Versöhnung ist ein mutiger Prozess
An die 40 Oberinnen sind zur jährlichen Tagung unter den geltenden Bestimmungen zu COVID-19 zusammengekommen. (c) Gsellmann
Sr. Consolata Supper SDR aus dem Leitungsteam begrüßte die anwesenden Oberinnen der weiblichen Ordensgemeinschaften aus Wien und dem Burgenland am 16. Oktober 2020 - selbstverständlich unter den geltenden Covid-19-Bestimmungen - im Kardinal König Haus. Sr. Consolata stellte Dr. Christian Wlaschütz als ersten Referenten der Tagung vor. Der Politikwissenschaftler und Mediator lebte lange Zeit in Kolumbien und ist derzeit im Bereich der Ordensentwicklung als Lehrender an der Universität Wien und selbstständiger Mediator tätig.
Im Jahr 2006 kam Wlaschütz für eine den Jesuiten nahe Organisation nach Kolumbien. Eine der Konfliktparteien legte damals gerade ihre Waffen nieder. „Und nachdem diese Menschen nach Hause gegangen sind, lebten plötzlich Opfer und Täter wieder Tür an Tür.“, erzählt Wlaschütz. Der natürliche, menschliche Impuls sei verständlicherweise „Rache“. Versöhnung als ersten Impuls könnten nur spirituelle Meister empfinden. Der Prozess der Versöhnung habe an sich eine echte spirituelle Dimension, weil es in jedem politischen und auch mit militärischen Mitteln geführten Konflikt die Überzeugung brauche, aus der Spirale der Rache und Vergeltung auszusteigen. Auf gesellschaftlicher Ebene funktioniere Versöhnung nicht, wenn diese nicht im Glauben an Veränderung wurzle. Versöhnungsprozesse, auch in bewaffneten Konflikten, seien spirituelle Prozesse, wie man sich der Welt gegenüber positioniert.
Ein wesentlicher Bestandteil der Oberinnentagung ist der persönliche Austausch. (c) Gsellmann
Vergebung ist ein Geschenk
Wlaschütz weist auf die etymologischen Unterschiede zwischen dem deutschen „Versöhnung“ und dem spanischen „Reconciliación“ hin. Im deutschen Wort ist „Sühne“ enthalten, während das spanische Wort „wieder zusammenkommen“ bedeutet. Den Abschluss des ersten Impulses bildete die Bibelstelle aus dem Buch Ezechiel 33,10-20. Wlaschütz: „Es ist kein unveränderliches Schicksal, ob man gerecht ist oder nicht. Recht und Gerechtigkeit sind immer im Fluss genauso wie die Veränderung des eigenen Weges nicht selbstverständlich ist.“
Vergebung – lateinisch „per donare“ - sei letztlich ein Geschenk an den anderen, an Gott und an sich selbst. Es bleibe, das Geschenk der Versöhnung anzunehmen und zu leben.
Der Prozess der Versöhnung
In einem ersten Workshop erarbeitete Wlaschütz den Prozess der Versöhnung. Ausgehend von der Gewissenserforschung kommt man zu Einsicht und Reue, zum Bekenntnis und schließlich zur Vergebung. „Vergebung ist das letzte Eizerl“, so Wlaschütz. Nicht immer sei eine vollkommene Zielerreichung bei der Vergebung geboten. „Der Wert liegt in jeder Etappe: Wenn wir uns darauf einigen, nicht mehr zu schießen - zum Beispiel.“ Die letzte Etappe im Prozess sei die Wiedergutmachung, die schon mit dem Versprechen beginne, keinen neuen Anlass zum Konflikt zu bieten.
"Alles was ich über Konflikte in Kolumbien erzähle, können sie wahrscheinlich mit ihrer Ordensgemeinschaft vergleichen - natürlich mit anderen Mitteln", meinte Dr. Christian Wlaschütz und sorgte dabei für Schmunzeln. (c) Gsellmann
„Bitte um Entschuldigung“
Wlaschütz, der den Prozess der Versöhnung auch aus juristischer Sicht vorstellte, weist im Kontext der Wiedergutmachung auf die Wichtigkeit ernst gemeinter Entschuldigung hin. Im politischen Kontext falle oft die hohle Entschuldigung: „Es tut mir leid, wenn Sie sich verletzt fühlen“. Das sei kein Schuldeingeständnis und verwehre einen „Versöhnungsprozess im Kleinen“.
In Kleingruppen erfolgte ein Austausch über die eigenen Erfahrungen der Oberinnen mit Versöhnungsprozessen. Wlaschütz: „Die Enttabuisierung von Schuld ist ganz wichtig und gehört zum Beziehungsgeschehen.“ Die Räume, die so für gewaltfreie Kommunikation entstehen, entbehren bewusst jedem Perfektionismus. Im kirchlichen Kontext ist dieser oft mit einer Konfliktscheue verbunden, der meist durch einen „Friedfertigungsdruck“ begründet ist.
Die Kleingruppen, die sich auch noch nach dem Abendessen intensiv über ihre eigenen Erfahrungen austauschten, besprachen Themen wie Kommunikation – man spreche viel übereinander aber wenig miteinander – und auch den Umgang mit Macht. Der Versöhnungsprozess richte sich zuerst auch an sich selbst, um sich mit der eigenen Geschichte zu versöhnen. Dabei ist es in Gemeinschaften immer schwierig, sich dafür selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Wlaschütz: „Man muss es sich wert sein, an sich und der Beziehung zu anderen zu arbeiten. Das erfordert Mut. Versöhnungsprozesse erfordern Mut.“
Die rund 40 Oberinnen beendeten den ersten Tag mit einem Abendlob. Am Samstag standen Arbeitseinheiten mit dem Referenten Radoslaw Celewicz und abschließend der Gottesdienst mit dem Vorsitzenden der Ordenskonferenz der Erzdiözese Wien und der Diözese Eisenstadt, Hochmeister P. Frank Bayard OT, am Programm.
[martin gsellmann]