Hingehen, ansehen und sich damit auseinandersetzen
Im Frankreich des 19. Jahrhunderts kommt das Mädchen Marie Heurtin blind und taub zur Welt. Ihre Eltern stammen aus armen Verhältnissen und sind mit der schweren Behinderung ihres Kindes überfordert. Der Vater bittet um die Aufnahme seiner Tochter in ein naheliegendes Kloster; vielleicht kommen die dort lebenden Schwestern mit ihr zurecht. Doch auch die wissen nicht, wie sie dem Kinde helfen sollen - bis eine sture Ordensfrau namens Sr. Marguerite sich in den Kopf setzte, Marie die Gebärdensprache beizubringen. Doch es dauerte Monate, bis Marie Zutrauen zu ihrer Lehrerin fasst. Über Berührungen lernt sie letztendlich die Gebärdensprache und kann sich so aus ihrem inneren Gefängnis von Einsamkeit und Verzweiflung befreien.
Für Regisseur Jean-Pierre Améris war dies insgesamt sein neunter Kinofilm, doch der erste, in dem er seinen Glauben ausdrücken konnte. Im Ö1-Interview mit Brigitte Krautgartner sagte er: "In dieser Geschichte kommt ein Glaube zum Ausdruck, der sehr konkret ist, der engagiert ist, der tätig wird. Für mich ist das die Botschaft Jesu: Dort hinzugehen, wo es nicht bequem ist, dorthin, wo es schwierig ist."
Sr. Beatrix: Klosterleben wird stereotyp dargestellt
Unter den Gästen der Wien-Premiere war auch Sr. Beatrix Mayhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs. Im Ö1-Interview mit Brigitte Krautgartner sagte die ehemalige Schuldirektorin, sie sehe in Sr. Marguerite eine Symbolfigur für die große Mehrheit der Ordensfrauen. "Ich denke, das war die Rolle von Ordensgemeinschaften durch die Jahrhunderte hindurch, dass sie die Not gesehen und ihr entgegengewirkt haben. Und viele unserer sozialen Einrichtungen und Errungenschaften, auf die wir in unserer westlichen Welt stolz sind, wurden ursprünglich von katholischen Frauengemeinschaften geschaffen." Und weiter: "Ordensfrauen waren weltweit hauptverantwortlich für den Aufbau von Sozialarbeit."
Berührend fand Sr. Beatrix die Szenen zwischen Marie und Sr. Marguerite; die Darstellung des Klosterlebens hingegen empfand sie als Stereotype: "Ich habe wieder einige Klischees gefunden, gegen die ich mich immer zu wehren versuche. Die Oberin ist ernst, böse und streng. Und die Sensible schafft den Durchbruch. Das ist denn doch ein sehr starkes Klosterklischee, das so in der Realität nicht vorkommt."
Ihre Empfehlung: "Hingehen, ansehen und sich damit auseinandersetzen. Und alle, die mehr über das Klosterleben wissen wollen, sind jederzeit herzlich eingeladen."
Die vollständige Sendung "Erfülltes Leben" vom 1.1. 2015, 7.05 Uhr finden Sie im Archiv von Ö1.
[rs]