weltkirche.fachtagung 2018: Ernährungsgerechtigkeit und Laudato si
Leider musste die aus Tansania stammende Juristin Digna Irafay wegen Problem mit ihrem Visum kurzfristig absagen. Sie sollte über Verteidgung von Landrechten gegenüber landräuberischen Agrarspekulaten sprechen. Ihren Part übernahm Sigrun Zwanzger.. Sie ist Referentin des Welthauses Graz und berichtete über ihre Projektarbeit in Tansania.
Der aus Windischgarsten stammende Diakon Martin Mayr arbeitet seit 1991 in der nordwestbrasilianischen Diözese Barreiras. Er referierte über die Folgen des ausbeuterischen Agrobusiness. Die Folgen der hohen Landkonzentration, der riesigflächigen Abholzungen und des enormen Wasserverbrauchs müssen vor allem von den eingesessenen indigenen Kleinbauernfamilien getragen werden. Sie werden von der Entwicklungsorganisation „10envolvimento“ unterstützt, in der Mayr tätig ist.
Foto v.l.n.r.: Diakon Martin Mayr, Markus Büker, Sigrun Zwanzger, Anja Appel, Männerorden-Vorsitzender Abt em. Christian Haidinger und P. Franz Helm. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Manu Nitsch
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Der Theologe Markus Büker arbeitet seit den 1990er Jahren in der Bildungs- und Solidaritätsarbeit zu Fragen weltweiter Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. In seinem Beitrag geht es um die Ursachen des Hungers in der Welt, um die Antwortversuche der Solidaritätsbewegungen und der Staatengemeinschaft, sowie um den sich vielfach verändernden Blick auf „Entwicklung“. Ernährung für alle ist nur möglich, wenn über Kontinente hinweg jeder Staat und jeder Mensch seine Verantwortung wahrnimmt.
Freitag, 20 Juli 2018
In ihrer Grußbotschaft zitierte Sr. Michaela Pfeiffer-Vogl, die in Vertretung von Frauenorden-Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer der Tagung beiwohnt, den französischen Philosophen Jean Ziegler. Sinngemäß meinte dieser, alle fünf Sekunden verhungert ein Kind – und das auf einem Planeten, der reich ist. Mit anderen Worten: Alle fünf Sekunden wird ein Kind ermordet. Sr. Michael Pfeiffer-Vogl: „ Es gibt das tägliche Massaker des Hungers.“ Eine Ursache sei die Börsenspekulation mit Grundnahrungsmittel, hier müsse ein absolutes Verbot durchgesetzt werden. „Laudato si“ von Papst Franziskus zeige zahlreiche Alternativen auf.
Sr. Michaela Pfeiffer-Vogl: "Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind." (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Manu Nitsch
Männerorden-Vorsitzender Haidinger: Jeder kann etwas beitragen
Männerorden-Vorsitzender Abt em. Christian Haidinger betonte, dass es für die Ordensgemeinschaften Österreich ein großes Anliegen sei, diese Veranstaltung zu unterstützen und sehr bewusst mitzutragen. Der Blick werde heuer, ausgehend von Laudato si, auf die Thematik der Ernährungsgerechtigkeit gelegt. „Hier kann jeder etwas beitragen“, sagte der Männerorden-Vorsitzende, und verwies auf ein Projekt der HLA für Land- und Ernährungswirtschaft des Schulvereins der Grazer Schulschwestern, die ein Kochbuch herausbrachten, wie man Altbrot statt wegzuwerfen kreativ weiterverarbeiten kann. (das Medienbüro berichtete darüber). In Wien werde täglich so viel Brot weggeworfen wie in der Stadt Graz verspeist werde – und das sei natürlich eine unerträgliche Verschwendung.
