Bundespräsident Van der Bellen wieder in evangelische Kirche eingetreten
Bundespräsident Alexander van der Bellen (zweiter von rechts) beim Festakt 60 Jahre Katholische Sozialakademie ksoe am 29. März 2019 im Kardinal König Haus. Foto: Ferdinand Kaineder
In seiner politischen Laufbahn gab Van der Bellen mehrmals darüber Auskunft, nicht an einen persönlichen Gott zu glauben, zollte aber auch dem positiven Einfluss religiöser Überzeugungen auf das soziale Zusammenleben Respekt und äußerte Hochachtung gegenüber dem Evangelium und besonders der Bergpredigt.
Es sei denkbar, dass die eine oder andere Religion ausstirbt, so das Staatsoberhaupt zu den Chefredakteuren der Kirchenzeitungen. Aber dass Religiosität insgesamt aussterben könnte, glaube er nicht. „Dazu ist das Bedürfnis nach etwas zu groß, das zu erklären versucht, was Leben ist, woher es kommt und wohin wir nach dem Tod gehen.“ Auf die Frage nach einem Bedeutungsschwund des Christentums in Österreich verwies er auf „die mir so wichtige Botschaft des Neuen Testaments“: „Sich einigermaßen danach zu richten“ sei „nicht nur für Kirchenmitglieder geboten“, so Van der Bellen.
Kontakt Religion - Politik
Den Austausch zwischen den Religionsgemeinschaften und der Politik in Österreich hält der Bundespräsident für wichtig. „Persönlich hatte ich viele gute Begegnungen", sagt er. Mit dem Kardinal Christoph Schönborn, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, tausche er sich regelmäßig aus, weiters erwähnte Van der Bellen Gespräche mit dem evangelisch-lutherischen Bischof Michael Bünker und jüngst ein Treffen mit Bischof Benno Elbs in Vorarlberg. „Generell ist es wichtig, dass Politik und Religionsgemeinschaften Kontakt halten, und dass sich die Kirchen, Caritas und Diakonie zu sozialen Fragen zu Wort melden“, betonte der Bundespräsident. Die Kirchen hielten wie das Rote Kreuz und andere Organisationen das Ehrenamt hoch. „Ich möchte mir Österreich nicht ohne diesen unersetzlichen Einsatz vorstellen.“
Klimafrage für Junge zentral
Der Großteil des Interviews war politischen Themen wie Umweltschutz, Sozialpolitik und der bevorstehenden EU-Wahl gewidmet: Dass Kinder und Jugendliche freitags die Schule schwänzen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, ist für Van der Bellen kein Problem. Es sei ganz wichtig, dass die Jugend bei diesem Thema „erwacht“ sei, und in zwei Schulstunden Versäumtes könne nachgelernt werden. „Bei der Klimakrise geht es dagegen um Prozesse, die man nicht umkehren kann“, so Van der Bellen. „Ich werde die schlimmsten Folgen nicht mehr erleben, für die jungen Menschen steht tausendmal mehr auf dem Spiel.“ Die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus erachtet der Bundespräsident als wertvollen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel.
„EU-Patriotismus“ nötig
Im Hinblick auf die am 26. Mai anstehende Wahl des EU-Parlaments unterstrich Van der Bellen, es sei wichtig, „die Menschen nicht nur über den Kopf anzusprechen, sondern einen Weg ins Herz zu finden“. „Wir brauchen dringend einen EU-Patriotismus“, erklärte Van der Bellen. Er verwies auf die labile weltpolitische Lage mit einer US-Regierung unter Präsident Donald Trump, die gezeigt habe, „wie schnell Freundschaften zugrunde gehen können“, mit dem „mit schwer einschätzbaren Risiken verbundenen“ Nachbarn Russland und Fragen rund um Afrika sowie China.
„Schwere Zweifel“ an neuer Sozialhilfe
Zum jüngst im Nationalrat beschlossenen und auch kirchlicherseits kritisierten Umbau der Mindestsicherung zur Sozialhilfe sagte Van der Bellen: „Es gehört nicht zu den angenehmsten Aufgaben eines Bundespräsidenten, Gesetze zu unterschreiben, bei denen er ganz andere Ansichten hat.“ Das sei bei der Indexierung der Familienbeihilfe der Fall gewesen, und auch jetzt bei der Sozialhilfe habe er „schwere Zweifel - Stichwort Kinderdiskriminierung“.
Kritik übte Van der Bellen auch daran, dass zuletzt 43 Prozent der Asylentscheidungen des zuständigen Bundesamts wieder aufgehoben wurden: „Wenn fast die Hälfte der Entscheidungen einer Behörde nicht hält, hat sie offensichtlich ein Qualitätsproblem.“ Freilich sei nicht jeder Fluchtgrund auch ein Asylgrund. „Mir ist auch klar, dass da nicht nur Heilige zu uns kommen wollen, wie auch unter uns Österreichern nicht nur Heilige leben“, so Van der Bellen zum Thema Asyl. Da seine eigenen Eltern dreimal geflüchtet seien bzw. sich aussiedeln ließen, habe er „einen besonderen Zugang zu dieser Frage“.
Österreichische Identität vielfältig
Vielfalt gehört nach der Überzeugung des Bundespräsidenten zur österreichischen Identität, Vorstellungen von ethnischer „Reinheit“ lägen ihm fern. „Meine Mutter kommt aus einer estnischen Familie, mein Vater ist kulturell Russe, von der Herkunft her aber Nordwesteuropäer“, legte Van der Bellen dar. „Wenn mich wer fragt, sage ich: Ich bin Kaunertaler, Tiroler, seit 40 Jahren Wiener, Österreicher und Europäer - und wo ist das Problem?“ Das Letzte, was er sich wünsche, „wäre eine deutsche Volksgemeinschaft, wie sich das die Nazis vorgestellt haben“.
In diesem Zusammenhang bekannte sich Van der Bellen auch zum Schutz der kulturellen Vielfalt der Republik bzw. der heimischen Volksgruppen als Minderheiten: Das Wichtigste sei der Erhalt der Sprache. Der Bundespräsident äußerte etwa Genugtuung darüber, „dass der leidige Ortstafelstreit in Kärnten in den vergangenen Jahren bereinigt wurde“. Irritiert sei er, wenn man von „Kärntner Slowenen“ spreche, „ich rede lieber von slowenischsprachigen Kärntnern - oder kroatischsprachigen Burgenländern“. Van der Bellens Überzeugung: „Ohne diese Volksgruppen wäre Österreich jedenfalls ärmer.“
Link zum Interview mit Bundespräsident Van der Bellen
[hwinkler]