Kulturtag: Bewahrung des kulturellen Erbes ist Bewahrung der Schöpfung
"Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen" - P. Sandesh Manuel sang live und auf Video. (c) magdalena schauer
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Der Kulturtag 2019 feierte in doppelter Hinsicht eine Premiere: So war man aufgrund der immer größer werdenden Menge an ZuhörerInnen zum ersten Mal im großen Karl-Rahner-Saal im Kardinal-König-Haus. Und die Einleitung fand diesmal musikalisch statt: P. Sandesh Manuel stellte er, trotz gebrochener Hand, seine Version des Sonnengesangs des Franz von Assisi vor. Mit seiner Interpretation der franziskanischen Spiritualität lieferte er den perfekten Übergang zum ersten Vortrag.
Das Team des Kulturreferats (vlnr): Iris Forster, Irene Kubiska-Scharl und Referatsleiterin Karin Mayer am Kulturtag 2019. (c) magdalena schauer
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Gisela Fleckenstein: Einfach Leben: Franziskanische Spiritualität und kulturelles Erbe
Den Beginn am Vormittag macht Gisela Fleckenstein, die unter dem Titel "Einfach Leben" Gedanken zu "Franziskanische Spiritualität und kulturelles Erbe" präsentierte. Die gebürtige Ludwigshafenerin gehört dem Ordo Franciscanus Saecularis an und ist seit 2009 Archivarin am Landesarchiv Speyer. Die Historikerin und Germanistin hat zahlreiche Arbeiten zur Kirchen- und Ordensgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts veröffentlicht. Auf den ersten Blick scheint es so, dass Franziskus ein Faible für den Beruf des Archivars hatte. Denn sein Biograf Thomas von Thomas von Celano berichtete, dass der Ordensgründer jeden beschriebenen Zettel aufhob und in einem heiligen oder zumindest sauberen Ort aufbewahrte, weil es „könnte ja der Name des Herrn darauf geschrieben sein“. Für einen Archivar ein guter Anfang; doch für Franziskus ging es offensichtlich weniger um das Sammeln als um das Wort Gottes.
"Sind Archive heilige Orte?", fragte Gisela Fleckenstein in ihrem Vortrag. (c) magdalena schauer
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Ausgehend von franziskanischer Spiritualität stellt sich also die Frage: Wie geht der Orden mit seinem kulturellen Erbe um? In der Regel des heiligen Franziskus heißt es im 6. Kapitel: Die Brüder sollen sich nichts aneignen, weder Haus noch Ort noch sonst eine Sache. In den Ohren eines Archivars klingt das gar nicht gut, ein Archiv braucht einen Ort und Beständigkeit. Der Franziskanerorden unterscheidet sich von anderen, indem er Personenverbände bildet, die in Territorien organisiert sind und keine Verbindung an ein festes Haus besteht. Alle Ämter sind auf allen Ebenen zeitlich befristet. Das lässt erahnen, dass es das Zentralarchiv des Franziskanerordens nicht gibt.
Der Lebensstil der franziskanischen Gemeinschaften ist mit dem Stichwort „Einfachheit“ gut beschrieben. Einfachheit bedeutet Anspruchslosigkeit, und das deutet hin auf einen alternativen Lebensstil. Fleckenstein: „Man hält also eher vergeblich Ausschau nach Archiven, Bibliotheken und Sammlungen.“ Ein Blick in die derzeit aktuellen Generalkonstitutionen zeigt, das Archiv kommt überhaupt nicht vor. Fündig wird man erst in den Generalstatuten, Kapitel 26, das besagt, in jeder Provinz sei jemand zu bestimmen, der die Chronik führt und das Archiv, die Bibliothek und die Kunstwerke betreut. Eine Vernachlässigung zieht auch eine Bestrafung nach sich – vor allem, wenn ein Bruder Dokumente „versteckt, verschwinden oder vernichten“ lässt.
Im Gegensatz zu einer Diözese ist eine Ordensgemeinschaft nicht verpflichtete, ein historisches Archiv einzurichten. Also wie gehen Franziskaner mit ihren Archiven um? Franziskanische Quellen wurde im großen Stil erst vom Franziskus-Forscher Paul Sabatier (1858 – 1928) in verschiedenen Bibliotheken erst im ausgehenden 19. Jahrhundert systematisch gesucht, auch hin Hinblick auf seine große Franziskus-Biografie, die 1893 erschien.