Männerorden-Vorsitzender Abt. em Christian Haidinger: "Wir müssen nach Möglichkeiten suchen, die wir unterstützen können, damit Ernährungsgerechtigkeit ein Stück weiterkommt." (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Manu Nitsch
“Es braucht eine intensive Auseinandersetzung”, so der Ordensmann. “Es ist wichtig, dass wir uns mit den verschiedensten Aspekten mit Blick auf die weite Welt, wo dieses Problem offensichtlich noch viel pregnanter ist, weil es für viele Menschen Überlebenskampf bedeutet, vertiefen.” Und weiter: “ Wir müssen nach Möglichkeiten suchen, die wir unterstützen können, wo wir uns engagieren können, damit diese Ernährungsgerechtigkeit ein Stück weiterkommt. Es braucht jetzt ein hörendes Herz, damit wir aus den Impulsen etwas mitnehmen können, damit wir mutige Schritte machen, um die nötige ökologische Umkehr zu setzen.
Diakon Martin Mayr: Ernährungsgerechtigkeit ist ein Menschenrecht
„Das globale Modell des Agrobusiness führt in ein ökonomisches Desaster“ – mit diesen Worten begann Diakon Martin Mayr seinen Vortrag. Der Windischgarstner lebt und arbeitet seit 1991 als Entwicklungshelfer in der nordwestbrasilianischen Diözese Barreiras, wo er sich vor allem in der Projektarbeit zum Thema Ernährungsgerechtigkeit und Umweltschutz engagiert. Doch: „Der Weg zur globalen Tischgemeinschaft ist noch ein weiter“, brachte es Mayr auf den Punkt. Im Naturraum „Cerrado“ passierte in den letzten Jahren ein katastrophaler Wandel; globale Unternehmen investierten in monokulturelle Bewirtschaftung und gingen, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen, brutal mit für Mensch und Ökosystem schlimmste Folgen vor. Der hohe Verbrauch von Wasser und die riesigen Abholzungsflächen führten dazu, dass der Großteil der Tier- und Pflanzenwelt eliminiert wurde. Die ursprüngliche Bevölkerung, indigene Kleinbauern, wurden rücksichtslos vertrieben. Und alles unter dem Argument der globalen Agrarunternehmen, es brauche diese Model der Bewirtschaftung, weil die Weltbevölkerung beständig wachse und ernährt werden müsse.
Aber: „Ernährungsgerechtigkeit ist ein Menschenrecht“, betonte Diakon Mayr. „Ernährung ist kein Geschäft. Doch genau darum geht es im Agrobusiness – wobei die Betonung klar auf Business liegt. Den Agrarunternehmen geht es um nichts anderes als Gewinnmaximierung.“ Um den zu erreichen, arbeiten sie mit allen Mitteln, angefangen von Drohungen und Gewaltanwendungen gegenüber den indigenen Einwohnern und ihren Unterstützern bis hin zu millionenschweren Werbe- und Imagekampagnen, die manipulativ vermitteln: Die Welt braucht uns, um ernährt zu werden.
Diakon Martin Mayr: "Bildung ist das beste Mittel, um den Hunger zu bekämpfen." (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Manu Nitsch
Doch tatsächlich stimmt das in keinster Weise. Martin Mayr: „Ein Großteil der Anbauflächen werden nicht für Nahrungsmittel, sondern für die Treibstoff- oder Stromerzeugung eingesetzt oder für die Erzeugung von Futtermittel.“ Das Agrobusiness gehe vom Ernährungsverhalten der westlichen Welt aus. In den Industrieländern werde pro Person durchschnittlich rund 90 Kilo Fleisch pro Jahr gegessen. Das wiederum bedeute, dass rund 70% der Sojaanbauflächen für Futtermittel verbaut würden. Damit ist die globale Landwirtschaft eine der größten Belastungen für die Umwelt (ganz zu schweigen vom Methanausstoß der Rinderherden beim Verdauen).
Die intensive Bewirtschaftung des Bodens sorgt auch für eine schleichende Vergiftung der Menschen. Großflächige Agrarproduktion funktioniere nur mit Hilfe von Pestiziden. Doch nur rund ein Drittel der eingesetzten Pestizide erfüllen ihre Funktion; zwei Drittel versickern im Boden und werden letztendlich von den Menschen aufgenommen; für die Volksgesundheit bedeute das eine Katastrophe.
