Sr. Maria Schlackl: „Ausbeutung darf nicht länger gesellschaftsfähig bleiben“
Das Team der Initiative rund um Initiatorin Sr. Maria Schlackl (mitte) und Brigadier Gerald Tatzgern. (c) Berthold Tauber
„Dieser Abend ist eine Einladung zu vertiefter Reflexion, gemeinsam gegen Ausbeutung jeglicher Art aufzustehen und mutig für würdevolles Leben einzustehen“, begrüßte Sr. Maria Schlackl, Salvatorianerin und Initiatorin von „Aktiv gegen Menschenhandel – aktiv für Menschenwürde“, die zahlreichen Gäste, darunter Vertreter:innen aus Politik, Religion und Medien. Das Motto des Abends lautete: „Arbeit, die ausbeutet – mitten unter uns“.
Sr. Maria Schlackl SDS: "Ausbeutung muss ein Riegel vorgeschoben werden!" (c) Berthold Tauber
Und die Ordensfrau ging in ihrem Begrüßungsstatement gleich auf diese Problematik ein: „Während wir in den vergangenen neun Veranstaltungen die unterschiedlichsten Dimensionen von Frauen- und Mädchenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung beleuchtet und verhandelt haben, weiten wir heute den Blick auf alle möglichen Ausbeutungsformen, um auch dafür zu sensibilisieren.“ Ziel müsse sein, für den Missstand auch im unmittelbaren Umfeld ein Bewusstsein zu schaffen, Ausbeutung einen Riegel vorzuschieben, Menschen vor Ausbeutung zu schützen und Profiteure zur Verantwortung zu ziehen. „Ausbeutung und die damit verbundene Missachtung der Menschenwürde darf nicht länger gesellschaftsfähig bleiben“, zeigte sich die Salvatorianerin kämpferisch. Und betonte: „Dazu können wir alle unseren Beitrag leisten. Jede Person auf ihre eigene Weise, in ihrer persönlichen Verantwortung.“ Ausbeutung brauche Antwort - politisch, juristisch, kriminologisch, zivilgesellschaftlich, seelsorglich und individuell.
Gerald Tatzgern: 60 Prozent der Opfer von Menschenhandel sind Männer
In dasselbe Horn stößt auch Brigadier Gerald Tatzgern, Leiter der Taskforce Menschenhandel im Bundeskriminalamt in Wien: „Verantwortlich ist nicht nur die Politik, sozusagen die staatliche Autorität, und die Nichtregierungsorganisationen, sondern natürlich auch die Zivilgesellschaft. Wir alle müssen uns an der Nase nehmen!“ Ausbeutung findet in den unterschiedlichsten Formen statt, nicht nur in der (Zwangs-)Prostitution, sondern auch im Baugewerbe, in der Gastronomie, in der Reinigung oder in der Landwirtschaft, und Brigadier Tatzgern nannte auch gleich ein Beispiel: „Wenn wir Obst oder Gemüse einkaufen, dann greifen wir meistens zum billigsten Angebot. Es wird schon okay sein, da gibt es sicher irgendein Gütesiegel, das wird schon passen.“ Aber die Ware kann nur deshalb so billig sein, weil dahinter oft ein System der Ausbeutung steckt. Männer und Frauen aus Ungarn, aus Rumänien, aus Polen werden als geringqualifizierte Hilfskräfte gezwungen, für ein Spottgeld an sechs oder sieben Tagen pro Woche zwölf Stunden oder mehr täglich zu arbeiten. Sie sind unversichert, müssen in menschenunwürdigen Unterkünften leben und haben natürlich auch keinen Anspruch auf Urlaub oder Krankenstand. Doch die wirtschaftliche Situation, die Armut und Erwerbslosigkeit in ihren Heimatländern zwingen sie dazu, ins Ausland zu gehen und dort Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die weit hinter den geltenden gesetzlichen Standards zurückbleiben.
