Sr. Juliana Seelmann: "Ich konnte nicht anders"
Sr. Juliana Seelmann: "Ich konnte nicht anders." (c) Anja Mayer
Die 38-jährige Ordensfrau Juliana Seelmann hatte im Kloster der Oberzeller Franziskanerinnen zwei Frauen aus Nigeria für zwei beziehungsweise vier Monate aufgenommen, als diese nach Italien abgeschoben werden sollten. Zum Prozess kam es, weil Seelmann einen Strafbefehl über 1.200 Euro nicht akzeptiert hatte. Ursprünglich standen die Fälle beider Frauen zur Anklage. Ein Fall wurde vorläufig eingestellt.
Schuldspruch wegen "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt"
Beim zweiten Fall ist Sr. Juliana nun wegen Gewährung von Kirchenasyl am 02. Juni schuldig gesprochen worden. Das Amtsgericht Würzburg sah es als erwiesen an, dass sie einer Nigerianerin "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" gewährt habe. Der Richter sprach eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren. Dies betrifft die Geldstrafe von 30 Tagessätzen je 20 Euro. Außerdem muss die Ordensfrau 500 Euro an eine soziale Einrichtung zahlen. "Wir leben in einer Demokratie, nicht in einem Gottesstaat. Offener Rechtsbruch, der nicht entschuldigt werden kann", sagte Richter Rene Uehlin bei der Urteilsverkündung.
Nach dem Schuldspruch war die Ordensfrau in einer ersten Stellungnahme sichtlich enttäuscht: "Das muss ich erst mal setzen lassen."
Vor Gericht erklärte Sr. Juliana, dass sie nicht anders hätte handeln können, als Kirchenasyl zu gewähren. Den beiden Nigerianerinnen hätte bei einer Rückführung erneut Zwangsprostitution gedroht. Sie habe aufgrund ihres Glaubens und Gewissens gehandelt. Mit Verweis auf das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit in Artikel 4 Grundgesetz hatte ihr Anwalt einen Freispruch gefordert, der nicht kam.
Kirchenasyl: Viele Anfragen
Sr. Juliana Seelmann über "Kirchenasyl". (c) Oberzell/Anja Mayer
Das Kloster Oberzell erhält viele Anfragen zu Kirchenasyl, dieses werde aber nur schwerwiegenden Härtefällen vergeben. "Kirchenasyl ist für mich immer eine Ultima-Ratio-Entscheidung, das letzte Mittel, wenn nichts anderes mehr geht", betont Sr. Juliana in einem Videostatement.
Mit einem Vorurteil räumt Sr. Juliana noch auf: "Im Kirchenasyl werde niemand geheim versteckt gehalten. Im Gegenteil: Alle Behörden wussten zu jeder Zeit, wo sich die Frauen aufhalten."
Zwei Schicksale, die berühren
Sr. Juliana ist für zwei Frauen eingetreten, die sich nach ihrer Flucht in Deutschland ein Leben ohne Angst und Gewalt erhofften. Eine der beiden wurde von der eigenen Mutter weil Geld gebraucht wurde mit 15 Jahren in die Zwangsprostitution verkauft und kam unter die Hände einer sogenannten "Madame" (Zuhälterin), zuerst in Libyen, später in Italien. Die Zuhälterin versprach ihr "Bildung", stattdessen gab es Gewalt und viele Übergriffe - Trommelfellschäden von den Schlägen ins Gesicht konnten erst in Deutschland behandelt werden. "I have been a sex toy all my life. No human being", sagt die heute 23-Jährige. Durch das beherzte Eingreifen des Klosters hat sie eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung erhalten und lebt wieder in der Asylunterkunft.
Die zweite Frau erlitt ein ähnliches Schicksal, auch sie landete in Italien in der Zwangsprostitution, wurde eingesperrt, um ihre Schulden begleichen zu können. 2015 erfuhr sie, dass sie HIV-positiv ist, vermutlich durch einen Freier. Die heute 34-Jährige braucht dadurch regelmäßig ärztliche Kontrollen. Auch sie lebt wieder in der Asylunterkunft und hofft darauf, in Deutschland bleiben zu können.
Solwodi bat das Kloster um Hilfe
Dass die beiden Frauen bei Sr. Juliana landeten ist dem Verein SOLWODI zu verdanken, die das Kloster Oberzell um Kirchenasyl baten. Durch die Dubliner Verordnung hätte Deutschland kein Asylverfahren eingeleitet, sondern die beiden Frauen nach Italien zurückgeschickt. Dort wären sie mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in der Zwangsprostituion gelandet - vor allem, da auch die Perspektive und Unterstützung, die sie in Deutschland erfahren haben, fehlen würde.
Oberin "peinlich berührt"
Nach dem Schuldspruch zeigte sich auch Schwester Katharina Ganz, Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, ob des "Gottesstaat"-Sagers des Richters irritiert. Dieser habe sie "peinlich berührt". Es bleibe die Frage, in welchem Verhältnis das Rechtsstaatsprinzip zu den Grundrechten stehe, speziell zur Glaubens- und Gewissensfreiheit. "Wenn wir ja ein Grundgesetz haben, dass in der Präambel sehr wohl auch den Gottesbegriff führt: Die Menschenwürde ist allem staatlichen Handeln vorgeordnet."
Nun wird die schriftliche Urteilsbegründung des Richters abgewartet, wofür der Richter fünf Wochen ab Urteilsverkündung Zeit hat, erst dann werden Staatsanwaltschaft und Sr. Juliana mit ihrem Anwalt entscheiden, ob Berufung oder Revision eingelegt wird.
[elisabeth mayr]