur Kirche und die ruhige Lage inmitten des Schottenstifts sind für die Gesprächsinsel von Vorteil: „Die Innenstadtlage ermöglicht uns Anonymität, gute Erreichbarkeit und gleichzeitig eine gewisse Abgeschiedenheit. Die Menschen schätzen die Möglichkeit, unbemerkt einzutreten“, meint die Leiterin. Auch wenn das historische Gebäude aufgrund seiner Struktur leider nicht barrierefrei ist, bemühe man sich, die Zugänglichkeit bestmöglich zu gestalten.
Die Besucherzahlen sprechen für die Relevanz des Angebots: Etwa 900 Menschen haben die Gesprächsinsel im vergangenen Jahr aufgesucht. Osanna schildert die typischen Besucher als Menschen zwischen 30 und 60 Jahren, die sich in wichtigen Übergangsphasen befinden, wie etwa bei Familiengründung, Berufswahl, Trennung oder Trauerfällen, gut zwei Drittel sind Frauen. „In den letzten Jahren kommen zunehmend Menschen, die an Einsamkeit leiden oder niemanden zum Reden haben.“
Bedarf seit Pandemie gewachsen
Seit der Pandemie ist dieser Bedarf spürbar gewachsen, viele der Betroffenen bevorzugen nun jedoch ein Telefongespräch. „Wir haben das Gefühl, dass manche den Weg zu uns nicht mehr finden und lieber anrufen.“ Da die Gesprächsinsel ein telefonisches Angebot nicht aufrechterhalten kann, verweist sie in solchen Fällen auf die Telefonseelsorge und das „Plaudernetz“. An der Freyung steht trotz der veränderten Anforderungen der Austausch von Angesicht zu Angesicht im Vordergrund: „Uns ist sehr wichtig und wir ermutigen dazu, dass wir uns persönlich gegenübersehen, da so eine ganzheitliche Begegnung möglich ist“, betont Osanna.
Die wichtigste Stütze der Gesprächsinsel ist das hier tätige Team, das aus drei Hauptamtlichen und 40 Freiwilligen besteht. Die meisten sind in Gesprächsführung geschult und kommen aus Bereichen wie Lebens- und Sozialberatung oder Psychotherapie, andere möchten vorhandene Kompetenzen weiterentwickeln oder sich in der Pension engagieren. Auch vier Priester und neun Ordensleute – Osanna, selbst verheiratet und Mutter, schätzt sie besonders für ihre „Weltoffenheit“ – wirken mit. Die Gesprächsinsel bietet allen regelmäßig Supervisionen und Schulungen, welche eine hohe Beratungsqualität sicherstellen sollen, darunter zweimal jährlich Weiterbildung auch mit externen Referent:innen etwa zur Krisenintervention oder zu psychiatrischen Krankheitsbildern.
Raum für Zweifel und Dialog
Eine besondere Stärke der Gesprächsinsel ist die Offenheit gegenüber spirituellen Fragen, die sonst bei Beratungsstellen meist ausgeklammert bleiben. Viele Besucher suchen Rat zu Glaubensthemen oder haben Zweifel und Kritik an der Kirche. „Es kommen auch konkrete Fragen zur Bibel oder zum Glauben insgesamt. Oft äußern Menschen auch Schmerz, etwa wegen kirchlicher Konflikte und Missbrauchsfällen. Wir versuchen, mit den einzelnen Gläubigen in den Dialog zu gehen, greifen dabei jedoch eher Stichworte auf, als von uns aus aktiv das Gespräch darauf zu steuern.“ Einfühlsamkeit und Geduld spielten immer eine große Rolle, „denn eine allgemeingültige Lösung gibt es nie – deshalb hören wir zu, suchen gemeinsam nach Antworten und lernen voneinander.“
Geöffnet ist die Gesprächsinsel montags und mittwochs von 11 bis 19 Uhr, sowie dienstags, donnerstags und freitags von 11 bis 17 Uhr, was auch Berufstätigen ein Vorbeikommen ermöglichen soll. Erstmals gibt es das Angebot heuer auch am 24. Dezember von 11 bis 14 Uhr – „als Weihnachtsgeschenk für unsere Besucher“, wie Osanna bemerkt.
Quelle: kathpress