Orden sind Commoners
Was sind Commons? Als „Commons“ bezeichnen wir Anordnungen zur Herstellung und Erhaltung von gemeinsam genutzten Ressourcen. Es handelt sich also um eine spezielle Art der Beziehung zwischen Menschen in Bezug auf die Dinge, die für ihre Existenz notwendig sind. Commons brauchen die „Community“, die sie durch gemeinsames Handeln pflegt und erhält. Ob etwas ein Commons ist, hängt also von der Art der Nutzung ab. Grund und Boden, Saatgut, Rohstoffe oder Wasser, auch Wissen, Kunst und Kultur, Sprache oder Gene, ein Gesundheits- oder Bildungssystem und freie Software können Commons sein. Brigitte Kratzwald ist Commons-Expertin in Österreich. In Melk war sie im Vorjahr bei den Brückengesprächen anlässlich des Symposiums „Klöster der Zukunft“ zwischen Ordensleuten und VertreterInnen neuer Gemeinschaftsformen als Impulsgeberin dabei. „Abgesehen von den religiösen Aspekten finden sich bei Klöstern verschiedene Muster, die offenbar sehr überlebensfähig sind und auch für unsere aktuellen Visionen für eine andere Gesellschaft relevant sind. Davon könnte mensch lernen.“ Das ist das Resümee von Kratzwald.
Kollektivität, Leben und Arbeiten
Einige Stichworte nennt Brigitte Kratzwald, die in einem gemeinsamen Wohnprojekt in der Nähe von Graz lebt, für die Gemeinsamkeiten: „Da ist die Kollektivität. Sich mit anderen zusammen zu tun, ermöglicht jedem und jeder Einzelnen ein besseres Leben. Vor allem aber können wir gesellschaftliche Veränderungsprozesse besser gemeinsam auf den Weg bringen. Dann: Leben und Arbeiten verbinden. Heute sind die Bereiche Arbeit und Leben streng getrennt. Die Arbeit ‚müssen’ wir tun, sie macht oft keinen Spaß, sie ist anstrengend und erst wenn wir die Arbeit erledigt haben, können wir zu leben beginnen. Dabei ist es eigentlich umgekehrt. Das, was wir tun, sollte dazu dienen, gut leben zu können. Diese Tätigkeiten sind das Leben. Sie sind es normalerweise, die wir als befriedigend empfinden, wo wir das Gefühl haben, etwas Sinnvolles leisten und unsere Fähigkeiten einbringen zu können. Die Idee alter und neuer Gemeinschaften ist, sich selbst Arbeitsbedingungen zu schaffen, unter denen man die Dinge, die man für wichtig und richtig hält, gut machen kann.“
Muße, Subsistenz und Autonomie
Mit Blick auf die konkrete Lebensform sieht die Commons-Expertin weitere Brücken zueinander: „Stille, Muße, Kommunikation und Reflexion sind für den Alltag konstitutiv. Je nach Weltanschauung wird eine Gemeinschaft dafür unterschiedliche Begriffe finden. Ohne Zeit und Raum, um sich mit sich selbst und mit den anderen zu beschäftigen, wird jedoch auch keine nicht-spirituelle Gemeinschaft auskommen.“ Autonomie und Subsistenz sind weitere Zustände, die sowohl Ordensgemeinschaften als auch die neu aufkeimenden Wohn- und Arbeitsformen verbindet. „Auch wenn das kaum jemals vollkommen erfüllt wurde und wird, so gehen die Bestrebungen doch in die Richtung, möglichst alles, was für die eigene Reproduktion notwendig ist, selbst herstellen zu können. Ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von Autoritäten außerhalb der Gemeinschaft und von bestehenden Herrschaftssystemen, seien es König, Kirche, Staat oder Markt wird angestrebt. Damit wird ein geschützter Raum geschaffen. Solche Gemeinschaften bieten eine Sicherheit, die es Menschen ermöglicht, sich Zumutungen zu widersetzen, sich nicht allen Anforderungen unterwerfen zu müssen. Unter den Dächern der Ordensgemeinschaften könnte genau dieser Freiraum geschaffen und gehalten werden für ein Leben in Alternative zum heute gängigen Lebensvollzug.“
