#18 Sr. Ruth Pucher: Ordensgemeinschaften sind Orte, die ausdrücklich Gott in den Mittelpunkt stellen
Sr. Ruth Pucher: „Meine Beobachtung ist, dass es immer Menschen geben wird, die nach Gott suchen." (c) öok/emw
„Ordensentwicklung ist das Bemühen, Ordensgemeinschaften zu beraten und Anregungen zu geben, wie sie ihren Weg in die Zukunft gut finden können“, definiert Sr. Ruth Pucher zu Beginn unseres Gesprächs ihr Aufgabengebiet. Die geborene Augsburgerin (D) studierte ursprünglich Kunstgeschichte und trat 2002 in die Gemeinschaft der Missionarinnen Christi ein. Seit 2016 leitet sie den Bereich Ordensentwicklung im Kardinal König Haus – und kann mit einer großen Bandbreite an Problemfeldern aufwarten: „Da geht es bei Ordensgemeinschaften um Fragen wie: Welches Haus sollen wir schließen? Welches Projekt können wir neu beginnen? Wie geht es unseren jüngeren Mitschwestern oder Mitbrüdern? Wie gehen wir mit unseren älteren Mitschwestern oder Mitbrüdern um? Wie schaffen wir mehr Zusammenhaltgefühl innerhalb der Gemeinschaft?“, zählt Sr. Ruth einige Beispiele aus der Praxis auf.
Zielpublikum: Leitungsverantwortliche
Es sind in erster Linie Leitungsverantwortliche einer Ordensgemeinschaft, die sich mit einem Problem an Sr. Ruth Pucher wenden. Wobei „Problem“ einen durchaus weiten Begriff umschreibt, denn „manchmal ist es auch gar nicht so klar, was eigentlich gesucht wird“, so die Ordensfrau. Oft sei innerhalb einer Ordensgemeinschaft eine gewisse Unruhe oder ein gewisses Unbehagen spürbar, ohne dieses genau definieren zu können. „Dann werde ich zu einer Provinz- oder zu einer Generalleitungssitzung eingeladen, und anschließend versuchen wir in einer Klausur einen Tag oder zwei Tage lang herauszufinden, was eigentlich das Problem ist und wie es weitergehen könnte.“
Beginn mit einer SPOT-Analyse
Am Anfang versucht Sr. Ruth mittels SPOT-Analyse dem Konflikt auf den Grund zu gehen. SPOT – das engl. Akronym steht für Strengths (Stärken), Problems (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken). „Wir fragen nach den Stärken, aber auch nach den Schwächen, klären, welche Chancen wir nutzen und wie wir Risiken vermeiden können“, erklärt die Ordensfrau die Methode. „Das ist immer ein gutes Instrument, klarer zu sehen – sowohl für mich als auch für die Ordensmitglieder.“ Ziel ist es zu ermitteln, wie aus Problemen und Gefahren Chancen entstehen und gleichzeitig die Stärken bewahrt werden können.
Drei Aufgabenbereiche
Dieser maßgeschneiderte Beratungsprozess ist allerdings nur ein Teil ihrer Arbeit, der nicht nur von Ordensgemeinschaften aus Österreich, sondern aus dem gesamten deutschen Sprachraum in Anspruch genommen werden. Ein weiterer Teil setzt sich aus diversen Seminarangeboten für Ordensleute und ihre Mitarbeitenden bzw. für Beraterinnen und Berater von Ordensgemeinschaften zusammen, die zugleich auch als Plattform für Vernetzung von Ordensleuten, ihnen nahestehenden Berater, Beraterinnen und auch für Menschen dienen, die sich für das Ordensleben bzw. Leben in einen Orden interessieren. Was zu ihrem dritten Aufgabenbereich überleitet: Sr. Ruth Pucher ist ebenfalls Koordinatorin des Projekts Freiwilliges Ordensjahr. „Wir laden Menschen ein, Ordensleben von innen kennenzulernen und bis zu einem Jahr in einer Gemeinschaft mitzuleben“, berichtet Sr. Ruth. „Da bin ich sozusagen die Drehscheibe, die weiß, welche Ordensgemeinschaften jemanden aufnehmen würden.“
Gesellschaft und Kirche brauchen Ordensgemeinschaften
Auf die Frage, ob die Kirche und die Gesellschaft heute noch Ordensgemeinschaften brauchen, findet die Missionarin Christi klare Worte: „Ich denke, dass Ordensgemeinschaften Orte sind, die ausdrücklich Gott in den Mittelpunkt stellen.“ So wie Menschen eine Kirche an dem Kirchturm erkennen, so erkennen sie an einem Klostergebäude, dass hier Menschen sind, die anders leben, die mit Gott leben wollen. „Und ich denke, in unserer Gesellschaft braucht es solche Menschen“, zeigt sich die Missionarin Christi überzeugt. „Meine Beobachtung ist, dass es immer Menschen geben wird, die nach Gott suchen. Gerade bei den Bewerberinnen und Bewerbern für das Freiwillige Ordensjahr beobachte ich, dass Menschen plötzlich aus heiterem Himmel, so scheint es, nach Gott fragen. Sie hatten lange Zeit keinen Kontakt zur Kirche oder religiösen Gruppierungen, aber plötzlich stellen sie diese Frage.“ Oft kann das aus den unterschiedlichsten Gründen passieren: Auslöser kann eine Krankheit, ein Unfall oder ein Todesfall im Familien- oder Freundeskreis sein. Aber manchmal scheint diese Frage aus dem Nichts zu kommen. „Wenn so jemand vor mir sitzt und diese Geschichte erzählt, dann bekomme ich eine Gänsehaut“, erzählt Sr. Ruth Pucher. „Das ist für mich jedes Mal so etwas wie ein Gottesbeweis. Und in diesem Moment denke ich mir: Ach, es wird immer Menschen geben, die Gott suchen und ihrem Leben eine besondere Struktur, einen besonderen Ausdruck geben wollen. Das ist im Ordensleben möglich.“
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen.
Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen zu finden.
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[robert sonnleitner]