Ermöglicht Digitale Revolution im Krankenhaus Freiräume für Renaissance der Nähe?
Die digitale Transformation findet schon statt. Die Menge der Daten in der Welt und auch im Gesundheitswesen nimmt dramatisch zu. Im Jahr 2000 waren drei Viertel aller Daten analog, heute sind es nur noch 1 Prozent, der „Rest“ ist digital. Seit 2013 hat sich das medizinische Wissen verfünffacht, in etwa zwei Jahren wird sich diese Menge innerhalb von 70 Tagen verdoppeln. Es gibt mindestens 100.000 medizinische Apps. Die Hoffnung ist jetzt, dass diese ungeheuren Quantitäten in neue Qualitäten umgesetzt werden. Dazu ist zuerst einmal eine Prozessumkehr im Denken nötig. Nicht mehr zuerst Fragen stellen wie bisher, muss die neue Denkweise sein, sondern die Vielzahl der Daten nutzen, um die richtige Fragestellung zu generieren. Pragmatisches Handeln ist gefragt, das WAS ist wichtig, das WARUM, die Kausalität, kann oft nicht geklärt werden. Ein Mehr an Wetterdaten brachte 7 Prozent bessere Prognosen, das Wetter selbst bleibt dennoch unerklärlich. Daten sind wie ein Eisberg, unter der Wasseroberfläche liegen die riesigen Brocken. Um neue Qualitäten zu schaffen, braucht es ein gutes Datenmanagement. Die Mensch-Maschine-Interaktion ist entscheidend. Die digitale Kompetenz muss schon in die medizinische Aus- und Weiterbildung integriert werden. Spitäler werden Datenanalysten brauchen. „Medicine is a Data Science operated by clinicians“.
Sr. Franziska Buttinger von der Geschäftsführung des Klinikums Wels-Grieskirchen bei ihrer Begrußung
Renaissance der Nähe
Digitalisierung ermöglicht die Renaissance der Nähe, eine individualisierte Medizin und Therapeutik. Tabletten können in Zukunft auf eine einzelne Person zugeschnitten werden. Von Ärzten evaluierte Apps können Patienten etwa mit Asthma digital begleiten, dokumentieren, in der Medikation unterstützen, mit Ärzten Kontakt aufnehmen. App „ADA“, gefiltert mit unzähligen Publikationen, benützt künstliche Intelligenz, sucht nach Symptomen, erstellt einen Befundbericht und stellt Verdachtsdiagnosen aus. Künstliche Intelligenz ist schon in der Radiologie angekommen. MRT-, MT- und Röntgenbilder können von ihr exakter und schneller gelesen, als es Radiologen oft können. Künstliche Intelligenz wird Ärzte aber nicht ersetzen, sondern als assistierende Beratung nützlich sein. Estland hat heute schon eine total digitalisierte Infrastruktur. Der dortige E-Ausweis gilt für alle möglichen Lebensbereiche, er ist auch medizinische E-Card. 99 Prozent der Medikamente werden in Estland elektronisch verschrieben und sind mit dem E-Ausweis in der Apotheke abholbar. In E-Patientenakten kann jeder Besitzer selbst Einschau nehmen auf alle Anamnesen und Untersuchungen. Der Arzt hat Zugriff auf alle Patientendaten, aber nur, wenn er den Patienten behandelt. Der Patient kann seine Daten aber teilweise oder ganz für die Ärzte sperren.
Eine der renommierten ReferentInnen der Tagung: Prof. Dr. Petra Grimm, seit 1998 Professorin für Medienforschung und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien (Stuttgart) und Leiterin des Instituts für Digitale Ethik (IDE).
Humane Digitalisierung notwendig
Die Digitalisierung muss aber eine humane sein und menschengerecht. Datenmissbrauch muss absolut unterbunden werden können. Der Mensch muss weiterhin selbstbestimmt entscheiden können, wer wann warum über ihn etwas weiß. Privatheit hat einen großen Wert. Die Autonomie des Menschen kommt vor der Autonomie der Maschine. Roboter bauen nicht auf moralischen Prinzipien auf und haben kein Gewissen. Roboter können kooperative Partner sein in Spitälern und Gesundheitseinrichtungen, dürfen aber nicht die Herrschaft übernehmen. Eine Kooperation von Digital-Technologie und Ethik muss schon bei der Entwicklung gegeben sein, Privacy by Design. Absolutes Vertrauen in die Digitalisierung ist Voraussetzung für ihre Akzeptanz. Vertrauen setzt aber höchste Verantwortung im Umgang mit Daten voraus. Dazu ist absolute Transparenz notwendig. Künstliche Intelligenz ist eine Black Box, für den Verbraucher muss immer nachvollziehbar sein, wie Entscheidungen und Prognosen zusammenkommen. Künstliche Intelligenz kann Leben verbessern, gesünder machen. Die Möglichkeit der Kontrolle muss gegeben sein, so wie in Estland, missbräuchliche Verwendung von Daten ist dort nachvollziehbar und strafbar. Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen kann Ärzte und Pflegepersonal entlasten, so können sie wieder mehr Zeit haben für ihre Patienten, Digitalisierung darf kein Zeiträuber sein, sondern soll freie Zeit schenken für Empathie und Menschlichkeit, für Anteilnahme am Mitmenschen und für das Eingehen auf den Einzelnen. Digitalisierung eröffnet neue Blicke auf die Welt, Ziel dabei ist bessere Entscheidungen zu treffen. Digitalisierung ist Aufklärung 2.0.
Fotos: Wolfgang Simlinger
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