Abbe Philippe Gebralet: Wir müssen den Mut aufbringen und sagen, ich vergebe dir
Die Geschichte der Republik Zentralafrika besteht aus einer abwechselnden Reihe von Rebellionen und Gegenrebellionen. Im Jahr 2003 kam der mittlerweile vertriebene Präsident Bozizé als Rebellenführer mit Unterstützung des Tschad an die Macht. Er förderte den (christlichen) Südwesten des Landes und vernachlässigte den Nordosten, der von einer muslimischen Bevölkerung dominiert ist. Diese begann eine neue Rebellion mit Hilfe aus Darfur. Die Séléka genannte Allianz begann gegen die Truppen Bozizé vorzugehen, dabei wurden viele christlichen Soldaten getötet. Im Gegenzug bekämpften die Anti-Balaka-Rebellen, angebliche christliche Milizen, wiederum die Séléka. Tausende Menschen sind diesem wechselseitigen Massaker schon zum Opfer gefallen.
Religiöse Motive werden nur vorgeschoben
Doch „der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik ist kein religiöser Konflikt, wie es von den Medien fortlaufend dramatisiert wurde und wird“, bringt es Abbe Gebralet auf den Punkt. Keine Religionsgemeinschaft hätte Rache gepredigt oder seine Anhänger aufgefordert, zu den Waffen zu greifen, um zu plündern, zu vergewaltigen oder zu töten. „Die Akteure dieser militärpolitischen Krise wollten sich hinter dem religiösen Banner verstecken, um ihren kriminellen Durst zu befriedigen.“
Abbe Philippe Gebralet: „Der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik ist kein religiöser Konflikt." (c) Ordensgemeinschaften Österreich
Keine der beiden Gruppierungen hat ein religiös motiviertes Programm. Im Gegenteil, von Anfang an verbündeten sich christliche und muslimische Geistliche und sagten laut und deutlich, dass es sich um einen militärisch-politischen Konflikt handle. Es geht darum, sich Bodenschätze anzueignen, es geht darum, den politischen Raum für sich zu beanspruchen. Aber es geht definitiv nicht um religiöse Inhalte; diese werden nur vorgeschoben.
Die internationale Reaktion
Angesichts des Ausmaßes der Krise und der Verbrechen, die in der Zentralafrikanischen Republik begangen wurden, reagierte die Internationale Gemeinschaft zu spät. Die Sendung der afrikanischen Truppen im Jahr 2013 reichte nicht aus, um das Blutvergießen und die Spirale von Hass und Verbrechen zu beenden.
Die Idee der Teilung des Landes
Mit Willkür und Radikalisierung konfrontiert, hat sich eine Bruchlinie von mehreren Dimensionen – ethnisch, sozial, ökonomisch, politisch und religiös – im Innersten der Bevölkerung, die weitgehend in friedlicher Koexistenz gelebt hatte, manifestiert. Das Land sei nun im Wesentlichen gespalten in einen von der Séléka kontrollierten Norden und Osten und einen von den Anti-Balaka kontrollierten Westen und Süden. Dennoch, noch ist nicht alle Hoffnung verloren; es gibt noch Zeichen der Solidarität zwischen Muslime als auch Christen. Abbe Gebralet: „So wurde ein junger Christ von seiner muslimischen Wirtin gerettet. Und Tausende von Muslime sind als Flüchtlinge in Kirchen und Pfarren untergekommen, zum Beispiel in Boali, Bossemptélé, Berbérati oder Bossangoa.“
Bevölkerung leidet am meisten
Es ist wie immer die Bevölkerung, die am meisten leidet. Der innergemeinschaftliche Hass hat sich ausgebreitet, Rache, Abrechnungen, Raubüberfälle, Unsicherheit, Vergewaltigungen – in einem Wort Barbarei, die man in dem Land noch nie gesehen hat. Man spricht von einem Massaker, das nah am Völkermord ist. Nach ersten Berichten seien über 10.000 Menschen getötet worden. Dazu gibt es in Zentralafrika allein 10.000 Kindersoldaten, die für den Rest ihres Lebens traumatisiert sind.
Menschen müssen sich vergeben
Welchen Ausweg gibt es aus diesem Dilemma? Der Versöhnungsprozess wird in zwei Geschwindigkeiten erfolgen: Als ersten Schritt braucht das Land die Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft, um den militärischen Konflikt zu lösen und einen nationaler Dialog in Gang zu setzen. Doch den zweiten Schritt muss die Bevölkerung Zentralafrikas selbst tun. Abbe Gebralet stellte dazu einige betroffen machende Fragen: „Wie sollen wir reagieren, wenn wir eine Frau sehen, deren Mann in ihrer Gegenwart umgebracht wird und sie plötzlich eine Witwe ist? Wenn wir diese vergewaltigten und verstoßenen Frauen sehen? Wenn wir die Kinder mit amputierten Armen oder Narben von Macheten auf ihrem Kopf sehen? Wenn wir die Menschen sehen, die ihr Eigentum verloren haben, wenn ihre Häuser geplündert und verwüstet wurden?“ Seine Lösung ist radikal und führt zur einzig möglichen Antwort: „Letztendlich müssen wir den Mut aufbringen und sagen, ich vergebe dir.“
Abbe Philippe Gebralet: „Letztendlich müssen wir den Mut aufbringen und sagen, ich vergebe dir." (c) Ordensgemeinschaften Österreich
Hoffnung auf Impuls durch Papstbesuch
Papst Franziskus wird dem geschundenen Land Ende November 2015 einen kurzen Besuch abstatten. Vom Besuch des Papstes Ende November in Bangui erhofft sich der Priester eine "deutliche Botschaft des Friedens", die dann freilich auch von den verantwortlichen Politikern nicht nur freundlich angehört sondern umgesetzt warden müsse.
Der Ordensmann hofft jedenfalls, dass „eines Tages“ ein friedliches Zusammenleben wieder möglich sein werde. Erste Anzeichen gäbe es dafür bereits: So mobilisierten sich zum Beispiel Christen, um die Moscheen der Moslems in Bangui wiederaufzubauen. Ein anderes Beispiel: Während des Ramadans rief der Imam alle seine muslimischen Brüder zur Umkehr auf und dazu, ihren Glauben in Allah ernst zu nehmen. Und im Juni schlossen sich mindestens 200 Anti-Balaka in einem Verband für KleinunternehmerInnen zusammen und beendeten ihr Engagement in der Rebellengruppe. Abbe Gebralet: „Viele sichtbare Zeichen sind ermutigend und lassen uns an eine friedliche und bessere Zukunft unseres Landes glauben.“
[rs]