Ganz geschichtslos waren die Brüder nicht. Erwähnt doch Ubertin von Casale (1259 - nach 1328) einen im Sacro convento in Assisi verwahrten Archivschrank, in dem ein schriftlicher Nachlass von Bruder Leo, einem ersten Gefährten von Franziskus, aufbewahrt wurde. Er nennt Buch, Zettel und Schriftrollen. Dort werden bis heute auch Schriften des Franziskus verwahrt; sie haben allerdings den Charakter einer Reliquie.
Es gab allerdings auch historisch interessierte Brüder, wie z.B. den Iren Luke Wadding (1588-1657), der biografisches Material zu Franziskus sammelte und dessen Archiv sich heute in der Bibliothek des irischen Klosters San Isidoro in Rom befindet und noch immer nicht vollständig erschlossen ist.
Auf der Ebene von Generalaten von Franziskanern, Minoriten, Kapuzinern und den Brüdern des dritten regulierten Ordens, die sich alle in Rom befinden, gibt es jeweils ein Archiv. In Deutschland gibt es ein Provinzarchiv der Franziskaner, der Minoriten und der Kapuziner.
Um den Umgang mit Archiven deutlich zu machen, dient Fleckenstein als Detailbeispiel die deutsche Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth, die 2010 aus einer Fusion von vier Provinzen mit jeweiligen Archiven entstand. Für den Kooperationsrates stand eher die Zusammenlegung der Bibliotheken im Vordergrund; die Archive wurden eher beiläufig behandelt. Eine Arbeitsgruppe entwickelte 2007 dafür Konzepte – allerdings wenig konkret. Im Herbst 2007 wurde schließlich eine Arbeitsgruppe „Kulturelles Erbe“ eingesetzt, die allerdings eher zweitrangig unter dem Spitznamen „Kunst und Krempel“ lief; sinnigerweise war in der ARGE nur ein Provinzarchivar vertreten. Eine Überlegung war, ein Zentralarchiv für alle Franziskanischen Gemeinschaften in Fulda zu schaffen, doch dieser Gedanke wurde wieder verworfen.
Letztendlich ging es darum, die eigene Identität zu bewahren und die eigene Selbstständigkeit. Orden, die ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Staat bewahren möchten, müssen auch eigenständig Archive verwahren. Ein Archiv kann also nicht aus Privatinteresse von einigen historisch interessierten Brüdern bestehen, sondern um das Ganze. 2010 war trotz Zusammenschluss noch keine Entscheidung über die Archive gefallen. Letztendlich entschied man sich für den Standort Paderborn. Ein Untergeschoss des dortigen Klosters wurde zu einem professionellen Archiv umgebaut; 2013 war es nach achtjähriger Bauzeit eingerichtet – eine mutige und vorbildliche Lösung der deutschen Franziskanerprovinz. „Doch im Entstehungsprozess wurde sehr deutlich: Archive stehen nicht im Mittelpunkt franziskanischen Wirkens“, brachte es Gisela Fleckenstein auf den Punkt. Und weiter: „Sie sind im Grunde genommen Ballast.“
Bewahrung von kulturellem Erbe bedeutet Bewahrung der Schöpfung
Franz von Assisi hat immer vor Besitz gewarnt, er verhindert die vom Orden geforderte Flexibilität. Doch Besitz lässt sich für einen Orden nicht vermeiden. Archive und Bibliotheken wurden in das Umfeld „Kulturelles Erbe“ gesetzt. In der Einleitung von Laudato si schreibt Papst Franziskus über den Heiligen, dessen Namen er trägt, dass er in wunderbarer Harmonie mit Gott und mit den anderen und mit sich selbst lebte. Und Papst Franziskus schreibt weiter: Neben dem natürlichen gibt es auch ein historisches, künstlerisches und kulturelles Erbe, das gleichfalls bedroht ist. Letztendlich bedeute eine Pflege der Ökologie auch eine Pflege der kulturellen Reichtümer voraus. Gemäß Laudato si ist kulturelles Erbe Teil der Schöpfung. Die Bewahrung der Schöpfung gehört zur Spiritualität der Franziskaner; Es gehört zum Einfach leben einfach dazu. Folglich müssen sie ihr kulturelles Erbe bewahren und auch zur Verfügung stellen. „Kulturelles Erbe ist Teil der Schöpfung und nicht Ballast“, so die Archivarin.
