HLUW Yspertal veranstaltet Zeitzeugengespräch mit Marko Feingold
Nein, man sieht Marko Feingold seine 102 Jahre nicht an. Langsam, aber mit sicheren Schritten betritt er gemeinsam mit seiner Frau Hanna die Bühne des Festsaales der HLUW Yspertal, um vor rund 450 Schülerinnen und Schülern aus seinem Leben zu erzählen. Er spricht mit klarer, fester Stimme über eine schreckliche Zeit, die sich die Jugendlichen kaum vorstellen können; die man am liebsten vergessen möchte und die doch nicht in Vergessenheit geraten darf. Einzig sein Gehör macht ihm ein wenig Kummer; es lässt langsam nach, und der Hörapparat hat seine Mucken. Was allerdings präzise wie ein Uhrwerk funktioniert, ist Feingolds Gedächtnis. Seine Erinnerungen haben jedes Detail archiviert, und das bringt er ans Tageslicht. Er ist wortwörtlich ein Zeitzeuge, der die Gräueltaten der Nationalsozialisten erlebt und überlebt hat.
Marko und Hanna Feingold zu Gast in der HLUW Yspertal (c) Ordensgemeinschaften Österreich
1913 geboren
Es ist kaum zu glauben, aber Feingold wurde 1913 in Besztercebánya/Neusohl, Österreich-Ungarn (heute Banská Bystrica, in der Slowakei) geboren. Als die K.u.K. Monarchie unterging, war er bereits fünf Jahre alt. Als Adolf Hitler in Österreich einmarschierte, war Feingold, der damals in der Leopoldstadt lebte, ein junger Mann von 25 Jahren. Und er spürte am eigenen Leib, was es heißt, in einem Land zu leben, das den Antisemitismus zum Staatscredo erhoben hatte. Die rassistische NS-Staatsdoktrin war für Österreicherinnen und Österreichern jüdischen Glaubens lebensbedrohlich. Feingold und sein Bruder Ernst versuchten, unterzutauchen; sie wurden denunziert und flüchteten nach Prag, wo sie schließlich verhaftet, gefoltert und 1940 ins Vernichtungslager Auschwitz eingeliefert wurden. Bei der Registrierung mussten die Brüder auch ihr ganzes Geld abliefern; die KZ-Aufseher machten Feingold klar: „Du wirst es nicht mehr brauchen, deine Lebenserwartung beträgt drei Monate, dann gehst du durch den Kamin.“
„Aber ich hätte keine drei Monate durchgehalten“, erzählt Feingold. „Hunger, Schläge, Krankheiten gehörten zur Tagesordnung. Nach zwei Monaten war ich fertig. Ich erinnere mich noch ganz genau: Ich lehnte mich an eine Schaufel und stützte mich auf den Griff, damit ich nicht umfalle. In diesem Moment bin ich eigentlich gestorben.“
Rund 450 Schülerinnen und Schüler waren zum Vortrag von Marko Feingold gekommen. (c) Ordensgemeinschaften Österreich
Überleben aus Zufall
Dann hörte er, dass sein Bruder Ernst in ein anderes Lager verlegt wird. „Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm. Ich lief zur Kommandantur und flehte und bettelte, dass ich mitfahren durfte.“ Tatsächlich schaffte er es, mit dem Transport mitgenommen zu werden. Über die Konzentrationslager Neuengamme und Dachau kamen die beiden schließlich 1941 ins KZ Buchenwald, wo Feingold bis zur Befreiung interniert war. Ernst verlor er irgendwann aus den Augen; erst Jahre später erfuhr er, dass sein Bruder vermutlich im Jänner 1945 vergast worden war.
Als das Vernichtungslager im April 1945 von der amerikanischen Armee befreit wurde, wog Marko Feingold nur noch 30 Kilogramm. Bis zum Ende hatte er körperliche Schwerstarbeit leisten müssen. Die Zahl der Menschen, die in Buchenwald den Tod fanden, wird heute auf etwa 56.000 geschätzt, darunter waren auch rund 12.000 jüdische Opfer. Nach der Befreiung fuhr Feingold mit einem Bus Richtung Wien, doch ein Zufall ließ ihn in Salzburg aussteigen. Er blieb in der Mozartstadt und organisierte die Umsiedelung Zehntausender osteuropäischer Juden über Österreich nach Palästina. 1948 heiratete er und eröffnete mit einem Teilhaber ein Modegeschäft. Zu dieser Zeit begann er auch, seine Geschichte vor Schülern, Studenten, Journalisten und in Bildungsheimen zu erzählen. „Die ersten, die sie hören wollten, waren übrigens Salzburger Nonnen!“
Bald nach seiner Pensionierung wurde er (wieder) zum Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde gewählt. Seine Lebensgeschichte hielt er auch schriftlich fest. 2004 erschien sein Buch 'Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh'".
V.l.n.r.: P. Tobias Lichtenschopf vom Zisterzienserstift Zwettl, Mag. Gerhard Hackl, Schulleiter HLUW Yspertal, Marko und Hanna Feingold sowie Schülervertreterinnen und Schülervertreter der HLUW Yspertal. (c) Ordensgemeinschaften Österreich
Keine Rachegefühle
Mit seinem Engagement verbinde er keine Rachegefühle, betont Feingold überzeugend; eher möchte er für viele das „personifizierte schlechte Gewissen“ sein. Seine Erzählung ist keine Anklage, sondern tatsächlich eine Zeitreise in die Vergangenheit, frei von Bitternis oder Sentimentalitäten. Er sucht den Dialog, und die Schülerinnen und Schüler der HLUW Yspertal dürfen ihn fragen, was sie wollen. Trotz des ernsten Themas blitzt ab und zu sein feiner Humor auf … Er will, dass die Jugendlichen mit ihm lachen - aber gerade deswegen bleibt er ein authentischer und überzeugender Mahner. Und mit jedem Vortrag und jedem Auftritt zeigt Feingold, dass Hitlers unmenschliches Regime doch nicht triumphiert hat.
[rs]