Denkmäler für die Zukunft
Die mehr als 100 Grabdenkmäler in der Wiener Michaelerkirche wurden für die Zukunft gebaut. Die Leistungen der Verstorbenen wurden in Erinnerung gerufen, mit den Denkmälern wurden aber auch Erwartungen verknüpft. Wer waren die in der Kirche Bestatteten und mit welchen Erwartungen wurde die Denkmalsetzung verbunden?
Topografie
Die Michaelerkirche liegt direkt neben der kaiserlichen Burg, sie war längere Zeit die Pfarrkirche des Kaisers. Zugleich liegt sie am Eingang zur Herrengasse, in der sich das Niederösterreichische Landhaus befand, in dem die Landstände tagten. Viele der in der Kirche Bestatteten hatten ihren Wohnsitz nahe von Landhaus und Burg. Diese Lage im Zentrum der Macht ließ St. Michael zu etwas Einzigartigem werden.
Wer wurde in der Michaelerkirche bestattet?
Durch die einzigartige Lage sind mit den Grabdenkmälern in der Kirche Familien vertreten, die am Kaiserhof und/oder im Niederösterreichischen Landhaus tätig waren. Die Monumente verweisen auf die erfolgreiche Tätigkeit und wichtige Stellung der Verstorbenen. Die Hinterbliebenen verbanden als Denkmalsetzer die unausgesprochene Erwartung, eine ebensolche Position oder eine vielleicht sogar noch bessere einnehmen zu können. Schließlich war damit zu rechnen, dass Kaiser und Hof die Epitaphia sahen, die Inschriften lasen und die Leistungen der Verstorbenen gebührend würdigten. Daraus ergibt sich, dass vor allem aufstiegsorientierte Familien ihren Vorfahren in der Michaelerkirche ein Grabdenkmal setzen ließen. Viele der durch Monumente verewigten Verstorbenen waren Berater am Kaiserhof, Kammerdiener und Mitglieder der Niederösterreichischen Landstände gewesen.
Paulus Weidner, Michaelerkirche Wien (c) Robert Passini
Wer hat ein Denkmal?
In der Kirche haben die Nachfahren u.a. folgenden Persönlichkeiten Denkmäler gewidmet:
• Johann Ludwig Brassican, Mitglied des Geheimen Rats Kaiser Ferdinands I. und Rat der verwitweten Maria von Habsburg, Rektor der Universität Wien, wohnhaft im heutigen Palais Wilczek in der Herrengasse, verstorben 1549
• Georg Freiherr zu Herberstein, kaiserlicher Heerführer und Kämmerer unter Kaiser Maximilian II., wohnhaft im gleichnamigen Palais unweit von Hofburg und Kirche, verstorben 1570
• Sigismund von Herberstein, kaiserlicher Diplomat und Forschungsreisender, Verfasser des europaweit berühmten Werkes Rerum Moscoviticarum commentarii (1549), in dem er über seine beiden Reisen nach Moskau berichtete, ebenso wohnhaft im angrenzenden Palais, verstorben 1566, Epitaph nicht mehr erhalten
• Paulus Weidner, kaiserlicher Leibarzt unter Ferdinand I., Maximilian II. und Rudolph II. 1582, drei Jahre vor seinem Tod geadelt, verstorben 1585
• Hans Anton Berchtold, Kammerdiener zweier Kaiser, Maximilian II. und Rudolph II., 1588 verstorben
Johann II Trautson Detail, Michaelerkirche Wien (c) Robert Passini
Ein Aufstiegsszenario. Die Familie Trautson
Der Aufstieg der drei Trautsons, die in der Michaelerkirche von Mitgliedern ihrer Familie mit einem Monument bedacht wurden, belegt unser Argument, dass viele dieser Grabdenkmäler für die Zukunft gebaut wurden. Innerhalb von 135 Jahren legten die hier bestatteten Familienmitglieder den Weg vom Rang eines Grafen, über den des Freiherren zum Fürsten zurück. Sie waren Ratgeber des Kaisers, Mitglieder des Niederösterreichischen Landtags und bewohnten ihr erstes Palais in der heutigen Bankgasse, unweit der Herrengasse. Die Familie Trautson war Südtiroler Herkunft und bald reich an Besitz.
