Das Fastentuch – velum quadragesimale
Der ursprüngliche Zweck der Verhüllung war ein „Fasten der Augen“. In jener Zeit waren Fastentücher in fast jeder Kirche vorhanden. Sie verhüllten während der 40tägigen Fastenzeit Teile des Kirchenraumes und trennten optisch den Altarraum vom Chor und diesen vom Kirchenschiff. Ebenso wurden Gegenstände, wie Altar, Kreuze, Reliquienschreine und Bilder verhüllt. Anfänglich waren es ungebleichte Leinentücher, manchmal einfach bestickt. Bei den späteren bildlichen Darstellungen stand meist die Passion im Mittelpunkt, oftmals bestand ein typologischer Bezug zu Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Heute sind nur mehr wenige Stücke aus der Zeit des 15. Jahrhunderts erhalten geblieben.
In den vergangenen Jahren wurde der Verhüllungsbrauch wieder neu belebt. Es entstanden vermehrt neue Fastentücher, oftmals durch zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler gestaltet. Ein bemerkenswertes Beispiel ist in diesem Jahr das Fastentuch von St. Michael in Wien, das in der Kirche der Salvatorianer gezeigt wird. „Sursum carnes“ wurde von zwei jungen Künstlern aus Los Angeles (Connor Tingley und Peter Savic) hergestellt. Die gedruckte Leinwandarbeit zeigt eine Komposition aus Farbe und Haaren, die den Eindruck einer amorphen Masse und Fleisch entstehen lässt. Die Betrachtung regt zur Reflexion an, ladet ein zur Stille, Vergänglichkeit und Ewigkeit werden wieder mehr ins Bewusstsein gerückt. Die Fastenzeit ist eine Zeit der Besinnung und Umkehr, die Motive der Fastentücher können uns dabei helfen eine neue Wahrnehmung zu erlangen.
[Karin Mayer]