Die Vision des hl. Bernhard vom Klosterbau und das Engelskonzert im Zisterzienserstift Stams
Dadurch spiegelt sich, mindestens so eindrucksvoll wie im monumentalen Musikarchiv von Stift Stams, das einst faszinierende Musikleben bei den Zisterziensern im Tiroler Oberinntal wider.
Während der Jahre 1719 bis 1724 richtete der Innsbrucker Baumeister Georg Anton Gumpp (1682-1754) unter Abt Augustin von Kastner (reg. 1714-1738) einen Erweiterungsbau des Klosters Stams aus, nach Westen hin. Anschließend erfolgte sukzessive die künstlerische Innenausstattung. Dazu schuf der Tiroler Künstler Franz Michael Hueber (ca. 1680? – 1746 Innsbruck) im Stiegenhaus der Prälatur ein prächtiges Deckenfresko. In auffallend großzügiger Weise erscheint hier ein Bildtopos, dem man in der Ikonographie des hl. Bernhard von Clairvaux über Jahrhunderte wiederholt begegnet: Bernhard erfährt die Vision, ein neues Kloster, Clairvaux, zu gründen. Engel bringen ihm den Auftrag nahe, vom Himmel herab mit Gesang und Instrumentalspiel. Diese Motivik findet sich etwa in einer Zeichnung von Antonio Tempesta, publiziert als Kupferstich in Rom bei Marcello Clodio 1587 oder auch auf der sog. Bernhardstafel aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Zisterzienserinnenabtei Maigrauge bei Fribourg/CH.
Im Stamser Deckenfresko von Franz Michael Hueber erfährt das Bildthema in zweierlei Hinsicht eine individualisierende Variante. Zum einen erblickt Bernhard einen Engel, der ihm explizit einen eben aktuellen und detailgetreuen Bauplan mit der Außenansicht von Stams überbringt. Zum anderen wird in Stams, kurz nach der Errichtung eines neuen Gebäudekomplexes, der Ordensvater als Mentor eigens für diesen Ort gewürdigt. Anderswo nehmen Bilder hingegen pauschal Bezug auf Clairvaux. Im Fresko von Hueber kniet Bernhard am Boden, umgeben von typischen Attributen, den Leidenswerkzeugen der Passion Jesu vor ihm, dem Stab als Signum der Abtswürde und des Hirtenamtes sowie der Mitra als Zeichen für den von ihm abgelehnten Bischofsstuhl hinter ihm.
Engel nehmen zwei Drittel des Bildes ein. Oben sprudeln Putti aus den Wolken hervor. Die Hauptfläche beansprucht das reich besetzte himmlische Orchester, die Engel lassen sich hingebungsvoll wie elegant als Sänger und Instrumentalisten hören, diese mit Laute, Deutscher Schalmei, Schoßharfe, Trompete, Cister, Violoncello, Parforce-Jagdhorn, Armviole, Tenorzink. Die Instrumente entsprechen dem gebräuchlichen Instrumentarium der Zeit, Realität paart sich mit Phantasie. So weist das Blasinstrument neben der Laute etwa auch Komponenten einer Längstrompete auf, die Spielhaltung zur Seite entspricht eher einer beim Zinken anzutreffenden, das Violoncello – als solches anzusehen aufgrund des gewölbten Bodens – hat an den Oberzargen Baukomponenten einer Gambe. Nicht zufällig ist die Trompete dem den Klosterplan offenbarenden Engel und Bernhard am nächsten, gilt sie doch als die Stimme mit dem Zuruf unmittelbar vom Himmel.
Die Proportionen der Motive im Bild mögen die Frage nach den Protagonisten der Darstellung aufkommen lassen. Geht es primär um Bernhard und seine neue Aufgabe oder herrscht die Fülle der Musik im Stams des 18. Jahrhunderts vor? In retrospektiver Kenntnis der Stamser Musikgeschichte möchte man die Gewichtung dieser beiden großen Bildkomponenten zumindest als gleichrangig, wenn nicht mit einem Überhang der Musica caelestis einschließlich ihrer Ausstrahlung auf die Musica stamsensis erkennen.
Abb.1 u. 2: Stiegenhaus der Prälatur von Stift Stams, Gesamtansicht Deckenfresko von Franz Michael Hueber mit der Vision Bernhards vom Klosterbau und Detail Engelskonzert, 1729. Fotos: Rupert Larl (2019), © Institut für Tiroler Musikforschung Innsbruck.
Mehr zum Fresko von Franz Huber (1729) in der Buchpublikation Wo die Engel musizieren. Musik im Stift Stams (Brixen: A. Weger 2020) von Hildegard Herrmann-Schneider.