Antworten für einen grundlegenden Wandel
Unter dem Titel "Grund-legender Wandel - SchöpfungsverANTWORTung: radikale Transformation?" fand Anfang Oktober 2023 die tagung.weltkirche statt. (c) Manu Nitsch
Anja Appel, Geschäftsführerin der KOO (Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz), hieß die Gäste in St. Virgil willkommen. Die heurige tagung.weltkirche behandle die Frage, wie ein grundlegender Wandel zu gestalten wäre. "Wie kommen wir dazu?", fragte Appel. "Deshalb stellen wir hier die Frage nach der Transformation und der Verantwortung." Die Kirche habe keine adäquate Antwort, weil sie nicht diejenigen zu Wort kommen lässt, die die Antworten hätten. "Doch unsere Referent:innen können einige Antworten liefern", so Appel.
Anja Appel, Geschäftsführerin KOO (Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz) (c) Manu Nitsch
Auch Sr. Anneliese Herzig, Bereichsleiterin Mission und Soziales der Österreichischen Ordenskonferenz, sprach einleitende Worte zur Veranstaltung. "Im Programm steht, wir geben Impulse", so die Missionsverantwortliche. "Ordensleute legen drei Gelübde ab. Dabei vergessen wir, dass wir damit auch auf Wandlung verpflichtet sind, gerade bei der Schöpfungsverantwortung. Deshalb sind wir froh, dass wir von unseren Referent:innen Impulse bekommen, um ins Handeln zu kommen."
Sr. Anneliese Herzig. Bereichsleiterin Mission und Soziales der Österreichischen Ordenskonferenz (c) Manu Nitsch
Als Moderatorin führte Katrin Morales (Jesuiten weltweit) eloquent durch den Freitagvormittag.
Katrin Morales (jesuiten weltweit) (c) Manu Nitsch
Sr. Geraldina Cespedes Ulloa: Frauen spielen eine Schlüsselrolle in der ökologischen Bewegung
Den Auftakt mit den Vorträgen machte Sr. Geraldina Cespedes Ulloa aus Guatemala. Die Ordensfrau aus der Gemeinschaft “Hermanas Misioneras Dominicas del Rosario” ist Theologin, Philosophin und Mitbegründerin des Netzwerkes “Núcleo Mujeres y Teología” (Zentrum Frauen und Theologie). Neben Lehrtätigkeiten an Universitäten in Mexiko, Spanien und Guatemala ist sie Mitglied des befreiungstheologischen Netzwerkes “Amerindia”. Sie referierte in ihrem sehr emotionalen und engagierten Vortrag über die Rolle der Kirche in der sozio-ökologischen Transformation aus der ökofeministischen Perspektive.
Sr. Geraldina Cespedes Ulloa: "“Die Krise ist hervorgerufen durch eine blinde Verehrung der Wirtschaft”. (c) Manu Nitsch
Zwei Seiten der selben Medaille
Die Ordensfrau zeigte auf, wie die Krise des Patriachats und die ökologische Krise miteinander verbunden sind und welche Herausforderungen sich daraus für die Kirche ergeben. Dabei zitierte sie aus der Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus: "Es gibt nicht zwei getrennte Krisen, eine ökologische und eine soziale, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise." Gewalt gegen die Natur und Gewalt gegen Frauen sind zwei Seiten derselben Medaille. Sr. Geraldina nutzte die ökofeministische Sichtweise, um diese Verbindung zu erkennen und zu analysieren und kritisierte, dass die Kirche bisher wenig Verbindung zwischen der sozio-ökologischen Frage und der Sache der Frauen hergestellt hat.
Sie wies auch auf das Fehlen der drei "T"s, Tierra, Techo y Trabajo, oder auf Deutsch: Land, Wohnung und Arbeit, hin. Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zu diesen grundlegenden Ressourcen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Allerdings haben insbesondere Frauen keinen Zugang zu diesen Ressourcen aufgrund von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Barrieren. Doch die Kirche muss die Aufforderung zur ökologischen Umkehr ernst nehmen und auch eine geschlechtsspezifische Umkehr vollziehen. Für die Theologin ist der Ökofeminismus ein Paradigma der Hoffnung für die Kirche und für die Gesellschaft, das systemische Veränderungen anstrebt, um ein harmonisches Zusammenleben aller Lebewesen zu ermöglichen. Sie wies auch auf die Feminisierung der Armut, die Gewalt gegen Frauen und die Ausbeutung von Frauen im Handel hin, und betonte, dass das patriarchalische Kapitalismus-System und die naturalisierte Beziehung zwischen Frauen und Natur die Wurzeln der Ungleichgewichte in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen und zur Natur sind, die beseitigt werden müssen, um einen systemischen Wandel zu erreichen.
