Medizin ist keine industrielle Produktion
Giovanni Maio sieht durch die Ökonomisierung der Medizin eine große Beschränkung der medizinischen Heilkunst, "die auf Beziehungs- und Erfahrungswissen der ärztlichen und pflegenden Menschen angewiesen ist". Im Paradigma der "industriellen Produktion, das sich derzeit über alle Lebensbereich stülpt", sieht er den falschen Weg und die falsche Betrachtungsweise. Mit dieser ökonomisierten Zugehensweise ist heute die "Negativierung der Zeit" verbunden. "Hören Sie schneller zu" wird nicht gehen. Mit jedem Ruf nach Effizienz ist eigentlich die Verknappung der Zeit gemeint. "Wer sich heute in der Medizin Zeit nimmt, gerät in der Verdacht. Wer kann die industrielle Brille für den sozialen Bereich abnehmen? Man spart an Zeit und damit am Kern der Medizin, an der Beziehung, die heilt." Der Mediziner und Philosoph Maio sieht auch eine "Delegitimierung der Geduld und des langen Atems." Mediziner und Pflegende brauchen mehr Zeitautonomie und "Zeit-Selbstverantwortung". "Heute muss man ein Held sein, um das zu tun, wofür man angetreten ist: für den Patienten, die Patientin da sein."
Alles messen wollen ist ein kompleter Denkfehler
"Das Messen und Zählen im sozialen Bereich ist ein kompletter Denkfehler", gibt Maio den fast 400 Medizinern, Pflegeverantwortlichen und Managern der Wiener Spitäler mit auf den Weg. "Heilberufe sind intrinsisch motiviert, und durch jedes Zählen schwindet diese Motivation. Deshalb: Stärken Sie die intrinsische Motivation, die persönliche Verantwortung und geben Sie den Freiraum dafür." Maio sieht auch, dass am falschen Ende gespart wird, wenn es nur mehr um das Notwendigste geht und nicht mehr um Atmosphäre und das "Wie wir dem Patienten begegnen." Es geht um die Qualität des Zuhörens, des Einlassens, die Empathie. "Genau das wird derzeit durch das Zählen und Wägen vernichtet. Ohne persönliche Verantwortungsübernahme keine Heilung. Und: Krankenhäuser sind keine Produktionsstätten." Maio sieht zu viel Kontrolle, überbordende Bürokratie und Gängelung der Heilberufe. Daher fordert er eine Reduzierung der Bürokraktie. Außerdem sieht Maio in der "Algorithmus-Welt" eine große Gefahr: "So kommt es zu einer Linearisierung, und die Heilberufe werden entlang der Algorithmen gerade deformiert, weil als letztes Ziel ein reibungsloser Ablauf in den Mittelpunkt rückt." Normierungen und Standardisierungen sind hilfreich, "aber nicht das Ziel". Routine ist die Basis, aber nicht das Ziel. "Heute wurde aber die Nivellierung zum Ideal erhoben, und das führt zur Demotivierung. Aber: In der Interaktion liegt die Qualität und nicht im Abspulen einer Routine mit dem Ziel der Nivellierung."
Weitere ReferentInnen beim 13. Forum Hospital Mansagement sind u.a. Fred Luks, Gabriela-Verena Kornek, Stephan Schulmeister und Christian Felber.
[fk]