Brigadier Gerald Tatzgern: "Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen sicherzustellen, dass die Produkte, die sie produzieren oder verkaufen, nicht auf Kosten der Menschenrechte hergestellt werden." (c) Berthold Tauber
Lieferkettengesetz
Deshalb sei es gut, dass die EU das Lieferkettengesetz mit 1. Jänner 2023 durchgesetzt hat. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen sicherzustellen, dass die Produkte, die sie produzieren oder verkaufen, nicht auf Kosten der Menschenrechte hergestellt werden. Es verpflichtet Unternehmen auch zur Offenlegung ihrer Lieferketten. Sie müssen Informationen über ihre Lieferanten und deren Produktionsstandorte ausführen. Damit soll Transparenz geschaffen werden, sodass Verbraucher und andere Interessengruppen die Möglichkeit haben, die Einhaltung der Menschenrechtsstandards in den Lieferketten zu überprüfen. Weiterhin sieht das Lieferkettengesetz auch Sanktionen vor, falls Unternehmen gegen die Vorgaben verstoßen. Diese können von Geldbußen bis zu einem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen reichen.
„Melden Sie Menschenhandel“
„Ich habe für das Jahr 2022 angeordnet, dass wir von der Taskforce Menschenhandel den Schwerpunkt auf die Arbeitsausbeutung legen. Und da schauen wir nicht nur auf Frauen, sondern auch auf die Männer“, betonte Brigadier Tatzgern. Denn die Statistik zeigt: Vom Menschenhandel sind nicht nur Frauen und Mädchen betroffen, sondern 60 Prozent der Opfer waren Männer, vorwiegend im Bereich der Arbeitsausbeutung. Menschenhandel ist ein Milliardengeschäft, und die Netzwerke der Menschenhändler reichen bis nach Nordafrika. Tatzgern bringt auch ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: „Wir hatten konkrete Hinweise, dass Migranten auf Pferdehöfen ausgebeutet werden.“ Rund 60 Pferdehöfe wurden auf staatsanwaltschaftliche Anordnung durchsucht. „Es waren lauter elitäre Clubs, wunderschöne Pferde, blitzblanke Sättel, das Teuerste vom Teuersten. Aber diejenigen, die sich um die Pferdeställe gekümmert haben, waren Migranten, die im letzten Eck hausten und schlechter als die Hunde gehalten wurden. Da waren Situationen dabei, die richtig grauslich waren. Die Ermittlungen dauern immer noch an.“ Daher Tatzgerns Appell: „Gehen Sie mit offenen Augen durch die Welt, entdecken Sie Menschenhandel, scheuen Sie nicht davor, es auch zu melden, Sie tun nichts Böses, Sie vernadern niemand, weil wir versuchen, sehr objektiv an die Sache heranzugehen, ohne jemanden zu kriminalisieren.“
Rund hundert Gäste waren zur Veranstaltung in den Festsaal der Arbeiterkammer OÖ gekommen. (c) Berthold Tauber
Manfred Buchner: Männer sind Täter, aber auch ganz oft Opfer
„Wir unterstützen österreichweit Männer, die von den verschiedenen Ausbeutungsformen, also Ausbeutung in der Prostitution, Ausbeutung in der Bettelei oder Arbeitsausbeutung betroffen sind.“ Manfred Bucher ist Klinischer und Gesundheitspsychologe vom Verein MEN VIA, einer Initiative, die sich der Unterstützung von männlichen Opfern von Menschenhandel verschrieben hat. „Wir haben eine Schutzwohnung mit nicht öffentlicher Adresse in Wien. Wir betreuen die Männer umfassend, das heißt, wir bieten sowohl psychologische als auch rechtliche Beratung an. Wir versorgen die Männer mit dem Lebensnotwendigsten; viele Männer kommen mit weniger als nichts zu uns, haben nichts zum Anziehen, sind schwer krank. Wir beraten die Männer auch hinsichtlich einer strafrechtlichen Anzeige, bieten Prozessbegleitung an und arbeiten mit den zuständigen Polizeidienststellen zusammen“, berichtet Bucher. Darüber hinaus bietet MEN VIA auch Unterstützung bei der Suche nach Arbeit, bei der Ausbildung und bei der Erlangung eines Aufenthaltsstatus.