Auch das Argument der Agrarunternehmen, man müsse immer mehr produzieren, um die Bevölkerung zu ernähren, entbehre jeder Grundlage. Jährlich werden rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen, statt mehr zu produzieren wäre es wesentlich sinnvoller, weniger zu verschwenden. Denn letztendlich komme die steigende Nahrungsmittelproduktion gar nicht dort an, wo sie benötigt werde. Obwohl es immer mehr Lebensmittel gibt, hungern die Menschen trotzdem. Ein Großteil dieser Menschen könnte sich gar nicht leisten, was das Agrobusiness anbietet.
Für die betroffenen Kleinbauern setzt sich die 2004 von Dom Ricardo Weberberger gegründete Entwicklungsorganisation "10envolvimento" ein Doch die wichtigsten Beiträge zur Ernährungssicherung seien letztlich Armutsbekämpfung und Friedenssicherung. Auf die Frage, was man dagegen tun könne, antwortete Mayr: „Bildung, Bildung und nochmals Bildung ist das das beste Mittel, um diese Unternehmen und damit den Hunger zu bekämpfen.“
Sigrun Zwanzger: Tansanias Regierungsprogramme nutzen nur den ausländischen Investoren
Sigrun Zwanzger ist stellvertretende Geschäftsführerin des Welthauses Graz und damit auch für die Projektentwicklung in Tansania (und Laos) verantwortlich. Sie sprang spontan für die kurzfristig verhinderte Referentin Digna Irafay aus Tansania ein. Im Gespräch mit KOO-Geschäftsführerin Anja Appel erzählt sie über die Landrecht-Problematik des afrikanischen Staates.
„Tansania gehört zu den ärmsten Ländern der Welt“, erzählt Sigrun Zwanzger. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung leben von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Historisch bedingt gehört den Menschen aber nicht das Land, das sie bewirtschaften. Als deutsche Kolonie war das Land im Besitz des deutschen Kaisers; als englische Kolonie war der Gouverneur der Besitzer. Nach der Unabhängigkeit im Jahre 1961 wechselte das Land in den Besitz des Staates und wird – eine für Europäer seltsam anmutende Situation – vom Staatspräsidenten verwaltet. Das Land ist mit 57,3 Millionen Einwohnern das nach Bevölkerung fünftgrößte Land Afrikas; es ist von der Landfläche 11 Mal so groß wie Österreich oder unwesentlich kleiner als Deutschland und Frankreich zusammen.
Sigrun Zwanzger im Gespräch mit Anja Appel. (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Manu Nitsch
Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung Tansanias lebt in ländlichen Gebieten; zumeist von Landwirtschaft, Viehzucht, Fischerei und Jagd oder auch von Kleinschürferei. Die landwirtschaftliche Produktion reicht im Normallfall zur Selbstversorgung des Landes aus. Hauptexportgüter sind Kaffee, Tee, Baumwolle, Tabak und Gold, doch Klimaprobleme in Verbindung mit steigenden Lebensmittelpreisen verursachten, dass seit dem Jahr 2000 der Anteil am Exporterlös von Cash crops (Kaffee, Baumwolle, Tee, Tabak, Sisal und Cashewnüsse) zugunsten der einheimischen Lebensmittelversorgung kontinuierlich zurückgeht und private Einkommen überwiegend für Lebensmittel aufgebraucht werden.
Dazu kommt, dass immer mehr Investoren (fast die Hälfte der Unternehmen kommen aus der EU) sich für Land als Spekulationsobjekt interessieren, für die Produktion von Lebensmitteln für den Export und für Agrotreibstoffe. In den Jahren 2005 bis 2014 stiegen Auslandsdirektinvestitionen von 1,3 auf 3,7 Milliarden US-Dollar. Hand in Hand geht damit, dass Kleinbäuerinnen bzw. Kleinbauern und Viehzüchter ohne Einhaltung rechtlicher Grundlagen vor allem in fruchtbaren und regensicheren Gebieten von ihrem Land, das sie oft seit Generationen bewirtschaften, vertrieben werden. Wissen um ihre Landrechte und wie sie diese verteidigen können, ist kaum vorhanden.
Zwar gibt es Regierungs- wie auch bi- oder multilaterale Programme, aber: „Sie dienen nicht der Verbesserung der Lebensbedingungen der Kleinbauern, sondern nutzen vor allem Investoren, die auf agroindustrielle Landwirtschaft setzen“, so Sigrun Zwanzger.
