Die christliche Soziallehre erklärt in 20 Minuten
Fotomontage in Druckqualität (Credit: mschauer) und Foto von Magdalena Holztrattner in Druckqualität (Credit: mschauer)
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„Die christliche Soziallehre ist nicht Kochrezept, sondern wie ein Kompass. Ein Kompass gibt die Richtung vor, beschreibt aber nicht, welche Schritte uns zum Ziel führen. Er hilft uns beim Orientieren, wenn wir nicht weiterwissen, erfordert aber dennoch, unseren Weg selbst zu planen.“ Das sagt Magdalena Holztrattner, die die Katholische Sozialakademie Österreichs als „Think Tank" der Kirche für soziale und gesellschaftspolitische Themen und den gesellschaftlichen Wandel leitet.
Sozialethisches Denken und Handeln ist für die ksoe leitend. Führung und Partizipation, soziale Gerechtigkeit und alternatives Wirtschaften sind die Themen, mit denen sich die Katholische Sozialakademie Österreichs beschäftigt. Sie will mit ihren Angeboten Menschen und Organisationen unterstützen, die den gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestalten. In vielfältigen Kooperationen – in diesem Fall mit den Ordensgemeinschaften Österreich - arbeitet die ksoe an einem guten Leben für alle. Holztrattner weiter:
„Die Soziallehre der Kirche ist kein Kochrezept, das Punkt für Punkt und ohne Abweichungen vorgibt, wie das gute Zusammenleben aller gelingen kann. Man kann sie auch als Ethik der Gesellschaft bezeichnen, da sie darüber reflektiert, welche sozialen Strukturen eine Gesellschaft braucht, damit alle Menschen gut in ihr leben können.“
Faustregel der Verantwortung
Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer von den Ordensgemeinschaften betont: „Im Intro-Film kommt die hilfreiche Sichtweise vor, dass die christliche Soziallehre mit ihren sechs Prinzipen so etwas wie die Faustregel der Verantwortung ist. Gerade auch wir Ordensleute wollen dieser Verantwortung in und für die Welt gerecht werden, indem wir uns in unserem Tun, mit unseren Werken und Einrichtungen auf diese sechs Prinzipien stellen.
Bischof Werner Freistetter von der Österreichischen Bischofskonferenz zu den Videos: „Als Einrichtung der Österreichischen Bischofskonferenz ist die ksoe seit nunmehr 60 Jahren für die Vermittlung, Erforschung und Umsetzung der Soziallehre der Kirche tätig und leistet mit dieser Bildungsinnovation einmal mehr einen zentralen Beitrag zur Sozialverkündigung der Kirche und zur sozialen Gewissensbildung in der Gesellschaft“.
Heute werden von manchen die Grundlagen des Sozialstaates in Frage gestellt oder die allgemeine Gültigkeit der Menschenrechte. Es geht in allem um ein gutes Leben aller, ohne Ausgrenzung und Gewalt. Mögen diese Filme mithelfen, wacher zu werden für unsere gemeinsame Welt.“ Und Mayrhofer weiter: „Strukturen können gerecht, aber auch ungerecht sein. Die Sozialethik reflektiert deshalb auf die gegebene gesellschaftliche Praxis mit der Frage, ob das, was ist auch so sein soll.“
Einführung in die Christliche Soziallehre (c) ÖOK/msb
Soziale Strukturen sind Regelwerke, die das Zusammenleben vieler Menschen über lange Zeit beeinflussen (z.B. Menschenrechte, Wahlrecht für Männer und Frauen oder die Bestimmung von Trinkwasser als Allgemeingut).
Im Laufe der letzten 130 Jahre kirchlicher Sozialverkündigung haben sich diese sechs Prinzipien herauskristallisiert, die als verlässliche Bezugspunkte der sozialethischen Reflexion dienen.
Personalität: Die Würde eines Menschen ist unteilbar und ohne Vorleistungen zu gewähren
Personalität in der christlichen Soziallehre (c) ÖOK/msb
In der Personalität gründet sich das zentrale Prinzip der Soziallehre: Die Würde des Menschen als Person ist unantastbar.
Sie ist nicht verdient, kann nicht verhandelt oder verkauft werden. Man kann sie auch als normativen Achsenpunkt sehen, aus dem sich alle anderen Prinzipien ableiten.