"Wir unterstützen österreichweit Männer, die von den verschiedenen Ausbeutungsformen, also Ausbeutung in der Prostitution, Ausbeutung in der Bettelei oder Arbeitsausbeutung betroffen sind." Manfred Buchner (links) im Gespräch mit Moderator Peter Wesely. (c) Berthold Tauber
Männer werden in verschiedenen Bereichen des Menschenhandels betroffen und erleben Gewalt, den Verlust ihrer Dokumente oder Freiheit und Bedrohungen. Vor allem sind sie als Arbeiter im Bausektor, in der Gastronomie oder als Landarbeiter von Ausbeutung betroffen. Manfred Bucher betont, dass überlange Arbeitszeiten, katastrophale Unterkünfte und gesundheitsgefährdende Tätigkeiten zum Alltag gehören. Ihre Bezahlung ist sehr gering oder so gar nicht vorhanden, wodurch sie in Abhängigkeit gehalten werden. Ein großes Problem ist auch, dass die Arbeiter weder sozial- noch krankenversichert seien.
Traumatische Erlebnisse
Meistens wird berichtet, dass Männer die Täter sind; dass außerdem viele Männer Opfer sein können, geht in den Medien oft unter. Dazu kommt die Frage: „Wie gehen wir mit männlicher Sozialisation um? Wie gehen wir mit dem berühmten männlichen Stolz um? Für viele Männer ist es eine Herausforderung, Hilfe anzunehmen“, so Bucher. Deshalb ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit von MEN VIA ist auch die psychosoziale Unterstützung. Männliche Opfer von Menschenhandel können traumatische Erlebnisse durchgemacht haben und benötigen professionelle Unterstützung, um ihre psychische Gesundheit wiederherzustellen. MEN VIA arbeitet mit qualifizierten Fachleuten zusammen, um den Betroffenen therapeutische Hilfe anzubieten und ihre Genesung zu fördern.
Allerdings werden Männer nicht bloß als günstige oder unentgeltliche Arbeiter ausgenutzt, sondern ebenfalls in der Bettelei ausgebeutet und gezwungen, kriminelle Taten zu begehen oder sich der Prostitution hinzugeben – und es könnte vorkommen, dass man, wenn man nicht gehorcht, kopfüber vom sechsten Stock hängt, wie Manfred Buchner berichtet.
Ein Fall aus der Praxis
Der MEN VIA-Sprecher bringt auch als Beispiel einen Fall aus der jüngsten Vergangenheit: „Eine Leiharbeiterfirma hat Asylsuchende, junge Männer, an Unternehmen vermittelt. Da waren namhafte Unternehmen dabei im Bereich Gastronomie, Raststätten, Tankstellen. Die Flüchtlinge mussten um 9,50 Euro in der Stunde als Scheinselbständige arbeiten – teilweise 17 Stunden pro Tag. Nach Steuer und Sozialversicherung bleibt da nicht mehr viel übrig.“ Dazu kamen noch diverse Abzüge, Pauschalen für den Transport, überhöhte Mieten für den Schlafplatz etc. Die Arbeiter wurden über ihre rechtliche Situation im Unklaren gelassen; bei Protest drohte man ihnen mit Abschiebung. „Zum Teil war es so, dass sie gezwungen wurden, an einem Tag in dem einen Bundesland zu arbeiten und an einem anderen Tag in einem anderen Bundesland. Die Männer mussten zwei, drei Stunden in der Früh oder am Abend auf den Transport warten. Es gab Tage, an denen die betroffenen Männer auf den Tankstellen am Boden geschlafen haben“, erzählt Manfred Bucher. Aufgedeckt wurde der Fall durch Zivilcourage. „Privatpersonen ist das aufgefallen, und sie haben uns Hinweise gegeben“. Nach Aufdeckung des Falles ging die Leiharbeiterfirma in Konkurs. MEN VIA unterstützte die betroffenen Männer in allen rechtlichen Fragen und verhalf ihnen letztlich zu ihrem Recht. „Deshalb ist es auch gut, in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen ein umfassendes Netzwerk zu schaffen, um die Rechte von männlichen Opfern von Menschenhandel zu schützen“, so das Fazit von Manfred Bucher.
