#09 Sr. Dominika Zelent: „Wir denken viel zu oft in Stereotypen“
Die Salvatorianerin Sr. Dominika Zelent ist Leiterin des "Das Stern", eines Tages- und Beratungszentrum für wohnungs- und obdachlose Menschen in Wien II. (c) ÖOK/Renate Magerl. | Zum Download
Im neuen Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich sind wir zu Besuch im Tageszentrum „Das Stern“ bei Sr. Dominika Zelent. Sie ist Ordensfrau der Salvatorianerinnen und leitet „Das Stern“, ein Tages- und Beratungszentrum für wohnungs- und obdachlose Menschen. Es liegt gleich am Praterstern ums Eck und ist dort nahe bei den Menschen. Es ist ein geschützter Rückzugsraum, „wo die Besucherinnen und Besucher mit ihren Lebensgeschichten einfach sein können, wie sie sind. Ohne Ausgrenzung, Stress oder Angst. Wir wollen vermitteln: Hier könnt ihr sein!“, erzählt Sr. Dominika Zelent.
Viel mehr als nur ein Rückzugsraum
Mittlerweile – die Einrichtung ist vor kurzem umgezogen – bietet „Das Stern“ auf 500 m2 Platz für 85 Personen. Von 8 Uhr morgens bis 18 Uhr am Abend stehen für jede und jeden die Türen offen. „Das Stern“ ist aber viel mehr als nur ein Rückzugsraum: „Wir bieten von Hygieneartikel, Kleiderausgabe, Lebensmittel und Kochmöglichkeiten über Ruheräume und Duschen bis hin zur medizinischen und psychologischen Betreuung sowie Begleitung bei Behördenwegen und Arztterminen alles an“, berichtet Sr. Dominika. Die Menschen, die in das „Das Stern“ kommen, erhalten „eine ganzheitliche Betreuung – je nachdem was sie brauchen und was sie auch möchten.“
Die Besucher:innen im Tageszentrum sind ganz unterschiedlich, aber eines kann Sr. Dominika Zelent zu hundert Prozent sagen: „Niemand ist freiwillig auf der Straße. Niemand sucht sich dieses Leben bewusst aus. Es sind oft Schicksalsschläge, die dazu führen, dass Menschen auf der Straße landen: Scheidung, Krankheit, Arbeitslosigkeit, finanzielle Not, Streit in der Familie – und oft kommen mehrere Dinge gleichzeitig zusammen.“ Die aktuelle gesellschaftliche Situation – Krieg, Klimawandel, immer weniger Ressourcen, steigende Armut – verschärfe die Situation zusätzlich, betont Sr. Dominika. „Obdachlosigkeit kann jede und jeden treffen.“
Sr. Dominika im Gespräch mit einem obdachlosen Menschen im Tageszentrum "Das Stern". "Wir wollen vermitteln: Hier könnt ihr sein!". (c) ÖOK/Renate Magerl
„Ihr seid wertvoll und wichtig.“
Im „Stern“ sollen die Besucher:innen ein Stück Normalität und Alltag erleben. „Sie sollen spüren und erleben: Ihr gehört dazu! Ihr seid, so wie ihr seid, wertvoll und wichtig für uns“, erzählt Sr. Dominika und man spürt, wie wahrhaftig sie diese Worte meint. Zu diesem „Dazugehören“ gehört auch, dass die Mitarbeiter:innen mit den obdachlosen Menschen Weihnachten oder Fasching feiern, gemeinsam grillen oder auch mal ein Museum besuchen.