Der Mensch als Person hat immer Vorrang vor allem anderen und ist in seiner Würde stets zu achten, zu schützen und zu fördern. Als Individuum lebt jeder Mensch aber dennoch in sozialen Zusammenhängen, jeder Mensch ist von anderen abhängig, hat aber die Freiheit, diese Zusammenhänge und Abhängigkeiten verantwortungsvoll zu gestalten - sich selbst und anderen gegenüber. Personalität ist eine dynamische Dimension, die in der Spannung zwischen Gelingen und Scheitern menschlichen Lebens gelebt und entfaltet wird. #ErfahrungBildet
Gemeinwohl: Das persönliche Wohl von Einzelnen in einer Gesellschaft in Gegenwart und Zukunft
Gemeinwohl in der Christlichen Soziallehre (c) ÖOK/msb
Das Gemeinwohlprinzip hat das Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft zum Ziel, das über das Befinden einzelner Menschen hinausgeht. Das erstrebte größtmögliche Glück der Einzelnen hat damit seine Begrenzung im Gemeinwohl. Ein gutes Beispiel ist Wasser als Allgemeingut: Damit alle Menschen Zugang zu sauberem, leistbarem Trinkwasser haben, braucht es soziale Bedingungen. Hier können unterschiedliche Interessen von einzelnen Personen und Gruppen aufeinanderprallen.
Beispielsweise wollen Besitzer von Unternehmen Quellwasser in Plastikflaschen verkaufen. Dieses Interesse von Einzelnen steht dem Interesse der Allgemeinheit, dem Gemeinwohl entgegen – dazwischen zu vermitteln ist Aufgabe der Politik.
Die Frage nach Gerechtigkeit ist eng mit dem Prinzip des Gemeinwohls verknüpft. Das Eintreten für Gerechtigkeit gehört wesentlich zu christlich motiviertem politischen Handeln – denn es geht um das Gemeinwohl, um das gute Leben aller in einer Gesellschaft.
Gerechtigkeit muss jedoch immer neu erstritten werden. Die Frage nach Gerechtigkeit impliziert immer die kritische Frage nach Strukturen, die den politisch und wirtschaftlich Mächtigen einer Gesellschaft Privilegien sichern. Ob eine Gesellschaft gerecht ist, erweist sich erst, wenn man sie mit der Brille der gesellschaftlich Ausgeschlossenen, der Benachteiligten und sozial Abgewerteten beurteilt. #GemeinschaftHält
Solidarität: Weil alles mit allem verbunden ist, sind alle füreinander verantwortlich
Solidarität in der Christlichen Soziallehre (c) ÖOK/msb
Solidarisch zu sein ist dem Menschen von Natur aus angelegt: der Mensch ist ein Beziehungswesen und darauf angewiesen, sich in der Beziehung zu einem Gegenüber zu entfalten und zu wachsen.
Das sozialethische Prinzip könnte umschrieben werden mit der Formel “Eine/r für alle – alle für eine/n!“
Auch in Laudato si schreibt Papst Franziskus, dass alles mit allem verbunden ist. Obwohl man von konzentrischen Kreisen der Solidarität sprechen kann, da die Solidarität mit der eigenen Familie vordringlicher ist als die mit Unbekannten, darf sich Solidarität niemals nur auf eine geschlossene Gruppe reduzieren. Sonst verliert sie ihre Qualität und verkommt zum Gruppenegoismus oder Nationalismus.
Solidarität überschreitet die Grenzen des „Eigenen“ auf „Andere“ und „Fremde“ hin.
Sich solidarisieren heißt dann, sich bewusst in die Lage anderer, Fremder zu versetzen – „ein paar Tage in ihren Mokassins zu gehen“ – und sich für Fremde auch einzusetzen. Solidarisch leben bedeutet, sich der gemeinsamen Menschheitsfamilie zu erinnern – weil alle auf dem gleichen Planeten Erde leben und voneinander abhängig und für einander verantwortlich sind. #FremdesBereichert
Subsidiarität: Hilfe zur Selbsthilfe
Subsidiarität in der Christlichen Soziallehre (c) ÖOK/msb
Wo die kleinere Einheit sich selbst helfen kann, darf der Staat Hilfe nur anbieten (Nichteinmischungsprinzip). Wo die Kräfte der kleineren Einheit nicht reichen, ist es Aufgabe der größeren Einheit, unterstützend einzugreifen (Hilfestellungsprinzip). Der subsidiärausgerichtete Staat ist dazu da, die Person und die kleineren Einheiten in ihrer Eigentätigkeit zu fördern, nicht aber ihnen ihre Möglichkeiten zu nehmen. Das subsidiäre Hilfsangebot ist „Hilfe zur Selbsthilfe“.