Gerlinde McGrew-Taferl: Arbeiterkammer ist wichtiger Partner bei der Bekämpfung von Menschenhandel
Die Arbeiterkammer ist aus Überzeugung einer dieser Netzwerkpartner von MEN VIA. „Ich habe mir den Paragrafen 1 des Arbeiterkammergesetzes angeschaut“, erklärt Gerlinde McGrew-Taferl, Juristin bei der Arbeiterkammer OÖ, „und darauf fußt alles, nämlich die Tatsache, dass die Arbeiterkammer berufen ist, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu vertreten und zu fördern.“ Die Arbeiterkammer bietet Beratung und Unterstützung in verschiedenen Bereichen, einschließlich des Arbeitsrechts, der Sozialversicherung und der Berufsausbildung, und ist damit ein wichtiger Partner bei der Bekämpfung von Menschenhandel.
Gerlinde McGrew-Taferl: "Die Arbeiterkammer ist ein wichtiger Partner bei der Bekämpfung von Menschenhandel." (c) Berthold Tauber
Die Arbeiterkammer engagiert sich für die Bekämpfung von Menschenhandel, indem sie Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen organisiert, um die Öffentlichkeit über die Gefahren von Menschenhandel zu informieren. Sie bietet auch Workshops und Schulungen für Arbeitnehmer an, um sie über ihre Rechte und Möglichkeiten zum Schutz vor Menschenhandel zu informieren. „Unsere Aufgabe ist im ersten Schritt einmal, Menschen zu informieren und zu beraten. Und dann können die Menschen auf Basis dieser Informationen eigenständige Entscheidungen treffen“, so die Arbeiterkammer-Juristin. Ferner arbeitet sie eng mit staatlichen Behörden und NGOs zusammen, um Opfern von Menschenhandel Unterstützung und Hilfe anzubieten.
Arbeitgeber sensibilisieren
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt der Arbeiterkammer ist es, Arbeitgeber zu sensibilisieren und zu ermutigen, Maßnahmen zur Verhinderung von Menschenhandel in ihren Unternehmen zu ergreifen. Dazu gehört die Schulung von Personalverantwortlichen, um potenzielle Anzeichen von Menschenhandel zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Die Arbeiterkammer fördert auch die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechtsstandards in Unternehmen und setzt sich für faire Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung ein.
Zum Abschluss der Veranstaltung wurden von den Expert:innen noch Fragen aus dem Publikum beantwortet. (c) Berthold Tauber
Auch Gerlinde McGrew-Taferl bringt einen Fall aus ihrer Praxis: Eine Frau wurde mit falschen Versprechungen, im Gastronomiebereich als Kellnerin anfangen zu können, nach Österreich gelockt. Tatsächlich wurde sie gezwungen, in einem Bordell zu arbeiten. Sie musste dort von 19.00 Uhr abends bis 7.00 Uhr Früh Kunden bedienen und bekam im Schnitt 30 bis 40 Euro pro Tag bar auf die Hand. McGrew-Taferl: “Sie wurde selbstverständlich nicht zur Sozialversicherung angemeldet und bekam natürlich auch keine Lohnunterlagen. Zudem tat von ihrem vermeintlichen Chef körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe ausgeliefert.“ Zudem war sie von ihrem vermeintlichen Chef körperliche Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Ans Tageslicht kam der Fall durch eine behördliche Kontrolle am Arbeitsplatz, im Zuge dessen sie das „Arbeitsverhältnis“ beendete und ins Frauenhaus flüchtete. Es gab ein Strafverfahren gegen ihren vermeintlichen Chef, und der wurde letztendlich zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die AK konnte vor Gericht für die betroffene Frau noch eine höhere Entschädigungssumme erstreiten. „Ich weiß, sie ist mittlerweile immer noch in Österreich, es geht ihr gut und sie hat ein neues Leben angefangen“, erzählt Gerlinde McGrew-Taferl. „Sie hat es selbst geschafft, aber wir haben ihr dabei geholfen, und das ist etwas Positives, für das ich immer sehr dankbar bin.“