• Johann III. Trautson diente laut Inschrift am Denkmal drei Kaisern, wurde 1541 in den Freiherrenstand versetzt und zog als Besitzer der Herrschaft Falkenstein in das Niederösterreichische Landhaus ein. Er starb 1589 in Prag. Sein Denkmal, ein großer Marmorsarkophag, auf dem seine Statue liegt, befand sich ursprünglich in der Mitte des Altarraums. Es wurde 1670 auf seinen heutigen Platz versetzt.• Sein jüngster Sohn Paul Sixtus III. Trautson wurde Reichshofratspräsident und in den Grafenstand erhoben. Er verstarb 1621. Sein Epitaph hat die Form eines Triptychons, in dessen Zentrum eine aufwendig gestaltete Statue seiner selbst kniet. Sie wurde schon zu seinen Lebzeiten hergestellt.
• Rund 100 Jahre später verstarb 1724 der erste gefürstete Trautson (1711), Johann Leopold Donat, unter Kaiser Leopold I. Geheimer Rat und von Kaiser Joseph I. zum Obersthofmeister ernannt. Johann Leopold Donat ließ 1712 das von Johann Bernhard Fischer von Erlach entworfene Palais Trautson (heute Bundesministerium für Justiz) errichten. 1727 wurde von seinen Nachfahren für ihn ein spätbarockes Denkmal der Michaelerkirche gesetzt. Die drei Denkmäler für die Mitglieder der Familie Trautson befinden sich im Altarraum der Kirche.
Johann II Trautson, Michaelerkirche Wien (c) Robert Passini
Paul Sixtus I Trautson, Michaelerkirche Wien (c) Robert Passini
Johann Leopold Donat, Michaelerkirche Wien (c) Robert Passini
Pro decore familiae ac memoria
Das älteste Trautson-Denkmal, das in der Mitte des Altarraumes thronte, um die Augen des Kaisers und anderer Höflinge auf sich zu ziehen, stand kirchlichen Feierlichkeiten im Weg. Deshalb sollte es an seinen heutigen Platz an der Seite des Altarraumes versetzt werden. Dazu wurde am 22. August 1670 ein Vertrag zwischen den Barnabiten-Patres, die das Michaelerkloster und die Kirche betreuten, und der Familie Trautson geschlossen, der sich heute im Archiv des Klosters befindet. Der Vertrag verdeutlicht, was die Familie Trautson mit den Denkmälern bezweckte. Der Versetzung des Monuments von dem ehrenvollen Platz („magis honorifico loco“) an einen weniger gut sichtbaren Platz („locus minus conspicuus“) stimmte die Familie zu, unter der Bedingung, dass zwei neue Denkmäler „zur Zierde und zum Gedächtnis“ errichtet werden. Zugleich wurde ausbedungen, dass beim Einzug des kaiserlichen Hofes die Denkmäler nicht abgedeckt werden durften, damit zur Ehre der Familie Trautson („pro honore nostrae familiae“) sie den Augen aller zugänglich blieben. Somit liegt die Funktion von Grabdenkmälern in der Michaelerkirche auf der Hand. Sie dienten nicht nur der Erinnerung an verstorbene Familienmitglieder, sondern verweisen auf die Erwartung der Nachfahren durch die ständige Sichtbarkeit der Monumente, gesellschaftlichen und beruflichen Aufstieg zu erfahren.
[Dr. Johann Heiss, Senior Researcher, Österreichische Akademie der Wissenschaften und Dr. Johannes Feichtinger, Senior Researcher, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften]
Referenz zu https://www.michaelerkirche.at/800Jahre/memento-mori/index.html
Vortragsreihe 800-Jahre-Michaelerkirche
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