Erfahrbar wird Subsidiarität beispielsweise in der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Grundsätzlich fällt diese in den Verantwortungsbereich der Eltern.
Aber selten kann jemand diese Verantwortung der schulischen Bildung von Kindern gänzlich auf sich allein gestellt erfüllen. Nicht alle Eltern haben die Bildung oder das Geld und die Möglichkeiten, um ihre Kinder selbst zu unterrichten. Dort, wo die Kräfte der kleineren Einheit ausgeschöpft sind, ist es Aufgabe des Staates, Unterstützung anzubieten. Der Staat stellt die Möglichkeiten bereit, dass Eltern ihren Kindern eigenständig Erziehung und Bildung geben können. Darüber hinaus darf er sich nicht einmischen.
Die subsidiäre Aufgabe des Staates ist gefragt wenn es darum geht, Schulen zu bauen, Lehrpersonal auszubilden und zu bezahlen und Lehrpläne sinnvoll zu gestalten. #Vielfaltstärkt
Nachhaltigkeit: Verknüpfen von Entscheidungen mit ihren langfristigen Folgen
Nachhaltigkeit in der Christlichen Soziallehre (c) ÖOK/msb
Nachhaltigkeit fragt danach, ob der heutige Wohlstand auf Kosten der sozialen und ökologischen Existenzbedingungen anderer Menschen aufgebaut ist.
Hinterlassen wir zukünftigen Generationen eine Gesellschaft und eine Erde, die lebenswert sind?
Bauen wir unseren heutigen Wohlstand auf Kosten der sozialen und ökologischen Existenzbedingungen anderer und zukünftiger Menschenleben auf?
Christliche Sozialethik befragt mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit die langfristigen Konsequenzen von Entscheidungen auf struktureller Ebene. Dafür ist es wichtig, verschiedene gesellschaftliche Wirkbereiche zu verknüpfen, die gerne als voneinander unabhängig beurteilt werden: Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Politik. #AufbruchBewegt
Option für die Armen: Die Gerechtigkeit einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Mitglieder umgeht
Die Option für die Armen in der Christlichen Soziallehre (c) ÖOK/msb
Das sozialethische Prinzip der „vorrangigen Option für die Armen“ ist wie eine Sehhilfe, die den Blick dafür schärft, ob eine Gesellschaft gerecht gestaltet ist oder einseitige Interessen einer kleinen Gruppe fördert. Man erkennt strukturelle Schieflagen oder Ungerechtigkeiten relativ leicht, wenn man durch die Brille derjenigen sieht, die arm, benachteiligt, von gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen sind. Die Gerechtigkeit einer Gesellschaft zeigt sich also daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.
Der Blick durch die Brille der Armen lässt schärfer sehen, ob die elementaren Bedürfnisse wie essen, wohnen, heizen, Bildung, Gesundheit für alle ausreichend befriedigt sind.
Ausgehend von der Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit und gleiche Lebenschancen für alle zu ermöglichen, stellt sich die Kirche an die Seite der Armen, Benachteiligten und Abgewerteten. Soziale Gerechtigkeit zielt auf gesellschaftliche Bedingungen, die – im Sinne auch vom Gemeinwohl – allen Menschen die ganzheitliche Entfaltung ihrer Person ermöglichen. Damit folgt die Soziallehre der langen biblischen Tradition: Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, die sich an Jesus von Nazareth orientieren, identifiziert sich mit den Vergessenen und an den Rand Gedrängten einer Gesellschaft und setzt sich ein für Gerechtigkeit, Anerkennung und Würde – für das gute Leben aller. #Gerechtigkeitgeht
Dieser Film ist eine Zusammenführung aller Einzelvideos zur Katholischen Soziallehre (c) ÖOK/ms
Zur gesamten Playlist auf Youtube
Das Projekt „Soziallehre-Videos“ wurde als Kooperation der Ordensgemeinschaften Österreich
und der Katholischen Sozialakademie Österreichs konzipiert und realisiert:
Idee und Gesamtleitung: Ferdinand Kaineder
Projektteam: Magdalena Holztrattner, Magdalena Schauer, Markus Blümel, Ferdinand Kaineder
Regie, Produktion und Schnitt: Magdalena Schauer (Medienbüro)
Wandbild-Illustrationen: Anna Egger
[fkaineder]