Anliegen des neuen ökologischen und feministischen Bewusstseins
Frauenbewegungen auf der ganzen Welt setzen sich mit dem Ökofeminismus als neues ökologisches und feministisches Bewusstsein auseinander. Die Hauptpunkte sind:
- Kritik am patriarchalischen Kapitalismus: Die Ausbeutung durch den patriarchalischen Kapitalismus ist das Hauptproblem der Marginalisierung von Frauen und der Verschlechterung der sozialen und ökologischen Situation. Die Unterdrückung von Frauen und die Ausbeutung der Natur sind zwei Seiten derselben Medaille.
- Verflechtung von Unterdrückungen: Der Ökofeminismus erkennt die Verbindung zwischen allen Formen der Unterdrückung, insbesondere der Unterwerfung von Frauen und der Ausbeutung der Erde.
- Nachhaltigkeit auf der Grundlage von Beziehungen zur Natur und zu den Menschen: Der Ökofeminismus verbindet soziale und ökologische Fragen und setzt sich für ein lebenswertes Leben ein, indem er auf die Bedürfnisse der Erde und der Armen, insbesondere der Frauen, achtet.
- Sorge um die biologische Vielfalt: Der Ökofeminismus setzt sich für den Schutz und die Erhaltung der biologischen, kulturellen, sexuellen und religiösen Vielfalt ein.
- Radikale Demokratie: Der Ökofeminismus fordert eine echte Beteiligung und Kommunikation in sozialen Beziehungen und Regierungsformen auf allen Ebenen.
- Leben im Zentrum von allem: Der Ökofeminismus propagiert einen biozentrischen Ansatz, der das Leben in den Mittelpunkt stellt und eine wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Natur fördert. Es geht darum, eine interaktive Mensch-Natur-Beziehung zu schaffen, in der beide respektiert und gepflegt werden.
Der Ökofeminismus fordert also eine Veränderung in der Gesellschaft, die sowohl ökologische als auch soziale Nachhaltigkeit fördert und das Leben in den Mittelpunkt stellt.
Denk- und Verhaltensmuster müssen geändert werden
Die Ordensfrau beschäftigt sich in ihrem Vortrag auch mit verschiedenen Paradigmen im ökofeministischen Denken und betont die Notwendigkeit, dass Denk- und Verhaltensmuster in Bezug auf die Beziehung zur Natur und zwischen den Geschlechtern geändert werden müssen. Dabei hebt die Referentin sechs Aspekte hervor:
- Das erkenntnistheoretische Paradigma: Unsere Vorstellungen von Wissen und Realität benötigt eine Veränderung, um mehr pluralistisch zu sein.
- Das ökologische Paradigma: Die Vorstellung von Natur als bloße Ressource für den Menschen führt zu Ausbeutung und Instrumentalisierung; eine neue Sichtweise ist erforderlich, die auf der Heiligkeit der Erde basiert.
- Das anthropologische Paradigma: Die dualistische Sichtweise von Mann und Frau als antagonistische Pole muss abgelegt werden und erfordert eine ganzheitliche Anthropologie.
- Das wissenschaftliche Paradigma: Wissenschaft ist von politisch-wirtschaftlicher Macht beeinflusst; Frauen, indigene Völker und Schwarze werden oft ausgeschlossen. Eine gerechtere Sichtweise der Wissenschaft ist erforderlich.
- Das technologische Paradigma: Aus ökofemistischer Sichtweise werden die Auswirkungen von Technologie auf Frauen, Arme und die Natur in Frage gestellt und die Notwendigkeit einer technologischen Umkehr betont.
- Das Wirtschaftsmodell: Das gegenwärtige Wirtschaftssystem kann laut Laudato Si als "pervers und unhaltbar" bezeichnet werden. Es ist eine Veränderung hin zu einem Modell, das die Bedürfnisse der Frauen und der Natur berücksichtigt, gefordert.
"Die Krise ist hervorgerufen durch eine blinde Verehrung der Wirtschaft", kritisierte Sr. Geraldina. Die Theologin hob in ihrem Vortrag hervor, dass eine Veränderung in all diesen Paradigmen notwendig ist, um die sozio-ökologische Krise zu bewältigen und gerechtere und nachhaltigere Beziehungen zur Natur und zwischen den Menschen zu schaffen. "Nur so können wir das Überleben der Arten gewährleisten."
Heilende Theologie der Frauen und der Erde
Sr. Geraldina betonte in ihrem Vortrag, dass es eine "heilende Theologie" für die Erde und die Frauen gibt als Gegensatz zu "schädlichen und giftigen" Theologien, die Beziehungen der Beherrschung, Ausbeutung und Gewalt gegenüber Frauen und der Natur legitimierten. Die Sprache der Heilung ist wichtig, um eine gesunde Beziehung zur Erde und zwischen Männern und Frauen zu entwickeln. Der Ökofeminismus entstand aus der Sorge der Frauen um die Gesundheit und betont die Verbindung zwischen Umweltverschmutzung und der Gesundheit von Menschen, Pflanzen und Tieren.
