Die vielen Gesichter der Obdachlosigkeit
Die Diskussion fand im Zwettlerhof, vor dem Quo vadis?, statt. (c) ausserordentlich
In Österreich gibt es derzeit über 21.000 obdachlose Menschen. Die Gründe, warum Menschen in Armut und Obdachlosigkeit kommen, sind aber ganz individuell und von Fall zu Fall unterschiedlich, lautete der Tenor einer Podiumsdiskussion zum Thema "Armut und Wohnungslosigkeit in Österreich" am Donnerstagabend in Wien.
Unter dem Bibelspruch "Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen" kamen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Armutsbekämpfung und Sozialarbeit ebenso wie Ordensschwestern, die sich ganz der Hilfe für armutsbetroffene Menschen verschrieben haben, zu Wort. Dazu eingeladen hatte die ARGE ausserordentlich, die innerhalb der Österreichische Ordenskonferenz für die internationalen Freiwilligendienste zuständig ist.
Laura Plochberger vom Veranstalter ausserordentlich stellte nach der Begrüßung die Podiumsdiskutant*innen vor wie Susanne Peter von der "Gruft". (c) ausserordentlich
Für Susanne Peter, Sozialarbeiterin und Streetworkerin in der Caritas Obdachlosen-Einrichtung "Gruft" in Wien, gibt es oft nicht "den einen Grund" warum Menschen auf der Straße landen. Vielmehr handle es sich meist um eine unglückliche Verstrickung von Schicksalsschlägen, wie Jobverlust, Krankheit und Trennungen. Ihre Klienten hätten ganz unterschiedliche Hintergründe: "Obdachlosigkeit kann jeden und jede treffen. Ob alt oder jung, gut ausgebildet oder nicht, ob arm oder aus guten finanziellen Verhältnissen."
Susanne Peter: "Gibt oft nicht einen Grund für Wohnungslosigkeit sondern eine Reihe von Umständen". (c) Kathpress/Studio Omega
Was sich allerdings durch die Biografien der meisten Betroffenen ziehe sei, dass sie in ihrer Jugend mit Gewalt und Missbrauch konfrontiert waren. "Dadurch fällt es vielen sehr schwer, Hilfe anzunehmen und Vertrauen zu schöpfen."
Martin Schenk von der Diakon und Armutskonferenz betonte, dass obdachlose Menschen mehr als Fürsprache sondern eine eigenen Stimme brauchen. (c) ausserordentlich
Besonders habe sie in den letzten Jahren bemerkt, dass die Zahl der obdachlosen Frauen steigt, auch wenn der Anteil ab weiblichen Obdachlosen mit schätzungsweise 20 bis 30 Prozent immer noch unter jenem der Männer liege, so Peter. "Wohnungslosigkeit bei Frauen geschieht öfter im Verborgenen, und die Scham der Betroffenen lässt viele davor zurückschrecken, Hilfe anzunehmen." Viele Frauen würden Zweckbeziehungen eingehen, um nicht auf der Straße leben zu müssen, "dadurch geraten sie in Abhängigkeiten, die oft mit Gewalt und Missbrauch einhergehen", so Peter.
Martin Schenk: "Rechnen damit, dass die Zahlen der Obdachlosen durch die Coronakrise zeitverzögert steigen werden". (c) Kathpress/Studio Omega
"Wir wollen nicht nur Fürsprecher für armutsbetroffene Menschen sein, sondern den Betroffenen selbst eine Stimme geben", schilderte der Armutsforscher Martin Schenk die Herangehensweise der Diakonie, deren stellvertretender Direktor er ist. Die Coronakrise habe auch die Sozial- und Obachlosenarbeit vor enorme Herausforderungen gestellt, "das Entscheidende ist die Nähe, diese war von einem Tag auf den anderen nicht mehr möglich".
Salvatorianerin Sr. Dominika Zelent ist Sozialarbeiterin und betreut wohnungslose Menschen beim Praterstern. (c) ausserordentlich
Wie sich die Coronakrise auf die Obdachlosenzahlen auswirken werde, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch schwer auszumachen. Wohl aber sei in den kommenden Jahren mit einem Anstieg zu rechnen. "Wir sehen nach Krisen immer einen verzögernden Effekt", sagte Schenk mit Verweisen auf die Finanzkrise von 2008, die sich erst ab dem Jahr 2012 massiv auf die Zahlen von Wohnungslosen ausgewirkt habe. Er rechne damit, dass sich die Coronapandemie zwischen 2023 und 2025 ebenso in einem Anstieg der Obdachlosenzahlen bemerkbar machen werde, so der Experte. Als besonders gefährlich sehe er Kürzungsvorhaben im Sozialbereich, die von der Politik derzeit ins Spiel gebracht werden: "Hier müssen wir dringend gegensteuern und dürfen nicht warten."
Ordensfrauen im Einsatz für Obdachlose
Kleine Schwester Waltraud Irene setzt sich seit der großen Krise 2015 für geflüchtete Menschen ein. (c) ausserordentlich
Die Sozialarbeiterin und Salvatorianerin Sr. Dominika Zelent zeigte sich von den Geschichten und Biografien der Menschen, die sie in einem Tageszentrum für wohnungslose Menschen am Wiener Praterstern betreut, berührt. Zu ihren Klienten zählen zum großen Teil Männer aus Osteuropa, "die nach Österreich mit dem Traum auf ein besseres Leben kommen, oder die ihre Familie in der Heimat unterstützen wollen". Ohne Sprachkenntnisse und Meldeadresse zerplatze dieser Traum meistens sehr schnell. Was bleibe, sei ein "Leben auf der Straße, das psychisch und physisch krank macht", so die Ordensfrau.
Aus ihrer reichen Erfahrung mit geflüchteten Menschen berichtete Sr. Waltraud Irene von den Kleinen Schwestern Jesu. Mit Menschen am Rande der Gesellschaft in Kontakt kommen, mit den "einfachen Leuten sein", das entspreche dem Charisma ihrer Gemeinschaft. So setzt sich die Ordensfrau seit Jahren ehrenamtlich ein, bietet Hilfe bei Behördengängen, bei der Arbeitssuche oder dem Erlernen der deutschen Sprache an.
Renate Magerl vom Medienbüro führte als Moderatorin durch die Diskussionsrunde. (c) ausserordentlich
Sr. Irene wünscht sich ein gutes Leben für alle, egal welche Herkunft oder Religion jemand hat. "Den Menschen auf Augenhöhe entgegentreten, sie offen ansprechen und fragen, ob sie etwas brauchen", so sei seit je her ihre Herangehensweise und diese habe schon zu vielen tiefen Freundschaften geführt.
Quelle: Kathpress
[elisabeth mayr]