Missionstag: Nicht Probleme relativieren, sondern miteinander Lösungen suchen
Vedran Džihić sprach am Missionstag 2024 über das Ankommen. (c) ÖOK/emw
Etwa 50 Verantwortliche verschiedener missionierender Ordensgemeinschaften versammelten sich im Kardinal König Haus im 13. Wiener Gemeindebezirk von Wien, um zu ergründen, was es bedeutet, „Künstlerin und Künstler des Möglichen zu sein“. Der Missionstag begann mit herzlichen Begrüßungsworten von Sr. Anneliese Herzig, der Leiterin des Bereichs Mission und Soziales der Österreichischen Ordenskonferenz. „Bei der Kunst des Möglichen geht es, so hat es auch Papst Franziskus ausgedrückt, nicht darum, Probleme zu relativieren, oder ihnen auszuweichen oder so zu belassen, wie sie sind, sondern es geht darum, immer einen Schritt weiterzuschauen und die Lösung miteinander zu suchen“, brachte es die Missionsschwester vom Heiligsten Erlöser auf den Punkt.
Vedran Džihić: Wir brauchen ein solidarisches ‚Wir‘
Den Reigen der Vorträge eröffnete Vedran Džihić. Der renommierte Politikwissenschaftler, 1976 in Prijedor (Bosnien und Herzegowina) geboren, musste 1993 vor dem Bosnienkrieg mit seiner Familie nach Österreich flüchten. In seinem Buch „Ankommen“ aus dem Jahr 2024 erinnerte er sich an die Stationen seiner Flucht und schilderte, was es braucht, um einen Neubeginn zu schaffen und eben anzukommen.
Die unerfüllte Suche nach Sicherheit
Im Januar 1990 wurde das Schicksal von Vedran Džihić und seiner Familie durch eine Vorahnung des Krieges erschüttert: Der Bund der Kommunisten Jugoslawiens zerbrach – der Beginn des Zerfalls der sozialistischen Vielvölker-Republik. Drei Jahre später wurden sie aufgrund des muslimischen Namens von Džihićs Vater aus ihrer Heimat vertrieben. Ihre Flucht begann – Vater, Mutter, Bruder und Vedran. Diese Flucht machte sie zu „Anderen“ in einer Welt, die zunehmend von ethnischen Konflikten geprägt war.
Die erste Etappe ihrer Fluchtreise führte sie nach Kroatien, doch aus Angst vor der vorrückenden Front zogen sie weiter. Die Familie plante ursprünglich nach Schweden zu gelangen, doch ein kurzer Zwischenstopp in Ungarn endete, als die ungarische Polizei sie zurückschickte. Ihre verzweifelte Suche führte sie schließlich nach Österreich, ins Flüchtlingslager Traiskirchen.
Ankunft im Schnee
Die Ankunft im verschneiten Traiskirchen blieb Vedran Džihić als unauslöschliche Erinnerung. Bis zum Zeitpunkt der Flucht hatte der Jugendliche eine wohlbehütete, glückliche Kindheit. Doch der Glaube an die Menschheit wurde durch den Krieg erschüttert. Jetzt wurde die Welt des 16-jährigen Flüchtlings von Angst und Unsicherheit beherrscht. Der frischgefallene Schnee hatte die Fähigkeit, den Schmerz zu dämpfen und eine flüchtige Ruhe zu schenken. Das Leben im Flüchtlingslager in Traiskirchen begann mit langen bürokratischen Prozessen und vorläufigen Unterkünften.
Doch es gab auch Momente der Hoffnung: Ihr Zimmer teilte sich die Familie sie mit einer iranischen Familie. Die einfache Geste des iranischen Vaters – ihm ein kleines Kissen anzubieten – brachte Džihić unerwartet einen Moment menschlicher Wärme und stärkte seinen Glauben an das Gute im Menschen.
Die Herausforderung des Andersseins
In Traiskirchen begann Vedran Džihić zunehmend das Gewicht des Flüchtlingsdaseins zu spüren. Dieser Zustand brachte jedoch nicht nur neue Herausforderungen, sondern auch eine tiefere Auseinandersetzung mit der Identität des Flüchtlings als „verletzlichster Teile der Gesellschaft“. Sein Vater bestand darauf, dass seine beiden Söhne so schnell wie möglich die deutsche Sprache erlernten. Einen der ersten Sätze, den der junge Flüchtling aus dem Deutschen übersetzen konnte, war eine Schlagzeile einer Tageszeitung: Sie lautete „Ausländer raus“ – eine deprimierende Erfahrung für den 16-jährigen. Aber schon zwei Wochen später leuchtete das Lichtermeer der Solidarität als Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz auf dem Heldenplatz – und das gab Hoffnung.
