In der Mitte steht das DU, nicht das Ego
v.l. Giuseppe Zorzi, Franz Fischler, Günther Platter, Hermann Glettler, Margarete Schramböck, Arno Kompatscher. (c) Laurent Ziegler
Das Europäische Forum Alpbach findet seit 1945 alljährlich im August im Tiroler Bergdorf Alpbach statt. Referenten und Teilnehmer aus allen Teilen der Welt, von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, Experten kommen mit jungen Studenten zusammen, um aktuelle Fragen der Zeit zu diskutieren und interdisziplinäre Lösungsansätze zu finden.
Für ein solidarisches Engagement auf Grundlage der "Alternative des christlichen Glaubens" und ein "Plus an Weisheit" zur vorhandenen Fülle des Wissens, damit aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen gelöst werden können, hat Bischof Hermann Glettler im Diskurs geworben.
Für Stärkung des Inneren, gegen Ausgebranntheit
"Wovon leben wir tatsächlich?", fragte der Bischof zu Beginn seiner Predigt und führte in der Folge mit Blick auf das diesjährige Alpbacher Generalmotto "Diversität und Resilienz" aus, welche inneren Ressourcen beim Menschen vorhanden sein müssen, um aktuellen Entwicklungen wie "nationalistische Engführungen einzelner Staaten" oder die "Aufkündigung von Solidarität mit den stärker belasteten Mitgliedern" der Gesellschaft standhalten zu können. "Ausgebrannten" Menschen fehle es an Vision und Gestaltungskraft nach außen. Noch vor jeder notwendigen Veränderung von Lebenshaltungen brauche es deshalb eine "Stärkung des Inneren", sagte der Bischof. Dazu müsse auch der Glaube "aus der Ecke der Verlegenheit und Peinlichkeit hervorgeholt werden".
Auch angesichts der Diversität aktuellen Wissens brauche es "eine Sättigung der Seele und des Herzens". Mit den immer professioneller aufbereiteten Erträgen aus allen Wissensbereichen wachse nicht gleichzeitig die Fähigkeit der Menschen, "die große Quantität des Wissens persönlich zu erfassen und in ein praktikable Welt- und Menschensicht zu integrieren", gab Glettler zu bedenken. "Nur Wissen nützt nichts. Weisheit ist ein unverfügbares Plus zu allem Wissenswerten." Die Geistesgabe Weisheit führe dabei auch zu "Geduld und Maßhalten als Grundtugenden in einer vom Optimierungsstress getriebenen Gesellschaft", so der Bischof: "Ein Plus an Weisheit kann helfen, Grenzen des Wohlstands und der Machbarkeit des Lebens anzunehmen."
Diversität ist Faktum heutiger Gesellschaft
Insgesamt sei heute Resilienz gefragt, sagte Glettler, also "Herzenskraft und Belastbarkeit, wenn nötig, auch innerer Widerstand, aber vor allem Engagement über den Tellerrand des eigenen Wohlbefindens hinaus". Diversität wiederum bezeichnete der Innsbrucker Bischof als "Faktum heutiger Gesellschaft". Allerdings brauche die "selbstverständliche Lebensvielfalt in allen Lebensbereichen auch der Sorge um eine konstruktive Einheit". Statt extremen Positionen das Wort zu reden, sei dafür das Bemühen um Kompromisse nötig, "die von allen mitgetragen" werden können.
Jeder muss Verantwortung übernehmen, nicht nur die „Anderen“
Er sei fest davon überzeugt, dass die geistigen und menschlichen Ressourcen für die Lösung der Probleme der Zeit vorhanden sind, betonte Glettler. Damit rede er nicht einem romantischen Altruismus das Wort, sondern benenne "die einzige Alternative zum permanenten Fordern und Einklagen von Ansprüchen", sagte der Bischof. "Jeder Einzelne muss Verantwortung übernehmen. Nicht ausschließlich die Anderen, die Politiker und Institutionen haben für das Gemeinwohl zu sorgen, sondern jeder und jede Einzelne im je eigenen Verantwortungsbereich."
Es braucht innerlich versöhnte Menschen zur Konfliktlösung
Wohlstandsversprechungen allein hingegen reichten in der aktuellen Situation nicht aus, "auch nicht, um das Projekt Europa auf ein neues belastbares Fundament zu stellen". Vielmehr brauche es "eine große Zahl von Menschen, die innerlich gestärkt sind, um über die Grenzen der eigenen kleinen Welt hinauszuschauen und mit den Geschundenen und Bedrängten unserer Zeit eine echte Solidarität zu leben". Glettler: "Es braucht innerlich versöhnte Menschen, um alte und neue Konflikte in einer gewaltfreien Weise zu lösen. Es braucht innerlich ausgeglichene Menschen, um den Umtrieben gefährlicher Propaganda keine Chance zu geben. Es braucht spirituelle Menschen, die nicht religiösen Moden aufsitzen, sondern mit einer von Gott geschenkten Geisteskraft Zukunft gestalten."
[mschauer]