"Wir brauchen einander, um Kirche zu sein"
Von o. n. u. : Prof. Roman Siebenrock, Sr. Katharina Kluitmann, Sr. Nicole Grochowina und Herbert Lauenroth waren die Referenten der Ottmaringer Tage 2020. (c) OT
Seit einigen Jahren sind die „Ottmaringer Tage“ ein fester Termin im Kalender vieler Ordensgemeinschaften, auch dieses Jahr haben sich viele nicht durch die virtuelle Welt abhalten lassen: Etwa 150 Ordenschristen und Mitglieder geistlicher Gemeinschaften aus 10 verschiedenen Ländern – von Norwegen bis Südafrika – aus mehr als 35 teils konfessionell verschiedenen Gemeinschaften waren am 7. Juli über Video-Konferenzschaltung miteinander verbunden und konnten am bunten Programm teilnehmen.
Prophetie und Provokation
Kardinal João Braz de Aviz, Präfekt der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen Lebens, drückte seine persönlichen Grüße in einem lebendigen, sehr persönlichen Video-Interview aus. Die Ordenschristen stünden laut Papst Franziskus für Prophetie und Provokation und diese Erfahrung wünsche er den Anwesenden und freue sich, wenn sie so ein Zeugnis für eine Kirche würden, die auf Gemeinschaft ausgerichtet ist.
"Propheten der Nacht"
Die Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz, Sr. Katharina Kluitmann OSF, begann ihren Vortrag mit einem Gedicht der jüdischen Schriftstellerin Nelly Sachs, die wie Kardinal João Braz de Aviz von Propheten spricht, die „einbrechen durch Türen der Nacht“. Auf die heutige Zeit bezogen sieht Sr. Katharina diese Propheten in den Geflüchteten und Missbrauchten, in den Vergessenen und Unterdrückten - bei und mit ihnen muss der Auftrag der Ordenschristen wieder sichtbar werden. Ein abschließender Appell: „Wir brauchen einander, um Kirche zu sein als Gemeinschaft. Die alten und neuen Charismen, die vielen Kirchen, sie brauchen einander, um sich zu ermutigen und aufzurütteln, sich anzustacheln und weiterzutreiben“.
Ein Teil der 150 TeilnehmerInnen der Online-Tagung. (c) OT
Vom Trennenden zum Gemeinsamen
Prof. Roman Siebenrock aus Innsbruck wünschte sich „dass sich Kirche durch und durch auf Menschen einlässt und neue Formen von Gemeinschaften stiftet. Die Weise, wie wir Menschen begegnen, ist das erste Zeichen des Evangeliums“. Prägend sei für ihn die Einladung gewesen, bereit zu sein, „meinen Gott für den Gott im anderen zu verlieren“. Es ginge darum, „meine Überzeugungen hintanzustellen, um die Wahrheit, den Gott im anderen zu erkennen und zu würdigen“. In einer solchen Bereitschaft kann das Trennende zum Gemeinsamen werden.
Kultur der Gegenseitigkeit
Kulturwissenschaftler Herbert Lauenroth aus Ottmaring zeigte verschiedene Dimensionen von Kirche auf: Sie müsse sich rückbesinnen auf die Kraft des Ursakraments und sich bewusst werden, dass Minderheiten besonders schöpferisch sein könnten. Kirche solle sich durch Solidarität mit den Schwachen und Ausgegrenzten auszeichnen, mobil sein, das heißt innerlich in Bewegung bleiben und auch neue unbekannte Wege gehen. Lauenroth wünscht sich eine missionarische Kirche, die „resonanzfähig ist für die Stimme Gottes, die in den anderen spricht“. Kirche solle fähig werden, eine „Kultur der Gegenseitigkeit entstehen zu lassen“.
Kirche vom Wesen nach Gemeinschaft
Sr. Nicole Grochowina, evangelische Ordenschristin der Christusbruderschaft Selbitz und engagiert im Leitungskreis der ökumenischen Initiative „Miteinander für Europa“, brachte eine weitere Charakteristik von Kirche ein: Sie sei dem Wesen nach gemäß Martin Luther eine priesterliche Kirche – keine klerikale Kirche, sondern eine Gemeinschaft, in der Jesus alle Glaubenden an seiner Herrlichkeit teilhaben lasse. Die Taufe begründe die Gleichheit aller und statte alle mit gleicher Würde aus. „Das bedeutet, nie auszuschließen, dass auch im Gegenüber Christus lebendig und erfahrbar ist“. Das sei ein tragfähiges Fundament für eine zukunftsfähige Ökumene und schaffe eine neue Art von Gemeinschaft, die niemanden ausgrenzt.
"Jetzt ist die Zeit"
Einig waren sich die Vortragenden in der Schlussrunde, dass die Zeit des Wartens vorbei sei und jetzt die Zeit ist, sich in Bewegung zu setzen. „Wenn wir nicht bereit sind, einfach anzufangen, dann kommt nichts in Bewegung. Es braucht den ersten Schritt“, ist Herbert Lauenroth überzeugt. Ähnlich Sr. Nicole Grochowina : „Wir müssen nicht mehr warten! Die Kirchenaustrittszahlen zeigen uns, dass wir immer mehr zur Minderheit werden. Institutionen haben keine Ewigkeitsperspektive, sie stehen für das „Vorletzte“, aber wenn sich das Vorletzte auflöst, scheint das Letzte auf!“
Sr. Katharina Kluitmann zog zuversichtlich Bilanz: „Ich will nicht mehr warten! Aber wenn wir auf das schauen, was wir hier bereits miteinander leben, müssen wir vielleicht nicht mehr warten auf die Fülle… Wir leben diese neue Art von Kirche doch bereits.“
[elisabeth mayr]