Mit Chirurgennadel und Seidenfaden
Keine Nummer zu groß: Frater Raphael Philipp beschäftigt sich gerne mit historischen kirchlichen Paramenten, wie hier beim Einsortieren in die Schränke im Stift Kremsmünster. (c) Privat
Im Meidlinger Hof, mitten in der Schlossanlage Schönbrunn, liegt das Atelier für Textilrestaurierung von Hilde Neugebauer. Dort lief im Juli ein Projekt, initiiert von Karin Mayer, Leiterin des Bereichs Kultur und Dokumentation, sowie Werkstatt-Leiterin Hilde Neugebauer und ihrer Mitarbeiterin Silvia Zechmeister-Mittermaier: In einem dreiwöchigen "Textilrestaurierungspraktikum" sollten dem 21-jährigen Frater Raphael Philipp aus dem Stift Kremsmünster Wissen und Praxis über den Umgang mit historischen Paramenten, wie die historischen liturgischen Gewänder genannt werden, vermittelt werden. Das Medienbüro war mit Karin Mayer auf "Lokalaugenschein".
Messgewand und Stoffschuhe
Beim Betreten der Werkstatt erwartete uns ein heller Raum mit vielen Tischen, auf denen weiße „Tyvek“-Tücher ihre wertvolle Fracht schützten: Teppiche aus dem 19. Jahrhundert, Jugendstil-Tapisserien etc. Dazwischen ein farbenprächtiges Messgewand von 1870, aus dem Stift Kremsmünster. Das Seidenfutter des schweren, mit Goldfäden gewebten Brokatstoffes war beschädigt. Es wurde, gemeinsam mit einem Paar Stoffschuhen, das um 1711 unter Abt Alexander Strasser (reg. 1709-1731) angeschafft wurde und Lagerschäden aufwies, als Praktikumsprojekt für Frater Raphael ausgewählt.
Das Praktikumsprojekt: Eine magentafarbene, goldbestickte Kasel aus dem 19. Jahrhundert. (c) Elisabeth Mayr
Was so einfach klingt, ist ungewöhnlich, da Praktikanten selten aus dem kirchlichen Kontext kommen, meistens sind es Studentinnen, die in den Beruf als Restauratorin einsteigen wollen. Für Frater Raphael geht damit ein Wunsch in Erfüllung, beschäftigt er sich doch schon seit über einem Jahr intensiv mit kirchlichen Paramenten.
Ein ungewöhnliches Projekt
Ein Rückblick auf den Frühjahr 2020. Wir befinden uns mitten im Corona-Lockdown. Das öffentliche Leben in Österreich kommt zum Stillstand. Im Fernsehen verkünden Kurz, Anschober und Nehammer nahezu täglich neue Einschränkungen. Im Stift Kremsmünster sind die Mönche auf sich gestellt und erledigten auch die Mesner-Arbeiten selbst.
Frater Raphael half etwa dabei, Messkleider und Ornate herauszusuchen und aufzulegen. Immer wieder kam er mit historischen Stoffen in Berührung und erlebte die Besonderheiten, mit der sie gelagert wurden – etwa in meterlangen Schubladen oder hängend in aufwendig gearbeiteten Schränken aus dem 17. Jahrhundert. Sein Interesse war geweckt.
Kurzerhand fragte er beim Kustos nach, ob es Informationen über die Paramente gibt. Die Antwort war ein handgeschriebenes, 500 Seiten starkes Verzeichnis von 1951. Frater Raphael: „Zu meiner Überraschung konnte ich schnell erkennen, was in diesem 70 Jahre alten Inventar stand: das könnte dieser Ornat sein, das könnte jene Kasel sein. Das war natürlich ein erster Erfolg, denn es war allgemein auch nicht bekannt, was wir wirklich an Paramentenschätzen haben: Ein sehr großer Teil stammt aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Der nächste Gedanke war dann, diese wertvollen Informationen zeitgemäßer, nämlich digital, festzuhalten.“
Das Team: Von der Werkstatt Silvia Zechmeister-Mittermaier (links) und Leiterin Hilde Neugebauer (rechts). In der Mitte Praktikant Frater Raphael. (c) Elisabeth Mayr
Frater Raphael legte in Absprache mit dem Kirchenrektor eine Datei an und begann damit, alle Informationen zu den großen Ornaten (zusammengehörige Gewändereinheiten) zu digitalisieren. Doch schon bald tauchten erste Unstimmigkeiten im Inventar von 1951 auf: Es waren nicht alle angegebenen Informationen mit Quellen belegt, und manchmal waren es nur Thesen. Er musste auf ältere Inventare aus dem 17. und 18. Jahrhundert ausweichen, diese waren vollständiger, jedoch in Kurrentschrift. Dies war zwar zunächst eine Herausforderung, aber so gelang es ihm nach und nach die Informationen zu den Ornaten zu vervollständigen.
Unbegründete Skepsis
Stich für Stich wächst die Kasel wieder zusammen. (c) privat
„Ich muss ehrlich sagen, so schön und faszinierend ich die Paramente fand, zu Beginn war ich auch skeptisch. Bevor ich nach Kremsmünster kam, hatte ich wenig Kontakt mit solchen wertvollen Gewändern. Zu Beginn fiel es mir sehr schwer nachzuvollziehen, warum die Äbte in der Barockzeit solche Gewänder anschafften. Doch zum einen faszinierten mich die Objekte immer mehr, je näher ich hinschaute und zum anderen erkannte ich immer mehr, dass die Textilien eben historisch sind, wodurch sie nochmal eine ganz andere Art von Wert bekommen.