Integration und Hoffnung
Doch in dem Verlust von Heimat und Identität lag auch das Potenzial für einen Neuanfang. Die Familie blieb sie in Österreich und begann, zaghaft Pläne für die Zukunft zu schmieden. Besonderen Wert legten die Eltern auf die Schulbildung ihrer Söhne. „Ich hatte Glück“, erinnerte sich Džihić. „Ich kam in eine Klasse, die mich sofort aufnahm und mich in jeder Hinsicht unterstützte. Ich wurde von meinen Mitschülern gesehen ... und akzeptiert.“ Denn Ankommen ist für Flüchtlinge mehr als nur eine physische Umsiedlung; es ist die Suche nach einem Platz in der Welt, in dem sie als Mitmenschen akzeptiert und geschätzt werden und in der die Gesellschaft bereit ist, den Geflüchteten zu helfen.
Heute arbeitet Vedran Džihić als Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) und unterrichtet an der Universität Wien.
Buch gegen den toxischen Diskurs
„Ich schrieb das Buch ‚Ankommen‘, weil ich bemerkte, dass sich der Diskurs über die ‚Anderen‘ verändert hatte“, berichtete Vedran Džihić in seinem eindringlichen Vortrag. Es fand eine radikale Verschiebung von Menschlichkeit hin zu einer Ablehnungshaltung und einer Politik der Angst statt. Dieser toxischen Politik muss ein neues, solidarisches ‚Wir‘ gegenüberstehen, das „mutig, konstruktiv und zugleich zart“ ist, betonte Džihić. Demokratie und Menschenrechte sind keinesfalls garantiert; es erfordert Anstrengung, dafür zu kämpfen. „Es geht um eine alternative Vision des Gemeinsinns. Jeder Einzelne muss versuchen, aktiv und konstruktiv beizutragen, um seinen bedeutsamen Beitrag zum Ganzen zu leisten.“
P. Peter Claver Narh: Wie interkulturelles Zusammenleben funktioniert
P. Peter Claver Narh, Provinzial der Steyler Missionare in Deutschland, sprach in seinem Vortrag über interkulturelles Zusammenleben. Begegnung mit fremden Menschen sei zugleich auch immer Begegnung mit fremden Kulturen, unser ganzes Verhalten sei schließlich von Kultur geprägt.
P. Peter Claver Narh sprach am Missionstag 2024 über interkulturelles Zusammenleben. (c) ÖOK/emw
Damit interkulturelles Zusammenleben funktioniert sei es daher wichtig, die beiden Formen von Kultur zu verstehen. So bestehen einerseits individualistische Gesellschaften, wie sie beispielsweise in Skandinavien zu finden sind, andererseits aber auch kollektivistische, die Gruppenziele über individuelle Ziele stellen und vor allem in Asien, Südamerika und Afrika vorkommen.
Deutsche Kulturstandards nicht allgemeingültig
Essenziell sei auch, beim Kennenlernen fremder Menschen nicht nur an der Oberfläche zu kratzen. „Wenn wir mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenleben, müssen wir versuchen, tiefer zu gehen und zu begreifen“, sagte P. Peter Claver Narh. Kulturstandards des deutschsprachigen Raumes seien in anderen Ländern in dieser Form nicht gültig. Als Beispiele nannte er hier unter anderem die Sachorientierung in deutschsprachigen Ländern sowie die verbindliche Zeitplanung.
Interkulturelle Konflikte entstehen laut P. Peter Claver Narh oft in der Kommunikation, Faktoren wie Redefluss und Pausen, Augenkontakt oder auch klare Verneinungen unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Ländern häufig. Außerdem sei es wichtig, Personen, die in ein fremdes Land kommen, Zeit zum Ankommen zu geben – idealerweise rund ein halbes Jahr. „Das ist gut zu wissen, damit wir die Leute begleiten können, die neu in Gemeinschaften sind“, erklärte der Provinzial der Steyler Missionare in Deutschland.
Auch Unterschiede zwischen Generationen bedenken
Er betonte außerdem, dass kulturelle Unterschiede nicht nur aus verschiedenen Herkunftsländern resultieren, sondern auch Generationenkonflikte entstehen können. In beiden Fällen sei es wichtig, sich mit den Differenzen zu beschäftigen, sie nicht zu verleugnen, umzudenken, einen Blick von außen zuzulassen und die Perspektive zu wechseln. „Wie oft haben wir behauptet, Recht zu haben, haben aber dem Gegenüber nicht zugehört?“, fragte er.
Funktionierendes interkulturelles Zusammenleben beruhe also darauf, dass die verschiedenen Kulturen miteinander in Austausch kommen und voneinander lernen, gleichzeitig aber auch die Kultur vor Ort nicht vernachlässigt wird. Die Anstrengungen dahingehend dürfen allerdings nicht einseitig sein, sondern müssen von allen Beteiligten ausgehen.