Noch einmal zitierte sie den Franziskus-Biografen Thomas von Celano: Der Ordensgründer hob jeden beschriebenen Zettel auf und legte in an einen heiligen Ort. „Jetzt stellt sich die Frage: Sind Archive heilige Orte“, schloss Gisela Fleckenstein ihren Vortrag mit einem Augenzwicken.
Leo Zogmayer: Einfach gestalten: Ästhetik der Reduktion in Kunst und Spiritualität
Leo Zogmeyer, Bildender Künstler, Maler, Grafiker, gestaltet Kunst im öffentlichen Raum, vor allem aber liturgischer Räume. Er stellt in seinem Vortrag die Frage, was eigentlich Reduktion sei. Für ihn gehe es im Wesentlichen um die Reduktion von Bildern, damit „uns die Bilder, die Modelle, die Muster nicht zu sehr übernehmen“. Wir können ja die Wirklichkeit als solches nicht reduzieren. Weniger ist mehr sei ein weiser Satz. Ein Weniger an Bild kann ein Mehr an Realität bedeuten. Auch weil es in der Bibel heißt: Du sollst dir kein Bildnis machen.
"Wir brauchen Leere, damit Fülle auftreten kann" - Leo Zogmayer am Kulturtag 2019. (c) magdalena schauer
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Deshalb bräuchten wir auch die Leere, damit die Fülle auftreten kann. Im Kirchenraum spreche er daher gerne von einer Predigt des Raumes und der Formen.
In der Liturgie ist die Reduktion sehr wichtig; in der Liturgie gehe es um das Feiern und nicht so sehr um das Inszenieren. Wenn die Inszenierung nicht von der Feier getragen ist, dann „ist sie eher Propagandamethode“, so der Künstler. „Und sie wird uns in der Tiefe nicht erreichen.“
Diese Tiefe suche er auch in der Gestaltung seiner liturgischen Räume. „Reduktion führt zur Präsenz, sonst ist es auch nur ein Vokabel unter anderen.“ Und weiter: „Die Tradition ist wertvoll. Auch auf die Rubriken kann man nicht einfach verzichten. Doch das Tragende dabei ist derjenige, der das macht, und all die, die hier versammelt sind, dass sie wirklich hier sind. Um gar nicht anderes geht es in meiner Arbeit, wenn ich einen liturgischen Raum gestalte.“
Joachim Huber: Einfach Bewahren: Haben oder Sein? Von Klimawandel, Sammelwut und der Suche nach Identität
Joachim Huber, Museumsplaner und Kunsthistoriker aus der Schweiz, stellte gleich zu Beginn seines Vortrags eine provokante Frage: Die Mona Lisa ist unbestreitbar eines der schönsten Kunstwerke der Welt. Aber ist sie wirklich identitätsstiftend? Und muss man sie wirklich im Original gesehen haben?
Huber nannte einige Zahlen und Fakten: Pro Jahr seien rund 1,4 Mrd. Touristen auf der ganzen Welt unterwegs. Jede Schweizerin und jeder Schweizer kämen durchschnittlich auf rund 10.000 Flugkilometer. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre habe mittlerweile historischen Höchsttand erreicht.
"Wir übernutzen unsere Kulturgüter!", so die provokante These von Joachim Huber. (c) magdalena schauer
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Was hat das alles nun mit Sammlungen, Museen und Archiven zu tun? Ganz einfach: Die Klimakrise macht auch vor ihnen nicht halt. Und zeige vehemente Auswirkungen. Das Bewahren und Konservieren von Kulturgütern wird immer schwieriger; Schäden durch Insekten, durch Schimmelbefall, durch Katastrophen werden immer häufiger. „Unsere Reaktion? Wir stecken den Kopf in den Sand“, so das Fazit des Museumsplaners. Und bringt auch ein Beispiel: Ägypten baut derzeit ein Nationalmuseum, das rund eine Mrd. Euro kostet. Finanziert wird dies mit Krediten aus dem Ausland; damit es sich rentiert, braucht es jährlich acht Mio. BesucherInnen. Ist das sinnvoll? Oder nachhaltig?
Letztendlich „übernutzen wir unsere Kulturgüter“, bringt es Huber auf den Punkt. „Wir sammeln – von allem zu viel!“ Letztendlich muss man sich die Frage stellen: Muss man wirklich alles sammeln? Doppelt und dreifach?
