P. Ibrahim Alsabagh OFM aus Aleppo ist Oberer des örtlichen Franziskanerklosters und Leiter der Pfarre St. Francis. Am 21. September 2022 berichtete er bei einem Gesprächsabend im Quo vadis? über seine Person, wie es der Bevölkerung in Syrien seit Kriegsausbruch geht und wie er mit seiner Gemeinde hilft.
P. Ibrahim Alsabagh kam auf Einladung von der Initiative Christlicher Orient nach Österreich. Projektkoordinator Stefan Maier (links) stellte ihn den Gästen im Quo vadis? vor. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
Das Quo vadis? war bis auf den letzten Platz gefüllt, als Stefan Maier von der Initiative Christlicher Orient (ICO) die Anwesenden begrüßte und den Ehrengast des Abends vorstellte: Den Franziskanerpater von Aleppo, Ibrahim Alsabagh, der auf Einladung der ICO nach Östereich kam, um in vielen Begegnungen, Vorträgen und Interviews auf die Notsituation in Syrien aufmerksam zu machen. „Es ist wichtig, dass die Botschaft von P. Ibrahim – bitte vergesst Syrien nicht – so viele Menschen wie möglich erreicht“, so Maier.
Danach übernahm Christopher Campbell, Leiter des QV, die Moderation als auch Übersetzung – P. Ibrahim spricht Englisch – des Gesprächsabends.
Christopher Campbell, Leiter des Quo vadis? moderierte das Gespräch und übersetzte zugleich, da P. Ibrahim das Gespräch auf Englisch bestritt. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
Zur Einstimmung fragte Campbell den Franziskanerpater, der 1972 in Damaskus zur Welt kam, nach seiner Kindheit in dem – damals noch intakten – Land. P. Ibrahim erinnerte sich gern an die "friedliche Zeit seiner Kindheit zurück" und erzählte vom gelungenen Zusammenleben unterschiedlicher Religionsgemeinschaften – Sunniten, Schiiten, Juden, Muslime, Christen etc. „Alle Türen waren offen. Die Frauen bereiteten gemeinsam die Mahlzeiten vor. Und manchmal verbrachten wir mehr Zeit im Haus unserer sunnitischen Nachbarn als zu Hause bei unserer Mutter“, erzählt er. Es war dies „eine Zeit voller Respekt, Gemeinschaft, Diversität und vor allem eins: Frieden“.
Rückblickend war seine Kindheit auch schon Teil seiner späteren Berufung als Geistlicher: Schon als „kleiner Knirps“ war P. Ibrahim vom Glauben fasziniert. Er spielte mit seinen Freunden die heilige Messe und teilte Brot und Wasser mit ihnen. Er war ein „Suchender“, „verspürte einen Durst danach, Dienst am Menschen zu tun.“ Bereits in seiner Schulzeit kam er in Berührung mit katholischen Ordensfrauen und -männern. Er bezeichnet es als „Ehre und Glück umgeben von Ordensleuten aufwachsen zu dürfen“ und erkannte früh, dass „Religion ein Ort sein kann, wo man seine Bestimmung findet“.
Das Syrien seiner Kindheit war voller Frieden, Respekt, Gemeinschaft. Seit dem Kriegsausbruch 2011 sei es jedoch eine "versprengte Welt", berichtet P. Ibrahim. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
Kriegsausbruch: eine versprengte Welt
Seit dem Jahr 2011 herrscht Krieg in Syrien. 2013 kehrte P. Ibrahim als Oberer des Franziskanerklosters und Leiter der Pfarre St. Francis von Rom nach Syrien (Aleppo) zurück und erlebte das einst friedliche Land als „eine versprengte Welt“. Nur: „Wie kann ich am richtigen Punkt anfangen und etwas aufbauen und verändern?“
Als ersten Schritt öffnete er die Türen seiner Kirchen, um den Menschen einen Ort zu geben, an dem sie mit jemanden sprechen können, der auch zuhört. So lernte er nach und nach auch die Nöte und Sorgen der Menschen in seiner Pfarre kennen. Sein Vorgänger hat ihm mit den Worten: „Das ist für die Armen“ ein bisschen Geld hinterlassen. „Was sollte ich mich dem Geld tun, auf was warten“, fragte sich P. Ibrahim, „es reicht ja sowieso nie für alle.“ Dann kam ihm wie eine göttliche Eingebung der Gedanke: „Ich muss es jetzt ausgeben. Für die Not, die JETZT herrscht.“
Es gab auch Zeit für die reichlichen Fragen der Gäste. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
Und so kam es, dass er nach und nach mit Hilfsprojekten gestartet hat – damals noch alleine. „Herr, gib mir Menschen, die mir helfen, die die Herzen der Arbeit mit ihrer Arbeit berühren“, betete er damals. Heute unterstützen ihn 60 Ehrenamtliche bei seinen zahlreichen Projekten. Sie verteilen Lebensmittel und Hilfsgüter, helfen in der Suppenküche und organisieren auch Erstkommunionen. „Diese Schwestern und Brüder sind ein Geschenk Gottes“, sagt er.