Wirken nach außen und Wissen teilen
„Kaum eine Gemeinschaft will nur ihre eigene kleine Oase schaffen, sondern fast immer geht es darum, neue Produktionsweisen oder Sozialformen zu entwickeln. Sie wollen Orte des Experimentierens und der Innovation sein, eine Pionierrolle übernehmen und nach außen wirken.“ Zugrunde liegt ein tiefes Vertrauen in die „stille Wirkung“ neuen und aus Sicht der Gesellschaft avantgardistischen Lebens. Mit Blick auf die oft lange Geschichte der Orden sieht Kratzwald sie auch als Orte des Wissens: „Ein Ort, wo Wissen gesammelt, bewahrt, verarbeitet, neu generiert und weitergegeben werden kann. In allen Ordensregeln geht es darum, aus den Menschen das herauszulesen, was in sie hineingelegt ist, und die Bedürfnisse aller zu achten und die Fähigkeiten wert zu schätzen.“
Wo spießt es?
In der „Fremdbestimmung und Enge“ sieht Kratzwald die Hindernisse für eine breitere Annäherung: „Die Menschen haben den Eindruck, dass alles dem Katholischen untergeordnet ist. Die ehelose Lebensform können sich viele praktisch nicht vorstellen, und die Geschlechtertrennung verstehen viele nicht. Auch der strenge Tagesablauf ist in der heutigen Zeit der Individualität nicht annehmbar. Kurz: Zu viel Fremdbestimmung im Zeitalter der Selbstbestimmung.“ Die Rituale und die Beziehungen untereinander klaffen oft weit auseinander. „Es wird zu viel Unstimmigkeit nicht angesprochen oder ausgesprochen. Zu viel ritualisierte Beziehungen. Natürlich wirken Vergangenheit und mediale Klischees stark.“ Die Sehnsucht nach neuen Gemeinschaftsformen ist da. Kratzwald erzählt von Graz. Dort haben ein paar Leute einen Abend ausgeschrieben mit „gemeinsam arbeiten und wohnen“. Erwartet haben sie 10 bis 12 Leute. Gekommen sind über 50.
Können Orden Partner sein?
Orden haben verschiedenste Ressourcen, die sie bewusst als „Commoner“ sehen und entwickeln können. Mit Eigentum kann ich bedingungslos tun, was ich will. Ich kann es horten, anhäufen, verkommen lassen oder zur Verfügung stellen. Besitz ist das, was ich gerade habe, um meine Bedürfnisse zu stillen. Wohnung, Haus, Land besitzen in den Commons nicht Einzelne, sondern Vereine, strukturell ähnlich den Ordensgemeinschaften. Kratzwald: „Darum ist die Kernfrage: Was mache ich mit meinem Eigentum und wenn etwas übrig bleibt: Wem kann ich nützen?“ Sie erzählt ein Beispiel: „Ein Kloster, ein Stift, eine Gemeinschaft hat einen Maierhof, einen Trakt, einen Garten ... als Eigentum und braucht ihn selber nicht oder kann ihn nicht bewirtschaften. Denken sie an Investoren oder Käufer oder lassen sie die Frage zu: Gibt es eine Gruppe von Menschen, die das bewirtschaftet und nutzt? Damit würden sich neue Formen der Kooperation ergeben.“ Die Folge wäre ein neues befruchtendes Zusammenwirken. Das könnte auch die Ordensgemeinschaft selber beleben. Die bedingungslose Involvierung (das Hereinziehen) und Beteiligung der Menschen rundherum wäre der Schlüssel.
Text und Foto: [fk]