Ein Umdenken muss stattfinden. Die Frage lautet: Was müssen wir tun, damit in 100 Jahren noch relevante Substanz zum Sammeln erhalten bleibt? Huber: „Besser weniger aufbewahren, aber dafür richtig.“ Museen sollten sich absprechen, über ihre eigenen Interessen hinaus. „Es muss nicht im Umkreis von 500 Kilometern zwei Schreibmaschinenmuseen geben“, formulierte es Huber ein wenig ironisch. „Und wenn es sie gibt, muss man beide besucht haben?“
Hubers Fazit: Was es in Zukunft brauche, sei Mut zur Bescheidenheit, denn weniger ist mehr. Es brauche Mut zur Lücke und noch mehr Mut zur Reduktion und zur Qualität statt Quantität. Denn: „Es liegt an uns zu handeln. Nicht entscheiden ist keine Option.“
Der Kulturtag 2019 fand erstmals im Karl-Rahner-Saal statt. (c) magdalena schauer
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Andreas Gamerith: Einfach Vermitteln: Kunst- und Kulturvermittlung auf Augenhöhe
Museum versus Kloster … „Ist das Schloss noch bewohnbar?“, fragte Andreas Gamerith, Bibliothekar und Archivar in Stift Zwettl, ein wenig ironisch zu Beginn seines Vortrages. Natürlich kämen die BesucherInnen ins Stift, weil sie besichtigen wollen – und darauf müsse man sich einstellen.
Eine Analyse der Gäste zeigt, dass viele einen religiösen, katholischen, Hintergrund haben und das Kloster als Ort des Rückzuges sehen. Viele Gäste jedoch haben keinen religiösen Hintergrund mehr; die meisten agieren bei ihrem Besuch durchaus mit Respekt; dennoch kann es hier manchmal zu Konflikten kommen. Dennoch: „Nie kann es bei uns Touristen geben“, brachte es Andreas Gamerith auf den Punkt. „Aus welchen Motiven heute Menschen ein Kloster besuchen, sie sind stetes jene Gäste, von denen der heilige Benedikt in den Anfangszeiten des Mönchtums spricht. Auch wenn sie nicht einzeln empfangen werden können, muss das Prinzip bewahrt bleiben, von dem er im 53. Kapitel spricht: Wie Christus sollen die Fremden aufgenommen werden.“
Das Prinzip des Gesehen-werdens, des Besichtig-werdens natürlich den Klöstern immanent ist, gerade den historisch sehr alten. Und hier zeigt sich oft in der Architektur, es wurde nicht nur an die Funktionalität, sondern auch an ein Publikum gedacht; das gilt sehr oft auch für viele Bibliotheken und Sammlungsbeständen. Kunstwerke im klösterlichen Umfeld können daher auf eine wesentlich konstantere Beachtung zurückblicken.
Präsentation als Grundlage der Vermittlung
Genügte es früher, ein Zimmer voll mit Kunstgegenständen und Raritäten vollzustopfen und dann ein Museumsschild an den Eingang zu hängen, so funktioniert das heute nicht mehr. Die Präsentation von Objekten ist eine der wesentlichsten Möglichkeiten, den verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden: Den Ansprüchen der Gäste, die natürlich neugierig und vor allem dankbar sind für die Erklärungen, die sie erhalten. Hier müsse man auf Augenhöhe bleiben.
Aber auch den Ansprüchen der Objekte sollte Gerechtigkeit widerfahren und das Ende ihre Würde als Kultgegenstand bedeuten. Denn letztendlich sollte ein Kloster nicht ein bloßes Museum reduziert und abgetan werden. Gameriths Rat: „Machen Sie nichts, womit Sie sich nicht identifizieren können.“ Gäste sollen durchaus die Möglichkeit geschenkt bekommen, die Besonderheit eines Klosters zu erleben. Eines sei unabdingbar: Besucherinnen und Besuchern muss man liebevoll begegnen. „Ein wenig wird man Engelsgeduld benötigen, um Fragen zu beantworten, die einem selbst selbstverständlich erscheinen, wo sie es doch gar nicht sind“, so Andreas Gamerith. Und erinnerte zum Schluss daran: „Übertreiben Sie es nicht mit dem Angel-sein und erinnern Sie sich an die Augenhöhe. Dennoch, auch das darf man ein wenig sein: Ein Engel der Verkündigung.“
[rsonnleitner]