Gleichzeitig erzählen viel über die Zeit, aus der sie kommen und über den Ort, an dem sie mehrere Jahrhunderte getragen wurden. Gerade als Benediktinermönche, die wir das Gelübde der Ortsgebundenen „stabilitas“ ablegen, ist das auch sehr bewegend immer mehr über den Ort zu erfahren, an dem man täglich lebt. Besonders bei Objekten, die so eng in Verbindung mit unserem Gebet und der Liturgie stehen. Je mehr man schließlich über ein Objekt erfährt, umso mehr kann man nur staunen.“ Und die Begeisterung ist da, ihre Geschichte auch den nächsten Generationen erzählen zu lassen. Das älteste datierbare liturgische Kleidungsstück aus dem Stift Kremsmünster ist übrigens eine Mitra aus dem Jahr 1616.
Je länger er sich mit den Paramenten beschäftigte, desto zweitrangiger wurden Digitalisierung und Inventarisierung. „Es kam der Moment, in dem mich die Stoffe und Kleidung an sich interessierten und ihr historischer Kontext. Meine Oma war Schneidermeisterin, die Faszination mit Stoffen dürfte ich wohl auch von ihr haben", erklärt er. Diese Faszination und Neugier führten ihn schließlich auch in die Werkstatt nach Wien.
Frater Raphael zeigt die zarte Chirurgennadel, mit der er das Futter annäht, um den historischen Stoff so wenig wie möglich zu belasten. (c) Elisabeth Mayr
Mit Chirurgennadel und Seidenfaden
Während des Praktikums lernte der junge Benediktiner viel über historische Stoffe und Nähtechniken. Da er sich als talentierte Näher herausstellte, durfte er selber zu Nadel und Faden greifen und Stich für Stich das neue lila Seidenfutter annähen. „Dazu braucht man neben einer ruhigen Hand einfach viel Geduld“, so Silvia Zechmeister-Mittermaier, die ihm beim Nähen über die Schultern schaute.
Frater Raphael zeigte uns die Nähnadel, eine feine, gebogene Nadel, die auch in der Darm-Chirurgie Verwendung findet. „Die Rundung ist wichtig, weil man beim Nähen nicht komplett durchstechen darf“, erklärte Frau Zechmeister-Mittermaier.
Das zweite Projekt: Die Stoffschuhe wurden gründlich und sorgsam gereinigt und für einen besseren Halt ausstaffiert. (c) Elisabeth Mayr
Auch der verwendete Faden war ungewöhnlich. Frater Raphael nähte mit einem Seidenfaden, der in der Werkstatt im richtigen Farbton eingefärbt wurde. Und auch der neue Futterstoff, der nun den beschädigten originalen Futterstoff schützen wird, musste im richtigen Farbton und der geeigneten Qualität gefunden werden. Man muss in der Textilrestaurierung möglichst nichts am Original verändern, erklärte uns Frau Neugebauer: „Das Ziel ist immer, den Originalzustand zu erhalten, ohne diesen zu beschädigen oder irreversibel zu verändern."
Eine Faszination für viele weitere Jahre bewahren
Nach seinem Praktikum ist Frater Raphael gewappnet mit neuem Wissen in das Stift Kremsmünster zurückgekehrt. Auch das digitale Inventar wird sich weiter füllen mit immer genaueren Informationen, um ein lückenloses stoffliches Zeugnis über die Vergangenheit geben zu können.
Die Arbeitsgeräte eines Textilrestaurators: Stoffreste, Fäden in verschiedenen Rot- und Goldtönen, Handschuhe und ein Lineal. (c) Elisabeth Mayr
„Ich habe nicht vor, nach meiner Rückkehr eine ganze Kasel selber zu restaurieren“, schmunzelte Fr. Raphael, „aber der Prozess, wie alte Messkleider angefertigt wurden, wie lange man dazu brauchte und wie wertvoll die Stoffe damals waren, war interessant zu sehen." Er sehe nun die Ornate im Stift mit völlig anderen Augen, erkenne ihren damaligen und auch heutigen Wert. Außerdem wisse er jetzt, wie er die kirchlichen liturgischen Gewänder richtig lagere, so dass auch keine Schäden entstehen. Und vielleicht könnten doch schon kleinere, aber wichtige Reparaturen durch ihn durchgeführt werden.
Generell war es „einfach toll, was ich hier alles gelernt habe und dass Frau Neugebauer und Frau Zechmeister-Mittermaier alle meine Fragen so geduldig beantwortet haben“, erzählte Frater Raphael.
Die Kasel aus der Vogelperspektive. Papierpolster an den Schultern stützen den schweren Seidenstoff und verhindern Schäden. (c) Elisabeth Mayr
Die neu eingefütterte Kasel konnte übrigens am 18. August, am Hochfest des Klosterpatrons Hl. Agapitus, beim Pontifikalamt um 10 Uhr wieder ihre traditionelle Verwendung finden.
[elisabeth mayr]
Tyvek: Ist ein Vliesstoff aus Polyethylen und bietet bestmöglichen Schutz gegen Schmutz, Wasser, Asbest etc.; unter anderem es ist auch für sterile Arbeitsbedingungen geeignet. Es ist faltbar wie Papier aber um ein vielfaches strapazierfähiger