Neue Publikation präsentiert erstmals Einblicke in den mittelalterlichen Buchschatz des Stiftes Göttweig
Der im Rahmen eines Forschungsprojekts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) entstandene Band mit dem Titel Vom Schreiben und Sammeln. Einblicke in die Göttweiger Bibliotheksgeschichte vereint erstmals wertvolle Erkenntnisse zum mittelalterlichen Buchbestand der Göttweiger Stiftsbibliothek. Hierbei werden Aspekte der Bestandsgeschichte vorgestellt und Schlaglichter auf die Zeit der Kloster- und Bibliotheksgründung, die Bestandserweiterungen der Barockzeit und die Okkupation während des 2. Weltkriegs geworfen.
Die neue erschienene Publikation zur Bibliotheksgeschichte des Stiftes Göttweig: Vom Schreiben und Sammeln. Einblicke in die Göttweiger Bibliotheksgeschichte. Hrsg. von Astrid Breith unter Mitarbeit von Nikolaus Czifra, Christine Glaßner und Magdalena Lichtenwagner. (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 74). St. Pölten: Verlag NÖ Institut für Landeskunde 2021 © NÖ Institut für Landeskunde
Wissenschaft im Kloster
Gut verwahrt in kunstvoll geschnitzten Vollholzschränken überdauerten bis heute über 500 mittelalterliche Codices in der Bibliothek des Stiftes Göttweig die Jahrhunderte. In mehr als drei Jahren hatte ein Team aus PhilologInnen und HistorikerInnen vom Institut für Mittelalterforschung der ÖAW die einmalige Gelegenheit, insgesamt 233 dieser handgeschriebenen Unikate eingehend zu erforschen und zu katalogisieren. Die Ergebnisse dieser intensiven Forschungsarbeit sind nun vereint im kürzlich neu erschienenen Band, der sich den Sammel- und Schreibgewohnheiten der mittelalterlichen Mönche im Stift Göttweig widmet. Die Herausgeberin des Bandes, Dr. Astrid Breith, betont die erstklassige Zusammenarbeit mit dem Benediktinerstift: „Der Konvent stand unserem Projekt von Anfang an offen und wohlwollend gegenüber, was uns optimale Forschungsbedingungen ermöglichte.“
Handschriften in der Göttweiger Stiftsbibliothek © Stiftsbibliothek Göttweig, Bernhard Rameder
Breitgefächerte Bibliotheksgeschichte
Während die WissenschaftlerInnen sich vor allem auf das 12. bis 14. Jahrhundert konzentrierten, wurden auch weitaus ältere Schriftzeugnisse, die im Besitz der Stiftsbibliothek sind, eingehend erforscht. Darunter beispielsweise der prachtvolle, mit Gold und kunstvollen Initialen ausgestattete Göttweiger Psalter, der bereits im 9. Jahrhundert wohl im Umfeld des berühmten Abtes von St. Gallen und Weißenburg, Grimald von Weißenburg (um 800–872), entstand. Erstmals konnte im Zuge des Forschungsprojekts nachgewiesen werden, durch wessen Hände dieser bedeutende Kunstgegenstand wanderte, bis er schließlich in der Barockzeit seinen Weg nach Göttweig fand.
Der Göttweiger Psalter, Cod. 30, Bl. 21r © Stiftsbibliothek Göttweig, Bernhard Rameder
Zu den ältesten Schätzen der Stiftsbibliothek zählen jedoch lateinische Fragmente aus dem 6. und 7. Jahrhundert, die sogenannten Itala-Fragmente, die Auszüge aus den Paulinischen Briefen enthalten und möglicherweise in Nordafrika bzw. Spanien entstanden. Diese Fragmente wurden zwischen 1720 und 1730 im Verbund mit einer weiteren kostbaren Handschrift vom berühmten Göttweiger Barockabt Gottfried Bessel (1714–49) für die Stiftsbibliothek angekauft und stellen heute die ältesten Schriftzeugnisse Niederösterreichs auf Pergament dar.
Fragm. lat. 1 a recto, Itala-Fragment (6. Jh.), Text aus dem Galater-Brief (Gal 4,3–19 und Gal 4,19–5,2) © Stiftsbibliothek Göttweig, Bernhard Rameder
Dass selbst gut geschützte Bücherschätze in Bibliotheken durchaus dem Wandel der Zeit unterworfen sind, wurde in mehreren Beiträgen des Bandes im Detail nachgezeichnet: Bibliotheken vergrößern sich über die Jahrhunderte, etwa durch Zukäufe in wirtschaftlich starken Perioden oder durch die Übernahme von Beständen aus anderen Klöstern. So kann die Stiftsbibliothek Göttweig 31 Handschriften des damals unweit von Göttweig gelegenen Paulinerklosters Unterranna ihr Eigen nennen: Als dieses 1783 unter der Regierungszeit Josephs II. aufgehoben wurde, wanderten die wertvollen Bücher hinter die Mauern des Stiftes Göttweig.
Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Aus Gründen wie Naturkatastrophen, Diebstählen oder Verkäufen, beispielsweise in der Zwischenkriegszeit aus ökonomischen Gründen, dezimieren sich Bibliotheksbestände auch wieder. Das oft nur mühsam rekonstruierbare Schicksal so mancher Göttweiger Handschrift wird ebenso vom Forschungsteam beleuchtet. Die Distanzen, die die eine oder andere Handschrift in unruhigen Zeiten zurücklegte, waren mitunter beträchtlich: Während einige ehemalige Göttweiger Bücher sich heute in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien wiederfinden, kamen auch einige nach Budapest, Rom, Oxford oder auch nach New York.
Ein spektakuläres Schicksal ereilte die wertvollsten Handschriften in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Stift Göttweig wurde, wie so viele andere Klöster, enteignet und die damals dort ansässigen Mönche ins Exil gezwungen. Wertvolle Kulturgüter des Stiftes aber, darunter auch die mittelalterlichen Handschriften, wurden ins Altausseer Salzbergwerk ausgelagert, um sie vor Kriegsschäden zu schützen und für das damals geplante aber nie realisierte „Führermuseum“ zu verwahren. Während glücklicherweise viele Handschriften und weitere Kunstgegenstände wieder nach Göttweig rückgeführt werden konnten, blieben manche jedoch bis heute unauffindbar.
Die Bestellung des Bandes (320 Seiten, 20 €) ist direkt beim NÖ Institut für Landeskunde möglich: https://www.noe.gv.at/noe/LandeskundlicheForschung/Einblicke_in_die_Goettweiger_Bibliotheksgeschichte.html
Zahlreiche Göttweiger Handschriften wurden im Lauf des Projekts digitalisiert: Auf dem österreichischen Handschriftenportal https://manuscripta.at/lib.php?libcode=AT2000 können alle Interessierten kostenlos selbst digital in den Handschriften blättern.
[Christine Glaßner/Magdalena Lichtenwagner]