Solidarität organisieren
„Als Feinde der Solidarität stellen sich die derzeit überall voranschreitende, entgrenzende Liberalisierung, der Wettbewerb durch alle Lebensbereiche und die Konkurrenz unter dem Immer-noch billiger heraus. Genau das ist zu einer Art Ersatzreligion geworden. Besser, schneller, härter. Das unterspült täglich den Kernwert gewerkschaftlicher Arbeit: Solidarität. Dieses Gegeneinander und das dauernde Vergleichen ermöglichen das Teile-und-herrsche.“ Hebenstreits Gesichtszüge werden dabei ernster, nachdrücklicher: „Auch wenn wir als Gewerkschaft nur einen Teil der Gesellschaft organisieren, so treffen diese Faktoren genauso die Kirchen oder Solidarverbände.“ Dem Gewerkschafter ist ganz klar, dass gerade die Bildung von Gemeinschaften einem dauernden Wandel unterliegt. Er benennt die gesellschaftlichen Veränderungen durch Digitalisierung. Dabei geht es immer um Identitätsbildung: Wer sind wir? Und: Da gehöre ich dazu, möchte ich dazu gehören. Das erfordert neue Zugänge, neue Methoden.
Arbeit neu organisieren
„Wir haben bisher die Solidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter als unsere Aufgabe gesehen. Ein neues Prekariat, neue Formen in der Arbeitswelt oder Entgrenzungen aller Art bringen uns dazu, nicht mehr nur den ‚klassischen Arbeiter‘ zu sehen, sondern die Arbeit neu zu organisieren. Wir wandeln uns gerade als vida zum Interessensverband der Arbeit. Wir verstehen uns heute mehr als Bewegung der Arbeit. Das kann auch die Solidarität mit den Milchbauern sein. Auch dort spüren wir Entgrenzung und ausgefranste Wirklichkeiten.“ Hebenstreit benennt als besonderes Zukunftsthema die Pflege, von der auch die Orden betroffen sind. „Der Pflegebereich wurde auf die Selbständigkeit abgestellt. 24 Stunden, das Risiko bei den PflegerInnen, nur bedingter Schutz. Das gilt auch für viele LKW-Fahrer, die auf eigenes Risiko fahren müssen.“ Früher hat der Arbeitgeber das Auslastungsrisiko getragen. Heute wird das Risiko einfach weitergegeben an die Arbeitnehmer, die EPUs, den Letzten in der Kette. „Auch die neuen Crowd- und Share-Formen der Arbeit gehen im Grunde entlang dieser Logik. Das Risiko liegt beim Einzelnen.“
Welche Faktoren schaffen Zusammenhalt?
„Es gibt kaum ein Gewinn bringenderes und emotionaleres Erlebnis, als einmal in einem größeren Zusammenhang Solidarität gespürt, erlebt zu haben, einmal gemeinsam gegen etwas aufgestanden zu sein, sich zur Wehr gesetzt zu haben.“ Hebenstreit hat in diesen Tagen gerade die Verhandlungen mit der AUA zu führen: „Wenn 1.000 Leute in Uniform im Saal sind, dann hat das eine unglaubliche Kraft. Und hier wehren sich Leute, die mit dem Mindestgehalt und ein paar Zulagen abgespeist werden. Die Leute spüren: Wir bewegen etwas, wenn wir zusammenstehen.“ Ein weiterer Faktor ist Verteilungsgerechtigkeit. Dabei geht es immer auch um Schutz, um Sicherheit und Lebensperspektiven. „Den Leuten ist es wichtig, am Arbeitsplatz geschützt zu sein, auch vor Demütigungen. Bei der Sicherheit bedauere ich, dass heute nur mehr von öffentlicher Sicherheit die Rede ist. Es geht um die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Gerade eine langfristige Lebensperspektive braucht einen gesicherten Rahmen. Dieser Rahmen wird von den derzeit Regierenden überall gesprengt. Dabei geht es letztendlich darum, in Würde eine wertgeschätzte Arbeit beitragen zu können. Dazu gehören in einem guten Arbeitsleben auch gute, lebensförderliche Rituale und Abläufe.“ Hebenstreit hinterfragt ganz kritisch dieses dauernde Gerede von der Flexibilisierung. Und: Was passiert, wenn Arbeitnehmer an der Armutsschwelle entlang besoldet werden. „Wir sehen gerade eine Generation, die direkt in die Altersarmut hineingeht. 30% weniger Arbeitsmarktmittel. Man mag sich gar nicht ausmalen, was das für einzelne Menschen heißt, auf längere Sicht.“ Hebenstreit sieht, dass große Medien dieser Entsolidarisierung auch das Wort reden. Beispiel: „Der Staatshaushalt ist keine private Geldbörse, sondern funktioniert nach anderen Gesetzmäßigkeiten. Wer heute keine Schulden macht, verteilt nur anders um, nach oben und verursacht dadurch neue, höhere Kosten im System.“ Der Gewerkschafter ist deshalb auch nicht gut auf die Aussagen von Kardinal Schönborn zum Nulldefizit zu sprechen: „Aus Arbeitnehmersicht hätte ich mir eine andere Positionierung der Kirchenleitung vorgestellt.“
Zusammenstehen für Solidarität
„Wir sind allen Initiativen und Bewegungen sehr nahe, die Armut bekämpfen, Schutzsicherheit und Perspektiven entwickeln. Da können genauso die Orden dazugehören, die Initiative Christlich geht anders oder die Katholische Sozialakademie.“ Hebenstreit bringt nochmals das große Thema Gesundheit und Pflege. „Da müssten wir noch viel intensiver zusammenarbeiten, weil es nicht nur um die Beschäftigten geht. Es geht um das gesellschaftspolitische Thema der Zukunft schlechthin. Da sollten alle zusammenstehen, die in diesem Feld tätig sind, damit in Zukunft das Älter-Werden nicht verpönt wird, sondern die solidarische Pflegefinanzierung zum Durchbruch kommt. Die Orden spielen da eine wichtige Rolle. Sonst haben wir am Ende die, die sich das leisten können, und die anderen fallen raus, können sich nicht wehren.“ Hebenstreit: „Es gibt eine Menge Berührungspunkte hin zu den Orden. Wir sind nicht weit auseinander darin, diese breite solidarische Bewegung in unserer Gesellschaft am Leben zu halten. Das ist das Bemühen der Gewerkschaften, der zivilen Solidargemeinschaften genauso wie der Kirchen oder Orden. Wir nehmen wahr, dass heute vieles zu Ungunsten der arbeitenden Menschen kippt. Das aufzufangen ist notwendig für die Demokratie, den Zusammenhalt und den Frieden. Sonst gilt das Faustrecht, jeder gegen jeden. Die einen können es sich leisten, die anderen können sich nicht wehren. Das Geld ist da, aber falsch verteilt. Wir sind daher angewiesen auf Mitglieder, die auch monetär zusammenstehen, um von der Rechtsberatung bis hin zum Solidar-Lobbying stark auftreten zu können. So können wir uns Gehör verschaffen.“ Hebenstreit zitiert oft den Satz, den er im Umfeld der Jesuiten gehört hat: „Es ist immer genug da für die Bedürfnisse aller, aber nie genug für die Gier der Einzelnen.“
Fotos: Katrin Bruder
[fkaineder]
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