„Es ist nie genug“
14 Millionen Menschen in Syrien hungern, das sind 60 Prozent der Bevölkerung. P. Ibrahim gesteht: „Ich bin durchwegs unzufrieden. Wir ernähren viele Menschen, aber es ist nie genug. Man könnte ohnmächtig werden.“ Aber er betont, dass es wichtig sei, zu helfen und „damit ein großes Zeichen der Präsenz des Herren zu setzen“. Es sei eine Botschaft an die Menschen und an die Welt. „Ich bin ein Botschafter des Gottes“. Woher er all die Zeit und Kraft für diese Unterstützungsleistung in einem kriegsgebeutelten Land findet? Das wisse er selbst nicht so genau.
Am Ende gab es großen Applaus für den unermüdlichen Einsatz und den Mut, den P. Ibrahim täglich in Aleppo beweist. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
Auch die Covid-Pandemie habe den Menschen in Syrien sehr zugesetzt. Die medizinische Versorgung in Syrien ist schlecht. Diabetes- oder Krebspatient:innen bekommen keine Medikamente oder Therapie. Aufgrund der schlechten Hygienezustände seien auch Cholera und Thypus zurückgekehrt. Von den psychischen und mentalen Problemen wolle der Franziskaner gar nicht sprechen.
Bitte vergesst Syrien nicht, lautet der eindringliche Appell an die Gäste beim Gesprächsabend. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
1 Stunde Strom
Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine werden auch Ressourcen knapper, die Situation in Aleppo ist zurzeit regelrecht erdrückend, berichtet P. Ibrahim. Alle 14 Stunden gebe es für eine Stunde Strom, was bedeutet, dass die einfachsten Elektrogeräte wie Kühlschrank oder Heizung nicht genutzt werden können. „Die Winter sind in Syrien sehr kalt. Es fehlt das Heizöl oder die Menschen können es sich nicht leisten“, so der Franziskaner, denn vielen Menschen fehle es schon an Geld für Essen.
Er mache sich auch Sorgen um die heranwachsende Generation. Die Kinder und Jugendlichen gehen vorzeitig von der Schule ab. „Damit wird ihnen auch die Perspektive auf ein besseres Leben genommen“, ist P. Ibrahim überzeugt.
P. Ibrahim Alsabagh, Franziskanerpater in Aleppo, Syrien. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
Gemischte Gefühle für die Zukunft
Angesprochen, wie er in die Zukunft blickt, betrachtet er diese mit gemischten Gefühlen: „Wir haben seit Jahrhunderten immer wieder schwierige Zeiten erlebt. Wichtig ist, dass wir für die Menschen, die bleiben, weitermachen. Seit 11 Jahren herrscht Krieg in Syrien, der viel Leid über das Land brachte und noch immer bringt. Genau deswegen ist es wichtig auf die Wundertätigkeit des Herren zu vertrauen, denn Tag für Tag geschehen viele kleine Wunder“, so P. Ibrahim.
Abschließend betont P. Ibrahim: „Heute tobt in Syrien ein vergessener Krieg. Wir verspüren große Leid und Not in unseren Herzen. Und unsere Not und unser Leid wiederholen sich in der Ukraine.“
Trotz des Krieges in der Ukraine bittet er inständig: „Bitte, vergesst Syrien nicht. Don’t forget Syria.“
Gut besucht war der Gesprächsabend im Quo vadis? mit P. Ibrahim Alsabagh. Am Schluss durfte ein Gruppenfoto nicht fehlen. (c) Elisabeth Mayr-Wimmer | Download
Zur Person:
Pater Ibrahim Alsabagh OFM, geboren 1972 in Damaskus, ist Franziskaner. Für seine theologischen Studien lebte er in Rom, bevor er sich 2014 entschloss, nach Syrien zurückzukehren. In Aleppo ist er Priester der Pfarrei San Franziskus und einer der letzten christlichen Seelsorger in diesem Kriegsgebiet.
2017 hat P. Ibrahim Alsabagh ein Buch über Leben und Alltag im Kriegsgebiet geschrieben: „Hoffnung in der Hölle. Als Franziskaner in Aleppo" (Herder 2017)
Weiterlesen:
Initiative Christlicher Orient
Franz Hilf - Franziskaner für Menschen in Not
Quo vadis? - Begegnung und Berufung im Zentrum
[renate magerl, elisabeth mayr-wimmer)