Wertearbeit in Ordensspitälern: Das Heil des ganzen Menschen
Sr. Teresa Schlackl ist Wertevorständin im St. Josef-Krankenhaus. (c) SJK
Medienbüro: Sr. Teresa, Sie sind als Wertevorständin für das sogenannte „Wertemanagement“ des St. Josef-Krankenhauses zuständig. Was kann man sich darunter vorstellen?
Sr. Teresa Schlackl: Wertemanagement ist ein umfassendes Gebiet. Meine Arbeit umfasst im wesentlichen sechs Punkte: Zunächst einmal möchten wir unsere christliche Wertekultur in den Spitälern der Vinzenz-Gruppe vermitteln, denn genau diese Wertekultur macht den Unterschied zu anderen Spitälern aus. Dann gehört zu meiner Arbeit auch Ethik, Seelsorge, Gewaltschutz, stillgeborene Kinder, und ich kümmere mich auch um die nicht versicherten Bedürftigen.
Dann gehen wir doch die einzelnen Punkte durch. Das Vermitteln von Wertekultur richtet sich in erster Linie an neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Sr. Teresa Schlackl: Genau. Es gibt für mich mehrere Möglichkeiten, mit neuen Mitarbeitenden ins Gespräch zu kommen. Ich möchte gerne mit allen ein Kennenlernengespräch führen. Das gelingt nicht mit allen, aber doch mit sehr vielen. Dort, wo wir die Möglichkeit haben, stellen wir unseren Orden vor und vermitteln auch, wofür ein christliches Ordensspital steht. Die Vinzenz-Gruppe hat dazu ihren christlichen Wertekompass entwickelt, der die Werte und die Eckpfeiler unseres christlichen Profils auf den Punkt bringen. Diese christlichen Werte wollen wir im Alltag sichtbar und spürbar machen, und da liefert der Wertekompass gute Anregungen: einander wahrnehmen, Zeit nehmen, aufeinander zugehen und Neuanfang ermöglichen, das Vorhandene dankbar sehen, Mitarbeitenden Eigenverantwortung zutrauen und sinnvolle Perspektiven im Unternehmen eröffnen.
Der Wertekompass der Vinzenz-Gruppe. (c) Vinzenz-Gruppe
Ich kann mir vorstellen, dass die Covid-Pandemie Ihre Arbeit ziemlich beeinträchtigt hat?
Sr. Teresa Schlackl: Sogar sehr stark. Dieses „Wir“-Gefühl zu schaffen ist oft sehr schwierig. Wertearbeit funktioniert sehr viel im persönlichen Gespräch. Ich bemühe mich, mit allen ins Gespräch zu kommen, von der Putzfrau bis zum Primar. Auf den Stationen habe ich zu den Ärztinnen und Ärzten immer gesagt, sprechen wir zehn Minuten lang; die Zeit werdet ihr doch haben. Denn das ist immer das Killerargument: keine Zeit. Die Wertegruppe war vor allem im Einsatz bei Festlichkeiten, bei Weihnachtsfeiern oder Sommerfeste; zu Valentin haben wir Rosen verschenkt oder zu Ostern Schokohasen. Es ging nicht um die Schokolade, es ging um die Wertschätzung. Aber Feierlichkeiten und selbst Gespräche waren in der Pandemie oft sehr schwierig bis unmöglich.
Stichwort Ethik …
Sr. Teresa Schlackl: Die Vinzenz-Gruppe hat natürlich einen Ethikkodex, doch die Medizin durchläuft permanent Veränderungen, die auch permanent Diskussionen des ethischen Konzils erfordern. Es gibt kein Pauschalrezept, man muss immer wieder Einzelfälle besprechen, und dazu gibt es das Instrument des ethischen Konzils. Bei großen Themen denke ich zum Beispiel an den assistierten Suizid, der seit Jänner in Österreich straffrei ist. Oder hier im St. Josef-Krankenhaus mit über 4.000 Geburten im Jahr liegt einer unserer Schwerpunkte in der Pränataldiagnostik. Wir haben jetzt nach langen Diskussionen ein Papier erstellt, wo zum ersten Mal nicht nur medizinische Indikationen, sondern verstärkt auch die psychische Verfassung von Frauen in Betracht gezogen wurden. Dieses Papier befindet sich jetzt in der Begutachtungsphase.