Der Konflikt wird auch dadurch geschürt, dass Tansania immer mehr in Richtung Diktatur marschiert. Der Staat erhöht permanent die sog. „Geschützen Landflächen“, die aus Nationalparks, aber auch aus devisenbringenden Jagdgebieten für reiche und schießwütige Touristen aus Amerika, Asien und Europa bestehen. Betrugen diese Flächen zu Beginn der Unabhängigkeit noch 28 Prozent, so machen sie mittlerweile rund 40 Prozent aus; letztendlich sollen sie nach Plänen des aktuellen Staatspräsidenten auf 50 Prozent anwachsen. Die verbleibenden Gebiete sind, vor allem, wenn sie in der Nähe von Wasser sind, sowohl von Ackerbauern als auch Viehzüchtern heiß begehrt. Durch immer kleinere verfügbare Flächen wird der Druck auf Land immer höher, was dann auch zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen kann.
Daher ist es Ziel, einerseits das Wissen und die Kapazitäten der KleinproduzentInnen zu erhöhen, damit sie sich auch besser in die Entscheidungsprozesse in ihren Gemeinden einbringen können. Andererseits wird auch auf die politischen EntscheidungsträgerInnen Einfluss genommen, um einen für alle Gruppen gleichberechtigten und sozial gerechten Zugang zu Land zu gewährleisten. „Von der katholischen Kirche Tansanias erhalten wir jedenfalls nicht sehr viel Unterstützung“, sagt Sigrun Zwanzger. Sie habe zwar großen Einfluss, doch im Bereich der Landrechte schweige sie.
Samstag, 21 Juli 2018
Der Samstag beginnt mit einem Impuls von Markus Büker. Der Theloge stellte die Frage: „Was hindert uns eigentlich daran, den Wandel zur Ernährungsgerechtigkeit durchzuführen?“ Hier gäbe es viele Antworten, die aus dem Alltag kommen: Mir fehlt die Zeit. Oder: Ich habe keine Ahnung. Aber auch: Mir fehlt der Mut. Aber warum tun wir tatsächlich nichts?
Markus Büker: "Wir müssen uns fragen: Wie können wir akzeptieren, dass 800 Millionen Menschen hungern?“ (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Manu Nitsch
Der Autor Manfred Linz habe sich dazu Gedanken gemacht und zähle hier fünf Punkte auf:
1; Was ist, soll bleiben. Eigentlich ist das System gut, schließlich hat es uns Wohlstand gebracht.
2; Patchwork der Lebensstile. Fast alle Menschen, auch die Veränderungsbereiten, wählen aus dem vorhandene Angebot an Normen, an Sinngebung, an Nutzenerwähnung das aus, womit sie sich in ihrem Leben zurechtfinden können und was ihnen bekömmlich erscheint. Dabei entstehen Widersprüche zwischen Einsichten und Wünsche. Beispiel: Gegen CO2 sein und dennoch in den Urlaub fliegen.
3; Faszination des Güterwohlstands. Wir sind fasziniert davon, dass wir etwas haben, dass wir es zu etwas gebracht haben.
4; Fortschrittsdenken. Tief in uns drin ist das Denken verankert, es wird sich schon eine Lösung finden, es gibt immer einen Ausweg.
5; Wirtschaftswachstum. Das Vertrauen in das kapitalistische System; jeder ist zufrieden, weil z.B. die Löhne automatisch steigen, um die Inflation auszugleichen.
„Aber wir müssen Verantwortung übernehmen. Es reicht nicht, sich permanent zu beklagen, keiner ist da, keiner hilft mir. Ich muss alles alleine tun“, betonte Büker. Man müsse sich die Frage stellen: Katholik, wo bist du? Kirche, wo bist du? Oft erscheinen die Menschen, denen man helfen kann, und ihre Probleme sehr weit weg. Doch dann erkennt man, die Probleme, die sie haben, sind sehr ähnlich den Problemen, die wir selber haben.