Ordensleute berichteten von ihren Erfahrungen
Ergänzt wurden die Ausführungen durch die Erfahrungsberichte von den Steyler Missionaren P. Inosens Reldi aus Indonesien und P. Delfor Nerenberg aus Argentinien, die in Dornbirn wirken, Sr. Silvia Bereczki, Provinzoberin der Kongregation der Helferinnen und ursprünglich aus Siebenbürgen sowie Sr. Colette Onyeocha und Sr. Caroline Ibeh von der Kongregation der Töchter Mariens, Mutter der Barmherzigkeit, die von Ost-Nigeria nach Österreich gekommen waren.
Verena Osanna: Begleiter:innen müssen dumm, langsam und faul sein
Den Nachmittag eröffnete der Vortrag von Verena Osanna, Leiterin der Gesprächsinsel, die seit 1. Jänner 2024 von der Österreichischen Ordenskonferenz als alleiniger Träger übernommen wurde. Die „Gesprächsinsel“ ist seit beinahe 15 Jahren eine kirchliche Gesprächs- und Seelsorgeeinrichtung auf der Freyung im 1. Bezirk – ohne Anmeldung, kostenlos, vertraulich und anonym.
Die Kunst des Zuhörens
„In der modernen Welt, in der alles schnelllebig und oft hektisch erscheint, ist die Kunst des Zuhörens zu einem seltenen Gut geworden“, begann Verena Osanna. Doch gerade in der Beratung und Begleitung ist das achtsame Zuhören von unschätzbarem Wert. Inspiriert wurde ihr Vortrag von einem Zitat von Franz von Assisi: Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche. Verena Osanna beleuchtete in ihrem Beitrag die essenziellen Aspekte der menschlichen Begegnung, die das Unmögliche möglich machen können.
Gesprächsinsel-Leiterin Verena Osanna machte den Auftakt in den Nachmittag des Missionstages. (c) ÖOK/emw
Das Notwendige schaffen
In der Gesprächsinsel, einem Ort der Begegnung und des Austauschs, bilden gewisse Rahmenbedingungen die Basis für alles Weitere: ein vertrauliches, kostenloses Gespräch ohne vorherige Anmeldung steht im Zentrum. Ehrenamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie die Verwaltung sorgen für einen reibungslosen Ablauf und schaffen den notwendigen Raum, in dem Veränderung geschehen kann. „Doch der Kern dieser Veränderung ist das echte, aufmerksame Zuhören mit allen Sinnen – das Hören, das weit über das hinausgeht, was nur mit den Ohren wahrgenommen wird“, bringt es Verena Osanna auf den Punkt.
Entschleunigung als Schlüssel
Einen wichtigen Aspekt stellt die Entschleunigung dar. In der Begleitung sollte man niemals schneller sein als die betroffene Person. Nur so kann man sicherstellen, dass man den Begleitenden stets im Blick behält und nicht Gefahr läuft, die Führung zu übernehmen. Das Ziel ist es, den Menschen Raum zu geben, um ihre eigenen Lösungen zu finden und ihren Weg auszusprechen.
Unvoreingenommen und absichtslos
Die Leiterin der Gesprächsinsel definierte die Haltung, die Beraterinnen und Berater einnehmen sollten, sehr plakativ mit den Worten: dumm, langsam und faul. „Dumm, um Fragen zu stellen und den Raum für die Antworten anderer offenzuhalten; langsam, um sich dem Tempo des Gegenübers anzupassen; und faul, weil nicht der Berater, sondern der Betroffene selbst die Lösung und Richtung finden sollte“, erklärte Verena Osanna die Idee dahinter. Dieses Konzept fordert auf, das Drängen nach schnellen Antworten und Lösungen zu überdenken und stattdessen geduldig zu begleiten.
Beratung versus Begleitung
Beratung ist oft konkret und zielorientiert, während Begleitung mehr einen langfristigen, weniger zielgerichteten Prozess beschreibt. In der Beratung geht es um Lösungsansätze für spezifische Probleme, wie die Wohnsituation oder rechtliche Angelegenheiten. Begleitung hingegen zielt darauf ab, ungestillte Bedürfnisse oder Störungen wahrzunehmen und zu adressieren, ohne einen spezifischen Ratschlag zu geben.
Das Unmögliche geschehen lassen
In einer spirituellen Dimension wird in der Gesprächsbegleitung oft Raum für göttliche Präsenz gelassen, ohne zu missionieren. Diese Haltung ermöglicht es, offen für das Wirken von Kräften zu sein, die über das eigene Verstehen hinausgehen. Indem Beraterinnen und Berater den göttlichen Raum eröffnen, kann eine tiefere Dimension des Zuhörens und der Feinfühligkeit kultiviert werden. „Wer sich die Kunst des lauten Zuhörens und der stillen Wahrnehmung bewahrt, kann nicht nur hilfreiche Begleitung bieten, sondern auch dazu beitragen, das Unmögliche möglich zu machen“, so das Fazit von Verena Osanna.
Den Abschluss bildeten Berichte von Anja Appel von der KOO (Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission) und von Sr. Anneliese Herzig aus dem Bereich Mission und Soziales der Österreichischen Ordenskonferenz.