Die ökofeministische Position besagt, dass eine Heilung der Erde und der menschlichen Beziehungen nicht möglich ist, ohne auch die Glaubenssysteme und theologischen Ansätze zu heilen. Theologische Behauptungen und biblische Interpretationen wurden oft verwendet, um Ungerechtigkeiten und Gewalt gegenüber Frauen und der Natur zu rechtfertigen. Ein neues theologisches Paradigma ist notwendig, das zu einer neuen Beziehung zu allen Geschöpfen beiträgt. Innerhalb des Christentums haben sich einige Kirchen für den Umweltschutz engagiert, aber die Gleichstellung der Geschlechter und die Kritik am aktuellen System wurden oft vernachlässigt. Die integrale Ökologie, wie sie von der katholischen Kirche vorgeschlagen wird, verbindet die ökologische und soziale Krise, aber ignoriert die Situation der Frauen. Der Ökofeminismus kann ein Schlüsselelement für die integrale Ökologie sein, da das patriarchalische System die Wurzel des Raubbaus an der Erde und den Frauen ist. Die ökofeministische Theologie fordert die Religionen und die Theologie heraus, den Schrei der Erde und der Frauen ernst zu nehmen und eine Perspektive zu schaffen, die das Leben und die Mission der Kirche bereichert. Die ökofeministische Theologie ist ein Test, um zu sehen, wie der Schrei der Erde und der Frauen berücksichtigt wird.
Ökofeminismus: Gerechtigkeit und ökologischer Fürsorge
In ihrem Vortrag beschrieb die Ordensfrau den Ökofeminismus als eine spirituelle und ethisch-politische Perspektive zur Förderung von Gerechtigkeit und ökologischer Fürsorge. Um diese Perspektive in die Praxis umzusetzen, schlug sie sechs Räume vor:
- Alltagsleben als Raum des Widerstands: Das Alltagsleben ist der Schlüssel für soziale und systemische Veränderungen; persönliche Veränderung ist eng mit gesellschaftspolitischen Veränderungen verbunden.
- Gesellschaftspolitischer Raum: Es muss eine integrative Ökopolitik geschehen, die auf Demokratie, Gleichheit und dem Schutz der Erde basiert. Die traditionelle Vorstellung von Macht muss in Frage gestellt und eine neue Form der Politikausübung, die auf Zusammenarbeit und Ermächtigung basiert, umgesetzt werden.
- Religiöser Raum: Die Kirche und andere religiöse Institutionen müssen ihre mystisch-prophetischen Wurzeln neu entdecken und sich stärker in den Schutz der Erde und der Frauen einzubringen
- Innerer Raum: Die Pflege des inneren Raums und die Kultivierung einer tiefen spirituellen Verbindung mit allem, was existiert, sind der Schlüssel für den Wandel. Die Spiritualität definiert sich als Gegenkultur zum kapitalistischen System.
- Räume, um aus verschiedenen Quellen zu trinken: Wir müssen offen sein, aus verschiedenen kulturellen, religiösen und interdisziplinären Quellen zu lernen. Die Fähigkeit, Grenzen zu überschreiten und neue Verbindungen herzustellen, wird als wichtige Voraussetzung für eine heilende und befreiende Spiritualität betrachtet.
- Zu guter Letzt der Gemeinschaftsraum: Die Schaffung von postpatriarchalen Gemeinschaften, die auf ökofeministischen Prinzipien basieren, muss sich als Möglichkeit für alternative Erfahrungen des Zusammenlebens etablieren. Diese Gemeinschaften müssen auf Gleichheit, Mitgefühl und Respekt für alle Menschen und die gesamte Schöpfung basieren.
Das Fazit:
Sr. Geraldina Cespedes Ulloa zeigte in ihrem Vortrag auf, dass es dringend notwendig ist, sich für strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft und in den Kirchen einzusetzen. Die Krise des Patriarchats geht Hand in Hand mit der ökologischen Krise; die Unterdrückung von Frauen und die Ausbeutung der Natur sind miteinander verbunden. Die katholische Kirche hat in der Enzyklika Laudato Si' einen Vorschlag für eine integrale Ökologie gemacht, der die ökologische Krise mit der sozialen Krise und ökologische Gerechtigkeit mit globaler wirtschaftlicher Gerechtigkeit verbindet. Sie betont auch, dass ökofeministische Ansätze in der kirchlichen Arbeit umgesetzt werden müssen, um eine ganzheitliche Sichtweise auf die ökologische Krise zu fördern.
Frauen spielen eine Schlüsselrolle in der ökologischen Bewegung, da sie die aktivsten und kreativsten Akteure bei der Verteidigung und Pflege des Landes sind. Allerdings werden viele von ihnen verfolgt, kriminalisiert und getötet, weil sie sich für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit einsetzen und nach neuen Beziehungen zwischen Männern und Frauen und zur Natur suchen. Deshalb ist es wichtig, ihre Arbeit anzuerkennen und zu unterstützen, ihre Stimmen zu hören und ihre Forderungen nach Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit mitzutragen. Konkret können ökofeministische Ansätze in der kirchlichen Arbeit zum Beispiel durch die Förderung von Frauen in Führungspositionen, die Integration von feministischen Theologien und die Unterstützung von Frauen in der ökologischen Bewegung umgesetzt werden.