Wir entdecken die Zusammenhänge, wie alles zusammenhängt, wie das globale Agrobusiness uns alle betrifft. Büker: „Die Grenzen dicht – das wird uns als Lösung verkauft, aber das ist natürlich keine Lösung.“ Und: „Wir müssen uns fragen: Wie können wir akzeptieren, dass 800 Millionen Menschen hungern?“ Wir alle müssen die Erfahrung machen, Handeln ist möglich. Wir sind handlungsmächtig.
„Gott ist im Teilen erkennbar“, sagte der Theologe Markus Büker. Und zitierte die Bibel: Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Sein Resümee: „Das reicht, um mit Gott zusammen zu sein.“
Arbeitskreise
Der weitere Samstagvormittag ist den verschiedenen Arbeitskreisen gewidmet.
Diakon Martin Mayr vertieft in seinem Workshop die Thesen aus dem Vortrag zu den Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf indigene Gemeinschaften und Kleinbauernfamilien.
Philipp Bück beschäftigt sich mit der Herausforderung der Ernährungssicherheit in Asien, wobei er sowohl auf rechtliche Fragen der Ernährungssicherheit als auch Projektbeispiele eingeht.
Sigrun Zwanzger berichtet über die Auswirkungen der Soja-Produktion in Lateinamerika und über die Möglichkeiten, darauf zu reagieren.
Franziskus Forster ist Biogemüsebauer im Kremstal und außerdem bei ÖBV-Via Campesina Austria, AgrarAttac und in der Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouveränität aktiv. Er bringt die Perspektive kleinbäuerlicher ProduzentInen in die Diskussion über Ernährungsgerechtigkeit ein.
Johann Preitler aus der Pfarre Gratkorn is im EMAS-Team seiner Pfarre aktiv und hat einen großen Erfahrungsschatz mit ökosozialer Beschaffung. Er reflektiert im Workshop die Potentiale von ökosozialer Beschaffung und welche Maßnahmen darüber hinaus notwendig sind.
Markus Büker: Wandel geht nicht ohne Einmischung in die Politik, Wirtschaft und Technologie
„Der Hunger von 815 Millionen Menschen, die Unterernährung von zwei Mrd. Menschen und das Übergewicht von zwei Mrd. Menschen hat Zusammenhänge“, begann der Theologe und Misereor-Mitarbeiter Markus Büker seinen Vortrag. „Das Sterben der Hungernden ist nur der besonders sichtbare Teil der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen.“ Bis zu zwölf Mrd. Menschen könnten mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ernährt werden. Der Hunger sei also keine Frage von Technik und von Produktionsengpässen, sondern von Verteilungsgerechtigkeit und von der Art und Weise, wie wir zusammenleben.
Markus Büker: "Für uns Christen bedeutet das Versagen unseres Wirtschaftssystems auch eine Verhöhnung der Eucharistie." (c) Ordensgemeinschaften Österreich/Manu Nitsch
In Papst Franziskus‘ Enzyklika Laudato si wird Ernährung bewusst in Kontext von Armut und Umweltzerstörung gesetzt. Hunger muss in Zusammenhang mit Ressourcenverbrauch, Klimawandel, mit der Art und Weise, wie Regierung und Demokratie stattfindet, gesetzt werden. Wir leben in einem Zeitalter, wo der Mensch darüber bestimmt, wie sich die Erde weiter entwickelt. Sinnbild dafür sei die Erderwärmung. Der Mensch greift in die Erdentwicklung ein, und wir können die Folgen nicht absehen. Der Mensch, der Einfluss nimmt, bestimmt, wie mit Ressourcen umgegangen wird und verteilt sie ungerecht. Das sei durchgehendes Thema in Laudato si.