Sie erwähnten auch, dass zu Ihrem Arbeitsgebiet der Gewaltschutz gehört.
Sr. Teresa Schlackl: In der Gewaltschutzgruppe versuchen wir Informationen und Programme zur Sensibilisierung des Personals zu entwickeln. Das ist ein sehr heikles Gebiet, weil bei uns die Aufenthaltsdauer von Patientinnen normalerweise nur ein paar Tage ausmacht. Da ist es schwierig, wenn du zum Beispiel blaue Flecken an einer Patientin bemerkst, diesen in der kurzen Zeit auf den Grund zu gehen. Das erfordert Einfühlungsvermögen und auch Übung. Wir schauen, dass überall Plakate mit den Notrufnummern hängen, auch an Orten, wo die Männer nicht hinkommen, weil diese ihre Opfer oft nicht aus den Augen lassen.
Was sind „stillgeborene Kinder“?
Sr. Teresa Schlackl: Das sind Fehlgeburten. Laut Gesetz gibt es bei Fehlgeburten unter 500 Gramm keine Bestattungspflicht; sie würden, bitte nicht erschrecken, zum medizinischen Abfall gehören. Wir bieten Paaren an, ihr stillgeborenes Kind in einer Sammelurne in einem Grab im Hütteldorfer Friedhof zur Ruhe zu betten. Viermal im Jahr findet eine Gedenkfeier statt, und diese Möglichkeit wird von vielen Paaren und Familien gerne angenommen. Grabstätte und Gedenkfeier werden vom St. Josef-Krankenhaus bezahlt.
Letzte Frage: Sie sagten, Sie kümmern sich auch um nicht versicherte Bedürftige.
Sr. Teresa Schlackl: Das Thema liegt mir ehrlich gesagt sehr schwer im Magen. Dadurch, dass wir im St. Josef-Krankenhaus das Brustgesundheitszentrum haben, kommen sehr viele unversicherte Frauen mit Brustkrebs zu uns. Da sind viele U-Boote aus den Ostländern. Aber wir können nicht alle Frauen behandeln; wir sprechen von Behandlungskosten bis zu 80.000 Euro pro Patientin. Wir versuchen zu helfen wo wir können, und die Salvatorianerinnen und die Barmherzigen Schwestern tragen sehr viel dazu bei, aber mehr als zwei, drei Frauen können wir nicht aufnehmen, weil uns einfach die personellen und finanziellen Ressourcen fehlen. Wenn dann eine dieser Frauen vor dir sitzt … Ich kann nicht sagen: Du bist mir egal. Das stimmt nicht. Gleichzeitig haben wir keine finanziellen Überschüsse, wo wir das hernehmen könnten.
Was möchten Sie mir noch mit auf den Weg geben?
Sr. Teresa Schlackl: Wertearbeit braucht man sich nicht vorstellen als kompliziertes intellektuelles Gedankengerüst. In Wirklichkeit ist es einfach das Interesse aneinander. Ich muss da an Papst Franziskus denken, der sagte, die drei wichtigsten Worte in einer Ehe sind „Bitte“, „Danke“ und „Entschuldigung“. Und mit diesen drei Worten kommt man sehr weit. Werte sind Eigenschaften und Ideale, die unser Handeln leiten. Das Christliche in unseren Häusern ist eigentlich nichts Großes, kein moderner Rosenkranz, keine überkandidelte Messe oder irgendetwas in der Art und Weise, sondern es ist das besondere Eingehen auf den Menschen. Und da muss ich sagen, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind schon sehr auf Wohl unserer Patientinnen und Patienten konzentriert. Ich erhalte täglich viele positive Rückmeldungen. Unsere Aufmerksamkeit gilt dem Heil des ganzen Menschen.
Das Interview führte Robert Sonnleitner.