Ein großer Schwerpunkt im „Stern“ ist die sozialarbeiterische Beratung und Betreuung. Viele der Tagesgäste, die in das Tageszentrum kommen, haben das Vertrauen in andere Menschen verloren, Behördentermine sind oft eine große Hürde und mit Angst, Stress und Scham verbunden. Hier setzt die wertvolle Beziehungsarbeit im „Stern“ an: „Wir wollen das Vertrauen wieder herstellen und zeigen, dass es jemanden gibt, der an sie glaubt und sie unterstützt. Sie sollen sich wieder etwas trauen, Mut haben, eigene Stärken wieder finden, um wieder am Leben teilzuhaben. Wir wollen den Menschen das Gefühl vermitteln ‚Ihr seid nicht alleine‘.“ Dazu gehört gemeinsam lachen und weinen und einfach über Alles und Nichts reden. Um das verlorene Vertrauen wiederherzustellen, begleiten die Mitarbeiter:innen bei Behördenwegen oder Arztterminen, helfen bei Anträgen, unterstützen bei Bewerbungsschreiben und dolmetschen. „Im Team haben wir alle Sprachen, die wir im Stern brauchen: Tschechisch, Slowakisch, Polnisch, Italienisch, Deutsch, Russisch, Englisch, Spanisch, Rumänisch, Ungarisch …“, zählt Sr. Dominika auf.
Neugierde am Menschen
Das Soziale habe sie schon von zu Hause mitbekommen und mitgenommen. „Bei uns zu Hause war immer ein Treffpunkt – die Nachbarinnen sind gekommen und haben mit meiner Mutter geplaudert und über Alltagsprobleme gesprochen“, erzählt Sr. Dominika und ergänzt: „Diese Neugierde und das Interesse am Menschsein gehören seit meiner Kindheit zu mir.“ Nach der Ordensausbildung und einem Praktikum in der Gruft war für sie klar, dass sie im sozialen Bereich tätig sein will. „Dieses Begegnungen mit den Menschen, die so oft in Schubladen gesteckt werden, haben mich nicht mehr losgelassen.“ Sr. Dominika will die Menschen dahinter sehen und verstehen, ihnen nahe sein. Seit mittlerweile fast sechs Jahren ist sie im „Stern“ tätig, seit Mai 2021 als Leiterin. „Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Ich mache das sehr gerne. Natürlich ist die Arbeit manchmal herausfordernd, aber auch sehr erfüllend.“
Auf die Frage, wie die Menschen reagieren, wenn sie erfahren, dass sie eine Ordensfrau ist, fängt Sr. Dominika herzlich zu lachen an und erzählt: „Die Reaktionen sind ganz unterschiedlich, aber meist ist es doch eine große Überraschung ‚Ah – das gibt es auch? Das hätten wir nicht gedacht!‘“ und manchmal ergeben sich auch tiefgehende Gespräche über Gott und den Glauben. „Auch meine Mitarbeiter hätten sich nie gedacht, dass sie mal eine Ordensfrau als Chefin haben“, erzählt Sr. Dominika und lacht.
Für ihre Rolle als Ordensfrau und Leiterin des Tageszentrums ist Sr. Dominika ebenfalls wichtig, dass nicht in Stereotypen gedacht wird: „Viele Menschen haben ein Bild von Ordensfrauen, dass nicht der Wirklichkeit entspricht. Wir verbringen unser Leben nicht hinter Klostermauern.“ Sr. Dominika will direkt unter den Menschen sein und durch ihr Dasein und durch Werte wie Freundschaft, Wertschätzung, Toleranz, Offenheit – das Anderssein der Person achten, „verkünden“.
Sachspenden
Sachspenden sind im „Stern“ immer gerne gesehen. Besonders gefragt sind Männersportschuhe in den Größen 42 bis 46, Schlafsäcke, Zelte, Wolldecken, Handtücher, Bettwäsche, Hygieneartikel und auch Lebensmittel, die lange haltbar sind (Nudeln, Reis, Konserven…). Die Sachspenden kann man direkt zu den Öffnungszeiten (8-18 Uhr) vorbeibringen: Nordbahnstraße 48, 1020 Wien.
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen.
Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen wie Apple, Spotify, Soundcloud, Amazon Music, Deezer, iHeart, JioSaavn, Listen Notes, Player FM, Podcast Addict, Podchaser und RadioPublic zu finden.
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[renate magerl]