Wissenschaftler sagen, wir haben noch maximal 30 Jahre Zeit, um entscheidende Weichenstellungen als Menschheit zu treffen. Wir erreichen beim Klimawandel diese Kipppunkte in den nächsten 20 bis 30 Jahren, dann ist eine Umkehr nicht mehr möglich. „Um unsere Versprechung von Paris einzuhalten, müssten bestimmte Maßnahmen in den nächsten drei Jahren getroffen werden“, erinnerte Büker. „Jetzt wird sich zeigen, wie ambitioniert wir sind und mit welchem Recht wir mehr konsumieren als die meisten anderen.“
Ein Problem sei auch, dass Land, Wasser, Wälder, Menschenrechte zur Ware wird. Auch unsere Beziehungen basieren mehr und mehr auf Austausch und werden als Konkurrenzbeziehungen betrachtet. Das kapitalistische Konsum- und Produktionsmodell, das der Papst in Laudato si immer wieder benennt, ist einerseits attraktiv und hat Freiheit und Fortschritt hervorgerufen, aber es hat auch zerstörerische Folgen. Um unser Handeln zu ändern, geht es in Laudato si um vier Ebenen: Die Ebene der Politik, die wieder den Primat über die Wirtschaft gewinnen muss. Wirtschaft, die die Art der Verteilung mit reguliert. Es geht um die Technologie und es geht um Kultur und Regulierung als gestalterische Kraft. Wie findet die kulturelle Veränderung statt? Als Kirche fällt und das leicht. Aber es geht nicht ohne Einmischung in die Politik, Wirtschaft und Technologie.
Der Beitrag der Technik wird in Laudato si geschätzt, aber Franziskus kritisiert auch, dass wir erwarten, alle Probleme werden von der Technik gelöst. erwarten. Aber die Technik bringt auch neue Herausforderungen mit sich. Die Frage ist: Wie können wir diese steuern und deren Grenzen akzeptieren. Nur ein Beispiel: Das Agrobusiness braucht 70 Prozent der Land- und Wasserressourcen, erzeugt aber nur 30 Prozent der Weltnahrung. 30 Prozent der Kleinbauern nutzen nur 30 Prozent der Ressourcen, doch sie erzeugen 70 Prozent der Welternährung. Die Welt wird von kleinbäuerlichen Betrieben ernährt.
In dieses Umfeld kommt auch noch die Verweigerung der Solidarität mit der offensichtlichen Not. Nationalismus, Rassismus, Populismus sind eine Reaktion auf zerbrechende Gewissheit. Die Folgen sind eine schleichende Verschiebungen nach rechts und die Rückkehr der Menschenfeindlichkeit. „Sie kann mittlerweile öffentlich zelebriert werden“, sagt Markus Büker. „Wir können uns empören, das hilft aber nicht weiter, wir müssen Strategien entwickeln. Das hat auch Folgen der Ernährung, indem wir Solidarität verweigern; indem wir rechtfertigen, dass wir nichts machen müssen.“
Doch die Probleme müssen wir in der globalen Zusammenarbeit lösen, nicht von einzelnen Staaten. Wie können wir also der Vision einer globalen Tischgemeinschaft näher kommen? Es braucht neue verbindliche Kriterien, wie wir Wandel herbeiführen. Büker: „Für uns Christen bedeutet das Versagen unseres Wirtschaftssystems auch eine Verhöhnung der Eucharistie. Die Unwandelbarkeit der Gesellschaft stellt den eucharistischen Glauben der Wandelbarkeit in Frage.“ Unsere Eucharistie würde hohl, wenn man nicht mehr glaubt, dass die Welt veränderbar ist. „Glauben wir an die Veränderung der Verhältnisse? An die Wandlung zum neuen Menschen? Wollen wir die Verhältnisse ändern und können wir das?“, stellte Theologe Büker kritische Fragen.
Misereor versuche darauf, Antworten auf allen Ebenen zu geben. Es kann nicht sein, dass einen Aspekt draußen gelassen wird und ein anderer in den Mittelpunkt gestellt wird. Wir können nicht den Klimawandel übersehen und „nur“ den Hunger zu bekämpfen. Jeder Mensch hat ein Recht auf gutes Essen. Misereor sieht sich durch Laudato si unterstützt und tritt ein für vielfältiges Essen, für ein gerechtes und zukunftsfähiges Ernährungssystem.
Veranstalter der Tagung sind Missionsreferat der Ordensgemeinschaften Österreich, von der KOO und der MIVA in Zusammenarbeit mit Hilfswerken und einzelnen Ordensgemeinschaften.
Die weltkirche.tagung 2018 fand von 20. bis 21. Juli 2018 statt. Das Medienbüro der Ordensgemeinschaften Österreich war vor Ort und berichtete laufend über die Veranstaltung.
[rsonnleitner]